Es ist mucksmäuschenstill, nur die Stimme von Mohammad Sarhangi erfüllt den Raum. Gebannt lauscht das Publikum dem Wissenschaftler, der aus seinem Werk "Jahre der Angst, Momente der Hoffnung: Eine Gefühlsgeschichte der Migration" liest. Mit ihm auf der Bühne sitzt Schriftsteller Behzad Karim Khani, der mit seinem zweiten Roman "Als wir Schwäne waren" für Furore sorgte.
Beide Autoren sind in Teheran geboren, leben in Berlin und sind an diesem Abend zu Gast im Literaturhaus München – was Sarhangi gut gelaunt mit "So fangen Witze eigentlich an" kommentiert. Eingeladen wurden er und Khani unter dem etwas sperrigen Titel "Vater, Mutter, Kind - Familie im Exil".
Sarhangi und Khani: Zwei spannende Bücher
Warum sie zusammen eingeladen wurden? Keine Ahnung. Nun, beide haben persische Wurzeln und beide schreiben Bücher. Sarhangi, Historiker am Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, hat ein exzellent recherchiertes Sachbuch darüber geschrieben, wie Exil, Fremdheit und Diskriminierung die Gefühle von Migrant*innen prägen und auch über Generationen hinweg formen. In seinem neuen Roman erzählt Khani, Schriftsteller, in einer unglaublich dichten, mal zärtlichen, mal brutalen, immer präzisen Sprache die Geschichte einer Familie, die in den 1990er Jahren aus dem Iran nach Deutschland flieht und in einer Plattenbausiedlung im Ruhrgebiet lebt.
Da gibt es durchaus Überschneidungen, die an diesem Abend aber leider eher selten und wenn, dann eher trotz als wegen der Moderation zum Vorschein kommen. Diese übernimmt Susanne Lüdemann, Professorin für Neuere deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sicherlich eine ausgewiesene Expertin auf ihrem Gebiet, gelingt es ihr bei der Doppellesung nur selten, den beiden Autoren wirklich interessante Aussagen zu entlocken.
Das ist schade, denn hier sitzen zwei sehr spannende Persönlichkeiten. Die eine, Sarhangi, hat eine wahnsinnig spannende Analyse der Gefühlswelt von Migrant*innen geschrieben. Elegant verwebt er dabei eigene Erfahrungen mit Oral-History-Interviews und autobiografischen und literarischen Veröffentlichungen. Der andere, Khani, hat den vielleicht besten deutschsprachigen Roman der letzten Zeit geschrieben, der sich in gewisser Weise auch mit Migrant*innen beschäftigt – aber eben, wie er auf eine Frage der Moderatorin betont, aus künstlerischer, nicht wissenschaftlicher oder gar politischer Sicht.
Spontane Heiterkeit und die Frage der Herkunft
Der Abend hat seine besten Momente, wenn Dinge einfach spontan passieren. So erwähnt Sarhangi den iranischen Sänger Dariush Eghbali, Perser*innen einfach als Dariush bekannt. Khani steigt sofort darauf ein und erzählt eine lustige Anekdote: Eine Freundin und er hätten sich kürzlich traurige iranische Lieder geschickt, eine Art Wettbewerb – aber mit der Regel "Dariush zählt nicht", das wäre zu einfach.
Große Heiterkeit im Saal, doch die Moderatorin meint, die gute Stimmung abkühlen zu müssen, mit dem kühlen, fast schroffen Hinweis, sie habe sich in Vorbereitung auf diesen Abend einige Lieder von Dariush angehört - "und bei mir löst das gar nichts aus". Autsch.
Solche Momente ziehen sich durch den ganzen Abend: Statt der guten Energie zwischen Sarhangi und Khani, die beide zu Späßen aufgelegt sind und das Publikum ein ums andere Mal zum Lachen bringen, einfach freien Lauf zu lassen, bremst sie immer wieder.
Bezeichnend ist auch, dass sich ihre Fragen fast ausschließlich um das Thema Migration drehen. Und dieser Umstand enthält, abgesehen davon, dass er inhaltlich eher ärgerlich ist, eine tragische Erkenntnis über den deutschen Literaturbetrieb, mehr noch, über die gesamte deutsche Gesellschaft: Du bist ein kluger Mensch, du schreibst ein kluges, fantastisches Buch – aber alles, was die weiße Mehrheitsgesellschaft letztlich interessiert, ist deine Herkunft. Übrigens: Am nächsten Tag wird der Deutsche Bundestag über einen Antrag der Union zur drastischen Verschärfung des Asylrechts abstimmen, der für eine knappe Mehrheit auf die Stimmen der AfD angewiesen ist.
Sollten sich Sarhangi und Khani an dieser etwas verengten Sicht auf ihr jeweiliges Werk stören, so lassen sie es sich jedenfalls nicht anmerken. Dank ihres Charmes und vor allem Khanis Humor ist der Abend trotz dieses kleinen Schönheitsfehlers sehr gelungen und bietet neben viel Stoff zum Nachdenken auch immer wieder witzige Momente. Zum Beispiel diesen: Sarhangi drückt vor seiner Lesung seine Bewunderung für Khanis Roman aus und betont, welche Ehre es für ihn sei, mit ihm auf einer Bühne zu sitzen, was der so Gelobte mit einem trockenen "Liest du jetzt aus meinem Buch vor?" kommentiert.
Die Bücher
Behzad Karim Khani. Als wir Schwäne waren. Hanser Berlin. 187 Seiten. 22 Euro.
Hier im sozialen Buchhandel Buch7 bestellen
Mohammad Sarhangi. Jahre der Angst, Momente der Hoffnung. Eine Gefühlsgeschichte der Migration. S. Fischer Verlag. 318 Seiten. 26 Euro.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden