Mehr Kooperationen, mehr Innovationen!

Das war der zentrale Appell beim Eröffnungsgipfel der 32. Medientage München. Der bayerische Medienminister Georg Eisenreich zum Beispiel wünscht sich in Deutschland mehr Tempo, um die digitale Transformation der Gesellschaft voranzutreiben. "Der deutsche Perfektionismus ist in der digitalen Welt eine Schwäche", sagte der CSU-Politiker am Mittwoch bei den Medientagen. Es seien auch mehr Kooperationen und mehr Vernetzung erforderlich. Voraussetzung sei, dass der Gesetzgeber Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb schaffe. Auch andere Teilnehmer des Eröffnungsgipfels plädierten für mehr Zusammenarbeit.

Der neue ProSiebenSat.1-Vorstandschef Max Conze sagte, Medienunternehmen müssten "mehr gemeinsam machen". Sie könnten sich dabei auch von neuen Technologien beispielsweise aus China anspornen lassen. Für seinen Konzern kündigte Conze an, mehr in deutsche Inhalte zu investieren - "auch in News und Infotainment". Conze setzt sich damit von seinem Vorgänger Thomas Ebeling ab, der gesagt hatte, Nachrichten bei Privatsendern seien zwar für das Image bei Politikern wichtig, aber nicht unbedingt bei allen Zuschauern.

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm warb erneut für seine seit längerem bekannte Idee einer europäischen Internetplattform, die nach "europäischen Werten" gestaltet sei und ein Gegenstück zu US-Angeboten wie YouTube sein könne. Mitwirken könnten neben öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern auch Verlage oder kulturelle Institutionen. Der Anstoß dazu müsse allerdings aus der Politik kommen.

Wenn sich die Politik gegen diese Idee entscheide, könnten Journalisten aber auch von sich aus viel tun, um Glaubwürdigkeit aufzubauen, betonte Wilhelm, der Intendant des Bayerischen Rundfunks (BR) ist. Wichtig sei etwa, den Wert von "kuratierten Angeboten" deutlich zu machen, die nach anerkannten journalistischen Kriterien hergestellt werden.

Andrew Keen Medientage München 2018

Andrew Keen: Im Internet gibt es nichts umsonst

Der Autor und Digitalexperte Andrew Keen forderte die Internetnutzer in einer Keynote auf, ihre Interessen gegenüber großen Technologiekonzernen wie Facebook deutlicher zu artikulieren. "Die Nutzer müssen aggressiver und fordernder auftreten", sagte er. Dazu müssten sie verstehen, dass ein gratis angebotenes Produkt "in Wirklichkeit niemals umsonst ist", weil im Zweifel mit persönlichen Daten gezahlt werde.

Die große Versprechen des Internets seien mehr Transparenz, Partizipation und Kommunikation gewesen, so Keen. Die Realität sehe anders aus: "Google, Youtube und Instagram machen den Nutzer zum Produkt und zerstören seine Privatsphäre." Zudem verbreiteten sich Fake News rasant. "Die sogenannten sozialen Medien sind alles andere als sozial", sagte Keen.

Keen, dessen Buch "How to fix the future - Fünf Reparaturvorschläge für eine menschlichere digitale Welt" kürzlich erschienen ist, mahnte auch eine bessere Regulierung der großen Internetfirmen an. Nötig sei zudem ein neues Bildungssystem, sagte der britisch-amerikanische Autor. Dieses könnte zum Beispiel Elemente aus der Waldorf-Pädagogik aufnehmen, die auf Empathie und Kreativität setzt.

Liz Corbin: Fake News sind kein neues Phänomen

Liz Corbin ist als "Reality Check Editor" eine erfahrene Fake-News-Jägerin der britischen Rundfunkanstalt BBC. Seit Januar ist die 38-jährige Journalistin Nachrichtenchefin beim globalen Fernsehsender BBC World News in London, zuvor arbeitete sie lange im BBC-Büro in Singapur. Fake News hält sie für kein neues Problem - aber für eines, das an Dringlichkeit gewonnen hat. Mehr dazu im Interview:

Liz Corbin BBC Medientage München 2018

Soziale Medien wie Facebook und Twitter werden häufig für die Verbreitung von Fake News verantwortlich gemacht. Gibt es aus Ihrer Sicht andere gesellschaftliche Faktoren, die das Entstehen von Fake News begünstigen?

Corbin: Fake News gab es schon lange vor den Sozialen Medien. Die neuen Online-Plattformen ermöglichen es jedoch jedem, Nachrichten, die nicht von etablierten, erfahrenen, einer Medienaufsicht unterliegenden Nachrichtenorganisationen auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wurden, aufzunehmen und zu teilen. Die BBC führt aktuell im Rahmen ihres "Beyond Fake News"-Projektes eine Studie durch, die auch untersucht, warum Menschen Falschinformationen verbreiten. Wir werden die Ergebnisse noch dieses Jahr veröffentlichen. Wichtig ist es festzustellen, dass Fake News kein neues Phänomen sind, aber im Internetzeitalter erheblich präsenter auftreten.

Welche Strategien hat die BBC entwickelt, um Fake News zu identifizieren und ihre Verbreitung im eigenen Programm zu vehindern?

Corbin: Die BBC ist seit fast 100 Jahren eine vertrauenswürdige Nachrichtenquelle. Mehr denn je müssen wir uns auf das besinnen, worin wir all die Jahrzehnte gut waren, die Prüfung von Fakten, eine genaue Berichterstattung und eine verlässliche Analyse der Fakten. Aber auch wir passen uns an und erneuern uns, um auf die geänderten Gewohnheiten des Nachrichtenkonsums zu reagieren. Wir haben neue Teams zusammengestellt und neue Dienste entwickelt, wie den "BBC Reality Check", und das "User Generated Content"-Team, das Storys, die viral gehen, oder Geschichten, die in den Sozialen Medien viel Beachtung bekommen, verifiziert. "BBC Reality Check" wurde inzwischen ausgeweitet, um Falschinformationen auch global zu bekämpfen. Nächstes Jahr wird es in dem Zusammenhang eine Sonderberichterstattung von den Wahlen in Indien geben.

Wie können sich kleine Medien, die nicht über eine so große Personalkapazität wie die BBC verfügen, gegen Fake News wappnen?

Corbin: Für Nachrichtenanbieter, die vertrauenswürdige Informationen liefern wollen, ist die beste Strategie gegen Falschinformationen, fest zu den journalistischen Grundprinzipien zu stehen. Überprüfen Sie die Fakten, auch wenn dies banal klingen mag, stellen Sie sicher, dass die Geschichte, die Sie erzählen wollen, genau und fundiert ist. Natürlich kann sich BBC World News auf die Expertise von Korrespondenten in aller Welt stützen. Auch für uns gilt jedoch der altmodische Ansatz: mit den Menschen sprechen, zwei Seiten einer Geschichte hören, alle Einzelheiten mit Hinweisen zusammenführen - darauf fußt der Journalismus der BBC.

 

Die Sprache der Medien

Bascha Mika Medientage München 2018

Die Chefredakteurin der "Frankfurter Rundschau", Bascha Mika, sieht den Journalismus bei sprachlichen Provokationen etwa durch Rechtspopulisten in einem Dilemma. "Nicht darüber zu berichten ist keine Lösung, aber über die Form der Berichterstattung muss nachgedacht werden", sagte Mika am Donnerstag bei den Medientagen. Mit kalkulierten Tabubrüchen wie "Kopftuchmädchen" und "Messer-Männer" versuche die AfD immer wieder, die Grenzen des Sagbaren zu verschieben.

Der "Spiegel"-Kolumnist Jan Fleischhauer sagte, derzeit seien besonders rechte Parteien mit dem Versuch erfolgreich, durch neue Begriffe ein "negatives Framing" für politische Debatten zu schaffen. Lange Zeit sei dies eine Domäne des linken Spektrums gewesen. So sei der Begriff "Herdprämie" von den Linken erfunden worden, um das Betreuungsgeld in Misskredit zu bringen. Wenn ein Politiker wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) einen Begriff wie "Asyltourismus" verwende, sei es aber die Aufgabe von Journalisten, dies auch zu thematisieren.

Die Sprach- und Kognitionswissenschaftlerin Elisabeth Wehling appellierte an Journalisten, stärker darüber zu reflektieren, wie derartige Rahmungen in die eigene Berichterstattung Eingang finden. Auch in der kritischen Betrachtung und Verneinung eines Frames werde dieser beim Nutzer gedanklich reproduziert, wie Forschungen zeigten. Das bedeute aber nicht, dass es keine Debatte über problematische Begriffe mehr geben dürfe. "Diskurskritik ist zentral", sagte Wehling, die an der Universität von Kalifornien in Berkeley lehrt.

 

Ufa-Direktor: Deutsche Anbieter müssen nicht von Netflix wachgeküsst werden

Der Generaldirektor der Produktionsfirma Ufa, Nico Hofmann, hat Kritik am Aufbau des TV-Gipfels bei den Medientagen München geübt. "Ich finde das Setting hier schwierig", sagte Hofmann am Donnerstag. Es sei problematisch, dem Streamingdienst Netflix zunächst separat 30 Minuten Zeit einzuräumen und hinterher eine gemischte Diskussionsrunde mit Vertretern deutscher Medienunternehmen abzuhalten. Zu Beginn der anderthalbstündigen Veranstaltung war die Netflix-Produzentin Kelly Luegenbiehl zu ihren Strategien für den deutschen Markt interviewt worden.

"Es ist eine Fehleinschätzung, dass wir alle von Netflix wachgeküsst werden müssten", so Hofmann. Deutsche Anbieter müssten sich nicht verstecken. Netflix sei ein "anerkennenswerter Player" in einer Produktionslandschaft, die bereits seit Jahren sehr lebendig sei. Bei der Ufa machten Aufträge von Netflix aber nur fünf bis sechs Prozent des des Jahresumsatzes aus. Ähnliches gelte auch für andere Produktionsfirmen.

Kelly Luegenbiehl Netflix Medientage München 2018

Der US-Streamingdienst Netflix ist in Deutschland seit Herbst 2014 verfügbar. Mit der Mysteryserie "Dark" startete Ende 2017 das erste Netflix-Original, das komplett in Deutschland geschrieben, gedreht und produziert wurde. "Dark" wurde in diesem Jahr mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Netflix-Produzentin Luegenbiehl sagte in München, "Dark" sei in 130 Ländern unter den jeweils zehn beliebtesten Serien des Streamingdienstes. Die aus acht Episoden bestehende zweite Staffel werde im ersten Halbjahr 2019 gezeigt. Sie knüpfe direkt an die erste Staffel an und werde wieder "voller Überraschungen und Wendungen" sein. Bereits im Dezember starte die in Berlin spielende Dramaserie "Dogs of Berlin".

Netflix plant fünf neue Originalserien, die in Deutschland spielen:

  • In der musikbasierten Serie "Skylines" spielt ein junger Frankfurter Hip-Hop-Produzent kriminelle Unterwelt und Polizei gegeneinander aus. Die Musik spiele in dieser Serie eine besondere Rolle. Frankfurt sei zudem eine Stadt, mit der sich Netflix bisher noch nicht beschäftigt hat.
  • Eine epische Science-Fiction-Serie des Creators Philip Koch mit dem Titel "Tribes of Europe" werde in einer post-apokalyptischen Zukunft "eine Art Umkehrung von Mad Max" sein.
  • Die historische Serie "Die Barbaren" erzähle vom brutalen Kampf zwischen der römischen Armee und germanischen Stämmen.
  • In der Jugendkomödie "Don't Try This At Home" bauen laut Ankündigung drei Schüler einen Online-Drogenhandel auf - Produktionsfirma ist die bildundtonfabrik, die auch für Jan Böhmermanns "Neo Magazine Royal" verantwortlich ist.
  • Geplant sei auch eine Miniserie für Weihnachten, die noch keinen Namen hat, aber ein "auf einem weiblichen Charakter basierendes Familiendrama" sei. Zum Fest der Liebe treffen sich darin vier Frauengenerationen und werden mit langgehegten Geheimnissen konfrontiert.

Medientage München

Der Medienfachkongress wurde im Jahre 1987 ins Leben gerufen. Themen waren von Beginn an aktuelle medienpolitische Aspekten, Werbung, Vermarktung, neue Angebotsformen, Fragen der Programmqualität, Jugendschutz und viele mehr. Bis 1998 veranstaltete die Münchner Gesellschaft für Kabelkommunikation (MGK) den Kongress.

Seit 1999 führt die DVB Multimedia Bayern, die im März 2007 in "Medientage München GmbH" umbenannt wurde, die Veranstaltung der Medientage durch. Die begleitende Medienmesse ist seitdem integraler Bestandteil. Unterstützt werden die Medientage von der Bayerischen Staatskanzlei und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM).

Nach eigenen Angaben ist die Fachmesse für die Medien- und Kommunikationswelt Europas größter Medienkongress und zählt mehr als 7.000 Teilnehmer aus dem In- und Ausland, 400 Referenten und 90 Einzelveranstaltungen. Experten aus Fernsehen, Hörfunk, Print und Mobilkommunikation treffen auf Spezialisten aus den Bereichen Digitalisierung, Internet und Multimedia ebenso wie Werbeprofis, Medienpolitiker und Filmschaffende.

Zum Rückblick zu den Medientagen 2017 geht es hier.