Seine Heimat ist ein abgelegener Bauernhof nahe der Stadt Skive in Jütland, Dänemark. Ziemlich isoliert, stinkig, langweilig. Seine Familie kämpft mit finanziellen Schwierigkeiten. Tues Vater ist Rinderfarmer, ein rauer Typ, der die Zeitung stets von hinten, beginnend mit den Todesanzeigen, liest. Und der nicht wirklich über die Runden kommt. Seine Mutter Lonny entwickelt nach dem Verlust ihres vierten Kindes eine Spielsucht und entfremdet sich zunehmend von ihrer Familie, darunter auch den beiden jüngeren Geschwistern Tues.

Mitreißender trockener Humor

Dem jugendlichen Tue, dem Erzähler, bleibt nur, sich irgendwie zu distanzieren – mit einer Menge mitreißendem trockenen Humor. Tue ist etwa 15 oder 16 Jahre alt, also genau an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend, geprägt von Neugier, aber auch Unsicherheit und dem Wunsch nach Anerkennung und Zugehörigkeit.

Mit einem kleinen Hang zum Morbiden, schildert Tue seine raue Umgebung. Im Gegensatz zu seinen Eltern ist er reflektiert und schildert die unzähligen kleinen Konflikte seiner Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten auf dem Hof, bei Familienfesten und in der Schule. Und irgendwie sitzt ihm ein Schalk wie bei Astrid Lindgrens "Michel aus Lönneberger" im Nacken. Selbst Schilderungen seiner Busfahrten zur Oma werden dabei lesenswert:

"Über dem Busfahrer hingt ein Schild, auf dem stand, dass man während der Fahrt nicht mit ihm sprechen durfte.

"Darf man jetzt mit Ihnen reden", fragte ich, als wir an einer Haltestelle anhielten.

"Was gibt’s?"

"Nichts. Ich wollte mich nur für die Fahrt bedanken!"

"Gern geschehen. Du bist aber ein höflicher, junger Mann."

"Manchmal", sagte ich und stieg aus."

Die Ausflüge zu den beiden Omas genießt der junge Mann. Meistens aber hilft er auf dem heruntergekommenen Bauernhof seiner Eltern aus, sammelt Kalbskadaver ein oder versorgt die zahlreichen Hunde, die nicht einmal einen Namen tragen. Er sorgt sich um seine Mutter, die ständig online pokert, und stellt hin und wieder ein paar Dummheiten an, um selber an Geld zu kommen. Wobei er stets erwischt wird, egal ob nun beim Pfandbetrug im Supermarkt, beim Öffnen der Briefe seines Vaters, wo er einen Scheck des Stromversorgers findet, oder bei Streichen in der Schule.

In der Schule läuft es für Tue vergleichsweise gut, auch wenn sie ihm nicht viel Spaß macht und er auch hier häufiger bei der Direktorin vorstellig werden muss. Am Ende des ersten Bandes der "Tue-Trilogie" darf er schließlich auf ein Gymnasium wechseln und kommt endlich damit raus in die Stadt. Womöglich seine Rettung, denn er merkt allmählich, dass er auf Jungs bzw. Männer steht – wofür in seiner Familie und in seinem Dorf nicht viel Platz zu sein scheint.

Das neue Wunderkind der dänischen Literatur

Die "Tue-Trilogie" wird im Herkunftsland des Autors bereits kräftig gefeiert. In Deutschland liegt jetzt der erste Band "Hof" vor, der zweite wird noch im Frühjahr erwartet. Dem Autoren Thomas Korsgaard gelingt es meisterhaft, die ländliche Szenerie und die sozialen Dynamiken einzufangen. Sein Sprachwitz und seine präzise Beobachtungsgabe verleihen der Erzählung eine besondere Tiefe und Authentizität.

In seiner thematischen Ausrichtung und der Darstellung sozialer Außenseiter erinnert "Hof" ein wenig an Édouard Louis "Das Ende von Eddy", wenngleich Tue vor allem durch seinen lakonischen Humor besticht und damit das Elend nicht ganz so schrecklich rüberkommt. Insgesamt ist die Lektüre von "Hof" ein intensives und bereicherndes Erlebnis, das durch Korsgaards sprachliche Finesse und seinen feinen Humor besticht. Wir sind sehr gespannt auf die nächsten beiden Bände.

 

Thomas Korsgaard (2024): Hof, Roman. Kanon Verlag, Berlin, 288 Seiten, 25 Euro.

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