Mehr antisemitische Vorfälle in Bayern im vergangenen Jahr verzeichnete die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern. So stieg die Zahl von 178 im Jahr 2019 auf 239 im Jahr 2020, berichtete RIAS-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpaci bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020 im Presseclub in München. Besonders groß war der Anstieg bei Fällen mit einem verschwörungsideologischen Hintergrund.

Mehr Vorfälle von Antisemitismus durch Corona-Demonstrationen

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, nannte es "frappierend, dass auf der einen Seite das öffentliche Leben seit einem Jahr fast lahmgelegt ist und es andererseits 2020 mehr antisemitische Vorfälle gegeben hat als im Jahr davor - und zwar gerade auf der Straße".

Durch die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen habe sich Antisemitismus weit mehr in der Öffentlichkeit geäußert als im Jahr 2019, sagte Seidel-Arpaci weiter. 108 Vorfälle hatten einen Bezug zur Corona-Pandemie.

Drittel der Fälle hat verschwörungsideologischen Hintergrund

Standen im Jahr 2019 antisemitische Vorfälle mit einem rechtsextremen oder rechtspopulistischen Hintergrund noch an erster Stelle, sind nun mit 33 Prozent Vorfälle mit einem verschwörungsideologischen Hintergrund der Spitzenreiter. Antisemitismus sei als verbindendes Element der verschwörungsideologischen Szene zu betrachten, in der sich Menschen aller politischen Couleur zusammenfinden.

Wenn sich Demonstranten gelbe Sterne anhefteten und Corona-Maßnahmen mit dem Holocaust gleichsetzten, verhöhnten sie die Überlebenden der Schoah und die sechs Millionen Toten auf erschreckende Weise, sagte Josef Schuster: "Das ist ganz klar Volksverhetzung und gehört geahndet."

RIAS erfasst auch Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze

Die Zahlen von RIAS seien eine "wichtige Ergänzung zu staatlich erhobenen Statistiken", weil sie auch Vorfälle zählten, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze lägen, sagte Carolina Trautner (CSU), Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales.

Gerade in der Corona-Krise gäben antisemitische Verschwörungsideologien vermeintlich einfache Erklärungen und Antworten. "Antisemitismus ist eine Gefahr für unsere demokratische Kultur. Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft Antisemitismus erkennen und entschieden, mutig und gemeinsam dagegen vorgehen", sagte Trautner.

FDP-Bayern-Chef Föst: Zunahme antisemitischer Gewalt ist Weckruf

Wenn jüdische Menschen in ihrer Freizügigkeit eingeschränkt würden und sich vor Angriffen fürchten müssten, "betrifft das unseren gesellschaftlichen Frieden im Kern", sagte Ludwig Spaenle, Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung und Schirmherr des Vereins für Aufklärung und Demokratie e.V. (VAD), dem Träger von RIAS Bayern. Dagegen müsse man vorgehen mit Solidarität mit den Betroffenen, Prävention durch Bildung und Repression durch Polizei und Justiz.

"Die Zunahme antisemitischer Gewalt ist ein Weckruf", erklärte auch FDP-Bayern-Chef Daniel Föst. Er forderte mehr politische Bildungsarbeit, einen Ausbau der Meldestellen für antisemitische Vorfälle, eine konsequente Entwaffnung rechtsextremer Milieus, mehr Polizeipräsenz und eine effektivere Zusammenarbeit der Landes-, Bundes- und Verfassungsschutzbehörden.

Zahlen insgesamt niedriger als offizielle Statistik des Innenministeriums

RIAS Bayern dokumentierte 2020 insgesamt einen Angriff, zehn Bedrohungen, 13 gezielte Sachbeschädigungen, 27 Massenzuschriften und 188 Fälle von verletzendem Verhalten.

Dass die Zahlen insgesamt niedriger seien als die offizielle Statistik des Innenministeriums erklärte Seidel-Arpaci damit, dass der Großteil der von RIAS dokumentierten Fälle unterhalb der Grenze zur Strafbarkeit läge. Deshalb müsse man die RIAS-Zahlen "tragischerweise" wohl zur offiziellen Polizeistatistik hinzuzählen, sagte Seidel-Arpaci.

RIAS Bayern existiert seit 2019, befindet sich in der Trägerschaft des Vereins für Aufklärung und Demokratie e.V. (VAD) und wird vom Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert.