Herr Neundorff, warum gibt es im Regensburger Theater demnächst ein Reformationskonzert?
Jens Neundorff von Enzberg: Ich bin ein glühender Bachianer. Bach ist für mich das Alpha und das Omega. Ich finde ihn extrem stark in seinen Textbearbeitungen. Dabei sind viele Kantaten entstanden, die auf Luther-Texten basieren. Insofern passt es zum Reformationsjubiläum.
Worin besteht für Sie der Zusammenhang zwischen Luther und Bach?
Neundorff: Ich bin in Thüringen geboren und erinnere mich, dass meine erste Doppel-LP die sechs Brandenburgischen Konzerte waren. Meine Mutter ist Germanistin und aufgeklärte Protestantin: Luther spielte in Gesprächen eine große Rolle. Über den Bach-Chor bin ich zu den Luther-Texten gekommen. Während meiner Zeit in Braunschweig war ich auch in Wittenberg und habe mich von Luther inspirieren lassen.
War Bach ein Lutheraner?
Neundorff: Bach und Luther haben elementare Dinge in der Welt angestoßen. Luther hat einen Text zugänglich gemacht, um den Menschen ein Bewusstsein zu geben, was sie hören, und hat sie aus der Entmündigung geführt. Und Bach hat mit seiner Musik so etwas Unglaubliches geschrieben, was für mich nie wieder erreicht wurde. In Bachs "Musikalisches Opfer" hört man Arnold Schönberg, man hört alles in ihm. Beide stehen aber solitär in unterschiedlichen Bereichen und haben doch etwas Gemeinsames: Luther war Musiker und Bach hat eben diese 30 Texte von Luther vertont. Das ist für mich die Klammer.
Der oft zitierte Satz "Ohne Luther kein Bach", ließe sich das musikalisch belegen?
Neundorff: Ehrlich gesagt, den teile ich nicht. Ich glaube, Qualität setzt sich durch. Vielleicht war Luther in gewisser Weise das Problem von Bach, weil er jeden Sonntag für Leipzig eine Kantate schreiben musste. So sind über 230 Kantaten entstanden. Heinrich Schütz ist 1585 geboren und kam auch aus dieser protestantischen Tradition, hat aber Opern geschrieben. Das hätte ich mir gerne von Bach gewünscht. Möglicherweise hat Luther, das ist eine reine Hypothese, Bach davon abgehalten, Opern zu schreiben. Wenn Sie sich die Messen anhören: Nicht umsonst ist die Matthäuspassion vertanzt worden, das ist, aufbauend auf einem Liturgie-Text, theatralische Musik. Es wird demnächst in Regensburg eine szenische Auseinandersetzung mit dem Bach-Werk geben, weil diese Musik über den Text eine theatralische Ebene schafft. Ich glaube, das gehört auf die Bühne.
Was macht Bach mit den Lutherliedern, deutet er sie aus?
Neundorff: Wenn man sich die h-Moll-Messe oder die Matthäus-Passion anhört: Ich glaube, dass Bach sich formal gesehen an die Liturgie hält. Das Kyrie ist ein Kyrie, das Gloria ein Gloria und das Agnus Dei ein Agnus Dei. Aber wenn man von der formalen Ebene weg- und ins Musikalische geht, die Art, wie Bach harmonisch arbeitet, war er seiner Zeit meilenweit voraus und ist in der Gegenwart nie eingeholt worden. Die Chromatik, die Bach vorgegeben hat, spiegelt sich bis ins 21. Jahrhundert. Das finde ich unglaublich solitär. Ich vermisse hier in Bayern die Pflege der protestantischen Kirchenmusik und auch die Pflege von Bach.
Sie führen auch eine Konzertouvertüre des Schweizer Komponisten Joseph Joachim Raff auf. Wer ist das?
Neundorff: Ich kannte ihn nicht und bin auf ihn aufmerksam gemacht worden. Dann habe ich versucht, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Erst einmal den vertonten Luther-Text "Ein feste Burg ist unser Gott" aufzuführen und dann diesen Raff zu spielen, das hat sich einfach kongenial ergeben.
In der vergangenen Spielzeit wurde hier am Theater das viel beachtete Stück "Krach im Hause Gott" aufgeführt. Hat Gott wieder Konjunktur?
Neundorff: Ich glaube, es ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis, sich an Bilder zu hängen, durch die es einem besser geht. Wir wissen auch, wie problematisch der Umgang mit dem Glauben sein kann, fast täglich sterben Menschen durch religiös motivierte Taten. Das Positive aber ist, dass Religion Hoffnung schafft und dass sie Bilder setzt, durch die es uns besser geht und die uns motivieren, etwas dazu beizutragen.
INFO
Reformationskonzert des Theaters Regensburg: Das Philharmonische Orchester unter Leitung von Tetsuro Ban führt Werke von Bach (3. und 5. Brandenburgisches Konzert), Joseph Joachim Raff und Frank Martin auf. Am Cembalo: Stefan Baier von der Hochschule für Katholische Kirchenmusik.
Termine: 30. Januar und 2. Februar 2017, Beginn jeweils 19 Uhr im Neuhaussaal.