Kaum eine Stecknadel hätte man fallen hören können, als Pfarrer Martin Brons die Siegel der beiden Holzladen mit den Gebeinen des Heiligen Sebaldus aus dem achten Jahrhundert brach und die ersten der 13 purpurfarbenen Stoffsäckchen mit Reliquien des Nürnberger Stadtpatrons sowie Urkunden herausnahm. Fast eine halbe Stunde dauerte am Samstag der "performative Akt" der Visitation nach einem vorreformatorischen Ritual, das in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche St. Sebald erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Dann großes Aufatmen: Es ist alles noch da, was laut dem Protokoll der letzten Graböffnung im Jahr 1993 in den Laden sein soll.

Urkunden im Sebaldusgrab in Nürnberg

Zusammen mit Frank Heydecke, Restaurator am Germanischen Nationalmuseum, überprüfte Brons die Vollständigkeit der Säckchen und die Anzahl der Urkunden der bislang 18 Visitationen, bei denen sich Vertreter von Kirche, Stadt und Wissenschaft seit 1463 im Abstand von 25 bis 50 Jahren von der Vollständigkeit der Reliquien überzeugen. Ein Raunen ging durch die Reihen, als Brons eines der Säckchen hochhob und erklärte, laut Aufschrift sei dies der Schädel des Sebaldus.

Ein Hauch von Geschichte umwehte die Zuschauer, die sich um das Sebaldusgrab postiert hatten oder auf der Großleinwand miterlebten, wie Brons die Jahreszahlen alter Urkunden vorlas, von denen die erste aus dem Jahr 1463 stammt. Noch deutlicher wurde dies, als der Geistliche altehrwürdige Nürnberger Namen wie Tucher und Tetzel vorlas, die einst unterzeichnet und bezeugt hatten. Dasselbe taten nun anno 2019 neben dem Sebalduspfarrer der katholische Stadtdekan Hubertus Förster, Dombaumeisterin Alexandra Fritsch, Kathrin Müller vom Landesamt für Denkmalpflege, Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD) und Andrea Franke als Vertrauensfrau des Kirchenvorstands.

Ritual am Sebaldusgrab

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft würden in dem Ritual zusammentreten, so Brons, der es als ein identitätsstiftendes Geschenk an alle Nürnberger gleich welcher Konfession bezeichnete, das Ritual miteinander zu feiern. Die Gebeine des Sebaldus symbolisierten Stadtgeschichte, schon das Grabmal alleine sei mehr als eine Verpackung. Die "Marke" Sebaldus habe sich im Mittelalter als Exportschlager Nürnbergs erwiesen: Der Nürnberger Heilige, der vor über 1.000 Jahren für die Stadtväter ein wichtiger Ansprechpartner in Glaubens- und Lebensfragen gewesen sei, werde unter anderem auch im Berliner Dom verehrt.

Gerade am Tag nach Bekanntgabe der hohen Zahlen an Kirchenaustritten solle das Sebaldusgrabmal dazu aufmuntern, "mitten in unserem Alltag den Anbruch der Ewigkeit zu erkennen", sagte Brons. An OB Maly gewandt erinnerte er an das Jahr 2025, in dem Nürnberg Kulturhauptstadt werden möchte: Dann jähre sich auch zum 600. Mal die Heiligsprechung Sebalds.

Anlass der 19. Graböffnung war das 500. Jubiläum der Fertigstellung des Grabmals aus der Werkstatt Peter Vischers, das als eines der bedeutendsten vorreformatorischen Bronzewerke der Welt gilt. Das Grabmonument beherbergt einen silberbeschlagenen Schrein aus dem Jahr 1397, in dem die Gebeine des 1425 heiliggesprochenen Sebaldus liegen. Im Anschluss an die Visitation untersuchten Wissenschaftler die Laden, Säckchen und Urkunden.

Auf Facebook können Sie das Live-Videos zur Öffnung des Sebaldusschreines nachsehen.

Zwei Sebaldusgemeinden erhalten Knochenpartikel des Heiligen Sebald

Zwei reiskorngroße Knochenpartikel der Gebeine des Stadtpatrons sind zwei katholischen Sebaldusgemeinden im bayerischen Egling und oberösterreichischen Gaflenz übergeben worden. Wie Pfarrer Martin Brons mitteilte, waren die Stücke am Sonntag kurz vor dem Abendgottesdienst mit Abschluss der Visitation und Schließung des Sebaldusgrabes in einem Seidentuch gefunden worden.

Bei der Reinigung der Seidentücher, in der die 13 purpurfarbenen Stoffsäckchen mit den sterblichen Überresten des Heiligen Sebald eingewickelt und in zwei Holzladen verstaut waren, seien den Mitarbeitern des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege die beiden etwa drei Millimeter großen Knochenstücke aufgefallen. Die Frage, wie mit den Fragmenten umzugehen sei, habe schnell entschieden werden müssen.

"Da wir aber die alten und vernähten Reliquiensäckchen nicht öffnen oder ein neues Behältnis für die Knochenpartikel schaffen wollten, entschied ich als Sebalduspfarrer zusammen mit der Vertrauensfrau der evangelischen Kirchengemeinde und dem Landesamt, diese den Gemeinden zu überlassen, die sich schon seit Jahrzehnten um eine Reliquie des Heiligen Sebald bemühen", erklärte Brons.

Der Kirchenvorstand habe der Übergabe in einer Sitzung am Dienstag seine Zustimmung erteilt.

Möglich geworden sei sie allein durch den Zufallsfund der Knochenpartikel, die eventuell durch die Nähte eines der Säckchen in das Seidentuch im Ladeninneren gefallen waren. Der Bestand der in Nürnberg ruhenden Gebeine des Sebaldus wäre ansonsten nicht angetastet worden. Die Vertreter der beiden Gemeinden konnten die Fragmente in kleinen, transparenten Plastikdöschen mit nach Hause nehmen. Spontan musste die vorbereitete Urkunde, die nach Unterzeichnung durch die Visitatoren mit in den Sebaldusschrein eingeschlossen wurde, dafür handschriftlich um einen Zusatz ergänzt werden, den auch die Vertreter der Gemeinden unterzeichneten.

TV-Tipp

"Kirche in Bayern" ist das ökumenische TV-Magazin, das jeden Sonntag in fast allen bayerischen lokalen und regionalen Fernsehsendern ausgestrahlt wird. Genaue Sendeorte und -zeiten finden Sie auf www.kircheinbayern.de/ausstrahlung.