Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ist "es leid, Strafanzeigen zu schreiben, die uns Zeit kosten und zu nichts führen". Von rund 320.000 im Jahr 2017 in Deutschland angezeigten Drogendelikten entfielen rund 205.000 auf Cannabis. Wiederum 166.000 dieser Cannabis-Fälle, also die Hälfte aller erfassten Drogenstraftaten, waren sogenannte Konsum- und Besitzdelikte. Meist werden die Verfahren wegen geringer Mengen eingestellt. Polizisten wie Peglow halten den Kampf gegen Cannabis, wie er derzeit geführt wird, für aussichtslos. Sie wünschen sich einen "Ermessensspielraum", um effektiver gegen echte Kriminalität vorgehen zu können.

Schützenhilfe erhält Peglow, CDU-Mitglied und in einem Frankfurter Ortsbeirat aktiv, von Juristen, Medizinern, Suchtexperten und Politikern. Über 120 Rechtsprofessoren fordern in einer Resolution des "Schildower Kreises" eine neue Drogenpolitik. Ihr Sprecher, der Bremer Strafrechtsprofessor Lorenz Böllinger, hält das derzeitige Betäubungsmittelgesetz sogar für verfassungswidrig. Den Konsum von Cannabis zu bestrafen verstoße gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Nimm 250 Lot Cannabis, sprach der HERR

Lange waren die Fronten verhärtet: hier die Sorge, dass eine Liberalisierung den Zugang erleichtert und als Einstiegsdroge den Weg für härtere Drogen ebnet - dort die Einsicht, dass eine rein repressive Antwort bisher weder die Zahl der Konsumenten noch gar das kriminelle Umfeld eindämmte.

Das spiegeln auch die Zahlen: Fast die Hälfte der unter 50-Jährigen in Deutschland hat Erfahrungen mit Cannabiskonsum. Im vergangenen Jahr haben etwa zwölf Prozent der Deutschen Cannabis konsumiert. Die wenigsten von ihnen hatten medizinische Gründe: Drei Viertel sind Gelegenheitskonsumenten.

Als erstes führendes Industrieland der Welt hat Kanada 2018 den Anbau und Verkauf von Cannabis legalisiert. Zuvor hatten schon immer mehr Bundesstaaten in den USA das Cannabis-Verbot gelockert. Und als erste Nation der Welt beschloss schon 2013 das südamerikanische Land Uruguay, Anbau, Verkauf und Konsum von Marihuana generell zu legalisieren, um Drogenhändlern das Wasser abzugraben.  Dort dürfen Privatpersonen bis zu sechs Cannabispflanzen züchten. Registrierte Konsumenten können monatlich bis zu 40 Gramm in Apotheken kaufen - das Gramm für nicht mal einen Euro.

Zum Vergleich: Kriminalisierung und Schwarzhandel treiben den Straßenpreis für "Gras" und Haschisch in Deutschland auf teils über zehn Euro pro Gramm.

Luther übersetzte Cannabis mit "Kalmus"

In Israel wird Cannabis zu medizinischen Zwecken schon seit Jahren eingesetzt - auch in Altersheimen, zum Beispiel bei chronischen Schmerzpatienten. Immerhin ist das Heilige Land wenn nicht die Heimat des Hanfs, so doch von Cannabis:

"Und der HERR redete mit Mose und sprach: Nimm dir die beste Spezerei: die edelste Myrrhe, fünfhundert Lot, und Zimt, die Hälfte davon, zweihundertundfünfzig, und Kalmus, auch zweihundertundfünfzig Lot, und Kassia, fünfhundert nach dem Gewicht des Heiligtums, und eine Kanne Olivenöl. Und mache daraus ein heiliges Salböl nach der Kunst des Salbenbereiters. Und du sollst damit salben die Stiftshütte und die Lade mit dem Gesetz, den Tisch mit all seinem Gerät, den Leuchter mit seinem Gerät, den Räucheraltar, den Brandopferaltar mit all seinem Gerät und das Becken mit seinem Gestell. So sollst du sie weihen, dass sie hochheilig seien." ( 2. Mose 30, 22-29)

Doch wo Martin Luther "Kalmus" übersetzte, steht in der hebräischen Bibel "qaneh bosm" (קְנֵה־בֹ֖שֶׂם). Das bedeutet wörtlich "Duftgrasstängel" und ist der Ursprung des Wortes "Cannabis". Auch im Neuhebräischen spiegelt sich der biblische Befund: In Israel heißt Cannabis heute "Qannabbos".

In der jüdischen Welt sorgt die "qaneh bosm"-Stelle in der Tora für Diskussionen über den Konsum von Cannabis. Erlaubt oder nicht erlaubt? Wenn doch womöglich bei Stiftshütte, Leuchter und Bundeslade das süß duftende Harz des indischen Hanfs im Spiel war, der auch im Heiligen Land exzellent gedeiht!

Knaster aus der Hallertau

Dazu passt, dass es der israelische Chemieprofessor Raphael Mechoulam (geb. 1930 in Sofia) war, der als Erster die Cannabis-Wirkstoffe Tetrahydrocannabinol (kurz THC), Cannabidiol und Cannabigerol isolierte und chemisch untersuchte: Letzteres ist nicht psychoaktiv, wirkt aber blutdrucksenkend; Cannabidiol ist schwach psychoaktiv, wirkt entkrampfend, entzündungshemmend, angstlösend und gegen Übelkeit; Tetrahydrocannabinol schließlich hat über den Rausch hinaus eine Fülle von therapeutischen Wirkungen, die teils seit der Antike bekannt sind. Warum genau Cannabis bei multipler Sklerose, Übelkeit, Erbrechen und Kachexie (Gewichtsverlust) wirkt, warum es in der Schmerztherapie, bei Depressionen, bei gewissen Krebsformen und bei vielen Autoimmunerkrankungen hilfreich sein kann, ist aber noch nicht vollständig erforscht.

Nicht immer war übrigens das Rauchen von Cannabisblüten in Deutschland verpönt. Vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert war Hanf der Tabak der armen Leute. Als Faserproduzent zur Herstellung von Seilen wurde Hanf in weiten Teilen Deutschlands angebaut - am Oberhein, aber auch in der Hallertau.

Die Blüten steckten sich die Bauern in die Pfeife und rauchten sie als "Knaster".

Der Rausch, der sich dabei einstellte, war mild. Auch im Faserhanf steckt THC, aber viel weniger als im hochgezüchteten indischen Hanf, den heutige Kiffer schätzen.

Das Wort "Knaster" hat zwar ursprünglich eher mit teurem Tabak zu tun, der in spanischen Dörrspeichern namens "Canastros" getrocknet wurde; es passte aber auch wunderbar zu dem prasselnd-knackenden Geräusch, das entstand, wenn beim Hallertauer Hanfbauern die grünen Blättchen in der Pfeife brannten.