Er gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen der Republik: Am 14. Februar wird der in München lebende Alexander Kluge, Filmemacher, Autor und Medientheoretiker, 90 Jahre alt. Sein Credo:

"Die Menschen haben zweierlei Eigentum: ihre Lebenszeit und ihren Eigensinn."

Irgendetwas, so seine Überzeugung, müsse in den Menschen stecken, das immer zu einem guten Ende strebt; sie verteidigten das einmal entwickelte Urvertrauen gegen kleine Missgeschicke oder große Katastrophen, oft am Kreuzweg zwischen privater Biografie und großen Geschichtsverläufen.

Lebensgeschichte Alexander Kluges geprägt vom 2. Weltkrieg

Kluge kam 1932 in Halberstadt zur Welt, am Nordrand des Harzes im heutigen Sachsen-Anhalt. Dort erlebte er als Heranwachsender die Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg. Als seine Heimatstadt im letzten Kriegsjahr 1945 von den Alliierten bombardiert wurde, detonierte wenige Meter neben ihm eine Bombe. Er überlebte unverletzt, aber das Erlebnis sollte ihn prägen.

Warum eigentlich war solch eine Katastrophe wie der Zweite Weltkrieg möglich? Warum müssen sich Männer, die einen Beruf und eine Familie haben, in der Kälte von Stalingrad in Erdlöchern eingraben? Die Katastrophe und die Möglichkeit ihrer Vermeidung: Beide Themen haben Kluge stets umgetrieben.

Er studierte Rechtswissenschaft, Geschichte und Kirchenmusik. Sein kritischer Blick auf die deutsche Gesellschaft der 50er Jahre führte ihn zur "Kritischen Theorie" Theodor W. Adornos und Max Horkheimers. Die sogenannte Frankfurter Schule analysierte den Einfluss des Kapitalismus auf den Einzelnen und beherrschte in den 60er Jahren die Soziologie. Nach dem Tod der ersten Generation übernahmen die Schüler Jürgen Habermas, Oskar Negt und Alexander Kluge den kritischen Auftrag.

Kluge entwickelt sich zum Filmregisseur

Adorno vermittelte den vielseitig interessierten Kluge an den Filmregisseur Fritz Lang ("Metropolis"), der aus dem amerikanischen Exil heimgekehrt war und zu der Zeit an dem Film "Das indische Grabmal" arbeitete. Kluge begeisterte sich für das Medium und wurde in den folgenden Jahren zu einem der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films. Er war Mitinitiator des Oberhausener Manifestes, das "Papas Kino" für tot erklärte und zu einer Blüte des deutschen Autorenfilms führte.

Zu seinen ersten Filmen zählen "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" (1968)" und "Abschied von gestern" (1966) über eine Tochter jüdischer KZ-Überlebender, die aus der DDR flieht und in der Bundesrepublik straffällig wird. Für sie erhielt Kluge zahlreiche Auszeichnungen, unter anderen den Silbernen und Goldenen Löwen auf dem Festival in Venedig. Mit seinem umfangreichen Werk, das Kurzfilme und experimentelle Spielfilme umfasst, wurde er zu einem der wichtigsten und international bekanntesten Regisseure der Bundesrepublik.

Alexander Kluges literarische Werke sind Theorieklassiker

In den 70er Jahren intensivierte Kluge die Zusammenarbeit mit dem Theoretiker Oskar Negt. Beide wollten herausfinden, wie die Kritische Theorie nach dem Tod Adornos weitergeführt werden könnte. Das Ergebnis waren die Bücher "Öffentlichkeit und Erfahrung" (1972) und vor allem "Geschichte und Eigensinn" (1981), ein umfangreiches Werk, das zu einem Theorieklassiker der Post-68er-Generation wurde.

Doch trotz Film und Theorie: Wenn Kluge später sagte:

"Mein Hauptwerk sind meine Bücher"

sind damit seine literarischen Arbeiten gemeint, für die er 2003 den Georg-Büchner-Preis erhielt. Sein Freund und Mitstreiter Jürgen Habermas sagte einmal über Kluges literarische Geschichten: Selbst wenn sie schlecht ausgingen, habe man immer den Eindruck, durch eine kleine Wendung des Geschehens hätte alles ganz anders und viel besser werden können.

Bereits 1964 hatte er mit dem Stalingrad-Buch "Schlachtbeschreibung" auch auf dem Feld der Literatur für Aufsehen gesorgt. In den 80er Jahren trat die Literatur etwas zurück - um dann mit der "Chronik der Gefühle" (2000) wieder an die erste Stelle zu rücken.

Kein Genre, kein Medium bleibt Kluge fremd

Alexander Kluge wurde immer mehr zu einem Hans-Dampf-in-allen-Gassen, kein Genre, kein Medium blieb ihm fremd. Als das Privatfernsehen aufkam, gelang ihm ein großer Coup: Kluge wurde Ende der 80er Jahre zum Fernsehunternehmer. Mit seiner Produktionsfirma dctp gelang es ihm, sich Sendefenster bei RTL und Sat.1 zu sichern. Vorwürfe, mit seinen hochwertigen Kultursendungen verschrecke er die Zuschauer, konterte er mit den Worten: "Besser ein Quotenkiller als eine Quotennutte." Oft konnte er mit "10 vor 11" oder "News&Stories" beachtliche Einschaltquoten vorweisen.

2017 musste er den Tod seiner Schwester Alexandra verkraften, mit der ihn eine lebenslange enge Freundschaft verbunden hatte: "Meine Schwester ist meine innere Stimme", sagte er einmal. Doch auch im hohen Alter ist Kluge, der mit seiner Frau in München lebt und Vater von zwei Kinder ist, ungebrochen produktiv. Er schreibt weiter Geschichten wie in "Russland-Kontainer" (2020).

Zum 90. Geburtstag sind gleich zwei neue Bücher erschienen: "Zirkus/Kommentare" und "Das Buch der Kommentare. Unruhiger Garten der Seele". Für ihn gilt dabei stets:

"Das Motiv für Realismus ist nie Bestätigung der Wirklichkeit, sondern Protest."