"Ihr seid meine erste Gruppe seit dem Krieg", sagt Lea Belz Wiseman zu Beginn unserer Reise durch Israel. Die gebürtige Schweizerin lebt seit 1990 mit ihrer Familie in Haifa und arbeitet als Reiseleiterin. Doch wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen ist sie seit dem 7. Oktober 2023 – dem Tag des Hamas-Massakers und Beginn des Kriegs in Gaza – arbeitslos.
An jenem Tag war sie mit einer Gruppe im Norden Israels unterwegs. Als klar wurde, was passiert war, mussten ihre Gäste umgehend ausreisen. Seitdem liegt der Tourismus im Land praktisch brach.
Dabei hatte Israel 2019 mit 4,5 Millionen Besucher*innen einen Rekordwert erreicht. Das Heilige Land zählte damals zu den weltweit am schnellsten wachsenden Reisezielen. Rund sechs Prozent der Beschäftigten in Israel leben direkt oder indirekt vom Tourismus – eine zentrale Säule der Wirtschaft.
Gerade im Herbst, nach den jüdischen Feiertagen, beginnt normalerweise die Hauptsaison für Reisegruppen. Im Jahr 2023 fiel der erste Reisetag auf den 8. Oktober – einen Tag nach dem Terrorangriff.
Reiseveranstalter: "Schock für die Tourismusbranche"
Auch Roy Hertzmann, ein israelischer Reiseveranstalter mit Wurzeln in Nürnberg, erinnert sich:
"Das war ein Schock für die Tourismusbranche. Wir hatten 50 bis 60 Gruppen, die bereits gebucht waren – alle storniert. Das ist natürlich verständlich. Aber leider sind die Touristen bis heute nicht zurückgekommen."
Hertzmann lebt in Tel Aviv, spricht fließend Deutsch – mit leicht fränkischem Einschlag – und freut sich besonders über Gäste aus Bayern: "Ich bin zweisprachig aufgewachsen und ab und zu hört man sogar das Fränkische raus", sagt er mit einem Lächeln. Aber im ersten halben Jahr nach dem Angriff hätte auch er niemandem empfohlen, nach Israel zu reisen:
"Die Stimmung war nicht gut, die Hotels waren voll mit evakuierten Menschen – aus den zerstörten Kibbuzim im Süden und den vom Hisbollah-Beschuss betroffenen Orten im Norden."
Lage hat sich beruhigt, Neustart verläuft schleppend
Inzwischen habe sich die Lage etwas beruhigt, erzählt Hertzmann. Gruppenreisen sind wieder möglich, auch wenn der Neustart schleppend verläuft:
"Die Touristen interessieren sich meist für Tel Aviv als weiße Stadt und Kulturzentrum, sowie für die Heiligen Stätten rund um den See Genezareth und in Jerusalem – dort ist der Krieg gefühlt weit weg."
Tatsächlich erleben wir die Altstadt von Jerusalem wie selten zuvor: entspannt, menschenleer – fast surreal. Wo sich sonst Pilger drängen, spazieren wir ungestört durch die Gassen, in denen Souvenirhändler Kreuze, Dornenkronen, armenische Keramik und mehr anbieten. Die Läden sind fast leer. Etwas belebter geht es dort zu, wo sich Einheimische mit Fleisch, Gewürzen oder Kosmetik versorgen.
Sogar in die Grabeskirche gelangen wir ohne Wartezeit – direkt zum Heiligen Grab. Keine Schlangen, kein Gedränge. Die Atmosphäre ist ergreifend. Wir können die Details der Kunstwerke in aller Ruhe betrachten – ein seltener Moment der Andacht.
Nach dem Kirchenbesuch zieht uns der Duft frisch gewürzter Speisen in ein Restaurant. Schawarma mit Salaten, Oliven, Salzgurken, frisch gepresster Orangensaft, dazu ein Kardamom-Mokka – orientalischer Genuss pur. Für uns ist es ein entspannter Ausklang des Tages. Für den Wirt Subchi dagegen eher ein trauriger:
"Ihr seid meine vierte Gäste heute", sagt er – es ist halb sechs abends.
Wenig Touristen, besondere Erfahrungen
Die Händler und Gastronomen Jerusalems kämpfen ums Überleben. Doch für Besucher*innen ergeben sich einzigartige Begegnungen. Im Restaurant kommen wir mit den einzigen weiteren Gästen ins Gespräch – eine der beiden stellt sich als bekannte Schriftstellerin aus Prag heraus.
Wer im Frühjahr 2025 durch Israel reist, kann besondere Erfahrungen machen. Ich selbst habe mich als Touristin relativ sicher gefühlt. Roy Hertzmann erklärt: "Das Einzige, was passieren kann, ist ein Raketenalarm. Aber aktuell kommen die Raketen von den Huthis aus dem Jemen – die Armee hat mehr Zeit, sie abzuwehren. Deshalb fühlt es sich sicherer an als zur Zeit der Angriffe aus Gaza."
Natürlich bleibt die Lage angespannt, das Leid auf beiden Seiten – israelisch wie palästinensisch – ist groß. Dennoch geht das Leben weiter. Gerade im Alltag und im Tourismus funktioniert die Zusammenarbeit, betont Hertzmann:
"In den Nachrichten sieht man immer die Minderheiten, die laut schreien. Die Mehrheit, die Frieden will und zusammenlebt, die sieht man nicht."
Auch für Lea Belz Wiseman sind die persönlichen Begegnungen das Herz ihrer Arbeit. Wenn möglich, lädt sie kleinere Gruppen sogar zu sich nach Hause ein – gemeinsam mit israelischen Gästen: "Bei einem Glas Wein kann man sich ganz ungezwungen unterhalten. Und das ist immer ein Highlight auf so einer Reise."
Wie viele andere hofft sie auf ruhigere Zeiten – für sich, für die arabischen Händler in der Altstadt, für die Hotelangestellten, Taxifahrer, Busfahrer – und für alle Menschen im Land. Auf Sicherheit. Auf Frieden.
Der Artikel stammt vom 11. Juni 2025. Wenn ihr Reisepläne in die Region haben solltet, informiert euch bitte über die aktuelle Lage beim Auswärtigen Amt.
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