Das soll es gewesen sein? Mit diesem Gefühl entließ mich die Evangelische Journalistenschule (EJS) im November 2016 aus meinem Volontariat. Die 22 Monate waren viel zu schnell zu Ende gegangen. 22 Monate, in denen ich mehr Zeit in dem Gebäude hinter dem Bahnhof Zoo verbracht hatte als in meiner Berliner Wohnung. In denen aus uns 16 Volontär*innen eine Crew und aus meinem Traum vom Leben als Journalistin ein greifbares Ziel geworden war - Dank der großartigen Ausbildung an der EJS.

Ja, die fast zwei Jahre hatten es in sich gehabt. Kein Tag war verschenkt gewesen. Journalist*innen lehrten uns das Metier von der Pike auf. Recherchieren, Faktenchecken, Sprechtraining. Wie schreibt man Nachrichtentexte, wie Reportagen oder Porträts? Was ist beim Texten für online anders als im Print, wie erreiche ich Menschen in den sozialen Medien, wie geht Datenjournalismus? Radio, Fernsehen, Magazinproduktion. Immer als Leuchtturm an unserer Seite unsere Mentor*innen, erfahrende Medienleute.

Volontariat an der Evangelischen Journalistenschule: 22 bewegte Monate

Eine Reise nach Israel in Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk, um den Sound des Heiligen Landes für das Osterprogramm einzufangen, nach Genf zur UNO und zum Ökumenischen Rat der Kirchen, nach Brüssel zum Europäischen Parlament, in die Redaktion des Kirchentags in Stuttgart und zur Digitalkonferenz re:publica. Zwischendurch vier Praxisstationen in Redaktionen im In- und Ausland, in denen wir nicht selten mit positiven Erwartungen empfangen wurden. Der gute Ruf früherer EJS-Volontär*innen eilte uns stets voraus.

Die Zeit an der EJS hat mich gefordert, an meine Grenzen und darüber hinaus gebracht. Ständig neue Herausforderungen, neue Menschen, neue Geschichten.

Nie war ich so kreativ, nie so sehr auf Adrenalin. Ja vielleicht habe ich nie so intensiv gelebt wie in diesen 22 Monaten.

Was trotz allem Üben und Beiträgemachen zur Tagesordnung gehörte, waren unsere Diskussionen in der Ausbildungsklasse.

Diskussionen darüber, wie wir aktuelle Berichterstattung wahrnahmen und was wir in schwierigen Situationen für ethisch richtig hielten. Darüber, was wir als Journalist*innen anders machen und wie wir mit den Menschen hinter einer Geschichte umgehen wollten. So unterschiedlich wir auch waren: Unsere Wertvorstellungen hielten uns zusammen. Sie waren - unabhängig davon, ob oder woran jeder persönlich glaubte - unsere gemeinsame Basis. Für eine Schule mit der Kirche als Träger fand ich das ziemlich einzigartig.

Die Evangelische Journalistenschule vor dem Aus

Das soll es gewesen sein? Im Frühjahr 2020 mobilisierte der Freundeskreis der EJS mit der Aktion "EJS retten" die ganze Medienbranche und evangelische Kirche. Die Finanzierung der EJS sollte eingestellt werden, der 13. Ausbildungsjahrgang der letzte sein. Mehr als 1.500 Unterschriften kamen im Protest gegen die Schließung zusammen, Namen wie Ingo Zamperoni, Marietta Slomka, Anne Will und Caren Miosga waren unter dem offenen Brief an den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu lesen. Neben ihren Vollzeitjobs engagierten sich EJS-Absolvent*innen für den Erhalt der Schule, erarbeiteten ein zukunftsfähiges Konzept, suchten das Gespräch mit Entscheidern des Gemeinschaftswerkes Evangelischer Publizistik (GEP) und Ratsmitgliedern der EKD.

Die Corona-Krise mit all ihren finanziellen Auswirkungen auch auf die Kirche überschattete die Zukunftspläne, erstickte die Bemühungen des Freundeskreises, eine Lösung zu finden, jedoch zu keiner Zeit. Bedeutungsschwangere Worte wurden vonseiten der EKD und des GEP verlautbart, der hohe Stellenwert des Qualitätsjournalismus hervorgehoben, der gerade in Zeiten der erstarkenden Rechten und in der globalen Krise um Corona, Fake-News und das Klima wichtiger sei denn je. Die Entscheidung über das Los der EJS wurde lange hinausgezögert und fiel dann doch zugunsten des Sparkurses aus.

Die Evangelische Kirche gibt eines ihrer Aushängeschilder auf

Das war es jetzt also. Und ich frage mich: Sieht die Kirche denn nicht, was sie da aufgibt? Jeder von uns Absolvent*innen ist durch die Zeit an der Schule Botschafter*in der EJS geworden. Überall da, wo wir sind und arbeiten, tragen wir das, was uns die Ausbilder*innen an der Evangelischen Journalistenschule mitgegeben haben, in weltliche wie kirchliche Redaktionen. Im Zeichen der EJS setzen wir uns ein für die Zukunft eines kritischen, verantwortungsvollen und auf Werten basierten Journalismus. Und wir hätten noch viele mehr werden können. Die Evangelische Kirche hat sich bewusst dagegen entschieden.

Eine bittere und falsche Entscheidung. An der EJS haben wir 27 Jahre lang unter ständigem Spardruck und mit verhältnismäßig kleinem Budget eine hochwertige Ausbildung gewährleistet. Ausgerechnet im Bereich Qualitätsausbildung für Journalistinnen und Journalisten die Lichter auszuknipsen, ist ein verheerendes Signal nicht nur für die evangelische Publizistik. Die Förderung von Professionalität, Zivilcourage, innerer Unabhängigkeit und Verantwortung im Journalismus war einmal ein zentrales Anliegen der Evangelischen Kirche. Gesellschaftliche Einmischung um Gottes und der Menschen willen, hieß es. Heute fehlt es am ernsthaften Willen, dafür auch Geld auszugeben.

Oscar Tiefenthal, Leiter der EJS

Hintergrund

Seit 1995 hat die Evangelische Journalistenschule rund 220 Journalist*innen ausgebildet. Viele von ihnen arbeiten für namhafte Redaktionen und haben zahlreiche Auszeichnungen für ihre Arbeiten erhalten. Andere sind in Kirche und Diakonie, in Stiftungen und NGOs tätig. Die Journalistenschule hat zudem mehrere Tausend Volontär*innen von Tageszeitungen und anderen Medien und NGOs in Kompaktkursen ausgebildet.

Bereits nach Bekanntwerden der geplanten Schließung im Frühjahr 2020 hatten sich mehr als 1.500 Unterzeichner*innen, darunter namhafte Journalist*innen, aber auch Vertreter*innen aus Kirche und Zivilgesellschaft, in einem offenen Brief für den Fortbestand der EJS ausgesprochen. Daraufhin hatte der Rat der EKD die Schließung vertagt, gleichzeitig aber die Ausschreibung eines neuen Jahrgangs an der EJS ausgesetzt.

Evangelische Journalistenschule als digitales Kompetenzzentrum "EJS 4.0"

Gemeinsam verhandelten das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP) als Träger der Schule und die Initiative "ejs_retten" seitdem über ein mögliches Neukonzept der Evangelischen Journalistenschule als digitales Kompetenzzentrum "EJS 4.0". Zur dafür gegründeten Task-Force gehörten unter anderem Thorsten Dörting (Alumnus, SPIEGEL-Chefredakteur), Sascha Lobo (DER SPIEGEL), Lina Timm (Media Lab Bayern), Andreas Fauth (Medienhaus EKHN), Hanno Terbuyken (Church Desk) und Rieke C. Harmsen (Evangelischer Presseverband für Bayern).

Dieses Konzept sah vor, neben der reformierten grundständigen Journalismus-Ausbildung den Bereich der Fort- und Weiterbildung deutlich auszubauen, und zwar mit einem dezidierten Schwerpunkt in digitalen Kompetenzen. Diese sollte neben Journalist*innen auch gezielt Mitarbeitende in Kirche und Diakonie, in NPOs und NGOs und anderen Bereichen engagierter Zivilgesellschaft ansprechen. Ziel wäre es gewesen, Kommunikationsexpert*innen auszubilden, die den digitalen Wandel der Medienwelt antizipieren, mitgestalten und kritisch begleiten können.

Kein Geld für das EJS-Zukunftsmodell

Das Konzept wurde zwar vom GEP-Aufsichtsrat mehrheitlich als zukunftsorientiert positiv angenommen, dennoch blieb die Frage der Finanzierung der Schule bis zum Schluss ungeklärt. Verhandlungen über eine Absicherung des finanziellen Risikos mit der EKD scheiterten; weitere Gelder – zum Beispiel über Stiftungen – konnten auch aufgrund der unklaren Zukunft der EJS nicht eingeworben werden.