Hoch soll es leben: 70 Jahre wird unser Grundgesetz – und bleibt "forever young". Wahrlich ein Grund zum Feiern. Hat sich doch dieser weltliche Wertekanon, dieses später immer wieder fortgeschriebene Bekenntnis zu Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit über alle Umbrüche hinweg bewährt. Vor 30 Jahren ist das einstige Provisorium dann sogar zur gemeinsamen Verfassung des wiedervereinigten Deutschlands geworden.

Geprägt durch die Lehren aus der Weimarer Republik und vor allem aus der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft setzte das Grundgesetz 1949 das Startsignal für einen radikalen Neubeginn in Deutschland. Dafür standen sowohl der Gottesbezug in der Präambel als auch die allem übergeordnete Achtung der Menschenwürde in Artikel 1.

Orientierung für und auf ein vereintes Europa hin

Gerade die Kirchen haben unserem Grundgesetz viel zu verdanken – nicht nur wegen ihres besonderen Selbstbestimmungsrechts und der Religionsfreiheit. Auch wegen zahlreicher Festlegungen in Sachen Gleichheitsgrundsatz, Sozialstaatlichkeit und unveräußerliche Menschenrechte. Nicht zu vergessen der schon damals in der Präambel formulierte Wille, "in einem vereinten Europa dem Frieden in der Welt zu dienen". Später kam dann als Konkretisierung Deutschlands "Mitwirkung bei der Entwicklung der EU" hinzu – unter Wahrung eines mit unserer Verfassung vergleichbaren Grundrechteschutzes.

Fast 75 Jahre Frieden und Freiheit gehen so auch auf das Konto unseres Grundgesetzes. Auch die Wirtschafts- und Währungsunion wurde zum Erfolgsmodell.

Europäische Antworten auf Globalisierung und Digitalisierung?

Auf der Strecke blieb allerdings bisher die von vielen Europäern ersehnte Sozialunion als Antwort auf die Verunsicherung durch Globalisierung und Digitalisierung. Eine Steilvorlage an Nationalisten und Populisten.

Ebenso wie die Vernachlässigung Europas als Werteunion: Über die Konkretion der im Grundgesetz und in der EU-Grundrechtecharta garantierten Menschenrechte, der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit herrscht mittlerweile längst nicht mehr überall Einverständnis – man denke nur an die Migrationsfrage. Dafür haben Angstmacherei, Ausgrenzung und Hetze Konjunktur, wird – siehe Brexit – Brüssel die Schuld für hausgemachte Versäumnisse zugeschoben. Noch befeuert wird der Erfolg von Rechtspopulisten und Nationalisten in Europa durch gezielte Desinformationen aus Russland und wirtschaftliche Umklammerung durch China.

Der nationalistische Spaltpilz wächst. Es liegt jetzt an Europas Wählern, auf den freiheitlichen Werten zu bestehen und den schleichenden Erosionsprozess der EU aufzuhalten.