Die Mauersegler sind schon fort. Ende Juli, Anfang August haben sich die unermüdlichen Segler nach drei Monaten Brutzeit unter deutschen Dächern wieder auf den Weg nach Süden gemacht. Sie sind nicht nur die ersten Vögel, die von der Zugunruhe erfasst werden, sondern auch die schnellsten. Mit bis zu 160 Stundenkilometer düsen die »Schwalben der Städte« zurück nach Afrika. Dort gibt es auch dann genügend Insekten zu fressen, wenn es in den gemäßigten Zonen kalt wird.

Wo die echten Schwalben überwintern, fragte sich schon der griechische Philosoph Aristoteles im 4. Jahrhundert vor Christus. Er wähnte sie in Schlafstarre auf dem Grund von Seen. Mit zunehmender Sonne kämen sie wieder ans Licht - eine Theorie, die sich bis ins frühe 19. Jahrhundert hinein behauptete. Selbst Carl von Linné, Erfinder der biologischen Systematik, bezog sich noch im 18. Jahrhundert auf die antike Autorität, schreiben Claus-Peter Lieckfeld und Veronika Straaß in ihrem Buch »Mythos Vogel«.

Flugstrecken bis zu 40.000 Kilometern

»Um Mariae Geburt fliegen die Schwalben furt«, sagt eine alte Bauernweisheit. Tatsächlich sammeln sich die Rauch- und Mehlschwalben um den 8. September herum, um bald darauf in Schwärmen nach Sambia und Kamerun aufzubrechen. So weit wie die Küstenseeschwalbe ziehen sie allerdings nicht: Sie schlägt mit 40 000 Kilometern zwischen ihren Brutgebieten in der Arktis und ihren Winterfutterplätzen in der Antarktis alle Rekorde.

Der Stauferkaiser und Jäger Friedrich II. beschrieb im 13. Jahrhundert den Zug der Reiher und Greifvögel erstmals aus der Perspektive des nüchternen Naturbeobachters. Doch erst im 16. Jahrhundert erfuhr man vom französischen Naturforscher Pierre Belon, dass Milane, Turteltauben, Wachteln und Schwalben Zugvögel sind. Johann Ferdinand Adam von Pernau, ein Tiroler in Coburger Beamtendiensten, beschrieb 1702 die später sogenannte »Zugunruhe« und stellte als Erster einen Vogelzugkalender auf.

1889 wurden erstmals Vögel beringt, um sie besser beobachten zu können. Eine neue Zeitrechnung für die Ornithologen brach an. Johannes Thienemann erhielt 1903 die ersten Rückmeldungen über Nebelkrähen, denen er Ringe angelegt hatte: Sie waren über Pommern abgeschossen worden. »In Deutschland beringen etwa 940 Helfer jährlich 234 000 Vögel«, schätzen Lieckfeld und Straaß. Ultraleichte Peilsender können heute auch kleinen Zugvögeln angelegt werden.

Auf den Weg in den Süden

Etwa drei Viertel aller Vogelarten sind Zugvögel. Mittlerweile sind die Zugrouten von mehr als 100 Arten bekannt. Weißstörche etwa, die bis zu 500 Kilometer am Tag zurücklegen können, ziehen über zwei Routen in den Süden. Aus Südwestdeutschland fliegen sie über Spanien nach Westafrika. Infolge des Klimawandels sind die Temperaturen allerdings oft so milde, dass sie manchmal schon in Südspanien bleiben. Alle anderen Störche ziehen um das östliche Mittelmeer herum über den Bosporus nach Ost- und Südafrika.

Stare, die sich im Oktober zusammenscharen, bleiben immer häufiger als »Standvögel« in ihren Brutgebieten. Falls es zu kalt wird, überwintern sie rund um das Mittelmeer. Kraniche dagegen sind Langstreckenzieher. Sie können bis zu 2000 Kilometer ohne Unterbrechung fliegen: vom Baltikum nach Spanien und Tunesien, aus Russland nach Südostchina. Mit ihrem Formationsflug sparen sie Kraft, denn der Luftwiderstand macht nur dem ersten Vogel zu schaffen. Die anderen, die in seinem Windschatten fliegen, lösen ihn daher ab.

Der kräftezehrende Vogelzug fordert Tribut. Vögel aktivieren die Fettvorräte, die sie sich im Sommer zugelegt haben, und sogar Eiweiße aus ihren inneren Organen.

Orientierung am Himmel und Zuginstinkte

Seit den 50er-Jahren sind die Forscher rasant vorangekommen. Zuerst entdeckte Gustav Kramer, dass die Vögel sich am Stand der Sonne orientieren. Dann fand Franz Sauer bei der Beobachtung von Grasmücken, dass auch der Stand der Sterne eine wichtige Rolle bei der Navigation spielt. Schließlich wies Friedrich Wilhelm Merkel im Experiment jene »Zugunruhe« nach, den angeborenen Zuginstinkt, den schon Pernau als Pionier der Ornithologie erahnt hatte.

1963 belegte Merkels Doktorand Wolfgang Wiltschko dann den sogenannten Magnetkompass bei Rotkehlchen. Seitdem forscht Wiltschko an der Frankfurter Goethe-Universität nach den Sinneszellen, mit denen sich Vögel an den Magnetfeldlinien der Erde zum Äquator hin orientieren. Bestimmt wird der Magnetkompass von der Tageslichtdauer, sagt der mittlerweile emeritierte Professor. Pigmente im rechten Auge als Rezeptoren und Magnetsinneszellen im Oberschnabel oder Innenohr wirken bei der Orientierung der Vögel zusammen.

Aber restlos erforscht ist die Navigation der Zugvögel noch lange nicht. »Der Sonnenkompass ist eine Lernleistung der Vögel, der Sternenkompass ist teilweise angeboren«, sagt Wiltschko. »Aber wir haben ihn noch nicht völlig durchschaut.«