Die zwei 90 Tage alten Bartgeier "Bavaria" und Wally" sitzen in einer Bergnische im Klausbachtal im Nationalpark Berchtesgadener Land.
Zuvor waren die Tiere von einem Team aus Expertinnen und Experten des Nationalparks und des Landesbunds für Vogelschutz (LBV) in die Höhle nahe des Watzmanns in Kisten hinaufgetragen worden. Die jungen, noch nicht flugfähigen Bartgeier, werden laut der Experten rund vier Wochen in ihrer Nische verbringen, bevor sie zu ersten Erkundungsflügen aufbrechen.
Bartgeier kehren 140 Jahre nach ihrer Ausrottung zurück
Der LBV nennt die Auswilderung des größten Vogels der Alpen das "bundesweit wahrscheinlich spektakulärste Naturschutzprojekt 2021".
"Das ist ein historischer Moment für den Artenschutz in Deutschland und ein echter Meilenstein. Der größte Vogel der Alpen ist heute nach Bayern zurückgekehrt", freut sich der LBV-Vorsitzende Norbert Schäffer. 140 Jahre nach seiner Ausrottung kehre einer der größten flugfähigen Vögel der Welt nach Deutschland zurück, so der LBV.
Lange fürchteten Menschen die großen Greifvögel
Als "Lämmergeier" lange vom Menschen gefürchtet, wurde früher dem Bartgeier nachgesagt, Vieh, Wild und selbst kleine Kinder davonzutragen und zu töten. Die Vögel sind aber harmlos und ernähren sich vorwiegend von Knochen und Aas, so die Wissenschaftler.
Die beiden jungen Geier aus einer Nachzucht in Andalusien waren Mitte März geschlüpft. Ohne menschlichen Kontakt bewohnen sie jetzt die sechs mal 20 Meter große eingezäunte Felsnische auf 1.300 Metern Höhe und üben dort das Fliegen, so der LBV.
Die Vögel werden rund um die Uhr von Wissenschaftlern überwacht
Wissenschaftler werden die Vögel, die GPS-Geräte tragen, in den kommenden Monaten rund um die Uhr von einem nahegelegenen Beobachtungsplatz durch installierte Infrarotkameras und einem Livestream überwachen.
Die Fütterung erfolge je nach Bedarf im Abstand von mehreren Tagen jeweils im Morgengrauen. "Das frische Futter sollen sie nie mit den Menschen verbinden", erklärte Nationalpark-Projektleiter Ulrich Brendel. Er rechnet damit, dass Bavaria und Wally zur Erkundung des europäischen Alpenraums im Spätsommer aufbrechen.
Bartgeier sollen sich in den Ostalpen vermehren
Geschlechtsreif werden Bartgeier nach acht Jahren, teilte der Landesbund für Vogelschutz mit.
"Bei Projekten dieser Art muss man in langen Zeiträumen denken, um dauerhaft Erfolg zu haben. Das ist kein Sprint, sondern eher ein Marathon", so LBV-Vorsitzender Schäffer. Man hoffe aber, dass die Anwesenheit der beiden Bartgeier in den Ostalpen die Lücke zu den Populationen in den Westalpen schließe. Dort vermehren sich die Bartgeier bereits selbstständig.
Gesamtbestand der Bartgeier in den Alpen wird auf 300 Tiere geschätzt
Der Bartgeier (Gypaetus barbatus) hat eine Flügelspannweite von bis zu 2,90 Meter. Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Greifvogel in den Alpen ausgerottet worden.
Experten schätzen den Gesamtbestand der Bartgeier in den Alpen auf gut 300 Tiere. Die genetische Vielfalt der Population ist noch sehr gering. Ohne weitere Stützung der Population aus gezielten Nachzuchten wäre mit einem hohen Grad an Inzucht zu rechnen.
Das europäische Bartgeier-Zuchtnetzwerk wird von der Vulture Conservation Foundation (VCF) mit Sitz in Zürich geleitet. Sie legt seit 2013 die Vergabe der Jungvögel auf die Auswilderungsorte fest.