Eigentlich hätte Ben Ferencz längst den Friedensnobelpreis bekommen müssen, findet der Historiker und Journalist Philipp Gut. Frieden und Gerechtigkeit auf der Welt hatte sich Ferencz zum Ziel seines Lebens gesetzt, sagte Gut vor wenigen Jahren über den Mann, dessen Biografie er verfasst hat.

"Der Jahrhundertzeuge" ist der Titel des Buches, in dem er den Juristen vorstellt, der in den USA vielen Menschen als "Mister Nuernberg" ein Begriff ist. In Deutschland kennen den kleinen, immer untadelig und kultiviert auftretenden Amerikaner dagegen nur wenige. Am 7. April ist Ferencz im Alter von 103 Jahren gestorben.

Benjamin Ferencz: Chefankläger der Nürnberger Prozesse

Als der ehemalige Chefankläger der Nürnberger Prozesse vor rund drei Jahren 100 Jahre alt wurde, konnte man im Internet ziemlich aktuelle Videos aufrufen, die zeigen, wie geistreich, humorvoll und fit der alte Mann damals noch war. Ferencz beantwortete etwa die Fragen von Jurastudenten in Miami. Er kämpfte mit den Tränen, als er den jungen Leuten die Horror-Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern beschrieb, wie die Regionalzeitung "Hurricane" berichtet.

In Dachau, Mauthausen oder Buchenwald hatte er Berge von Leichen gesehen und Menschen, die fast verhungert und entkräftet auf den sogenannten Todesmärschen unterwegs waren. Andere, nur noch Haut und Knochen, die den Tod erwarteten. Seine Aufgabe war es, im Dienste des Militärs nach Kriegsende 1945 Beweise für die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu sichern. Ferencz war dafür nach dem Kriegseinsatz zum zweiten Mal in Deutschland.

American Dream erfüllte sich

Erst 25 Jahre war Ben Ferencz damals alt. Dem Sohn getrennt lebender ungarischer Eltern hätte die Mutter niemals die Elite-Ausbildung finanzieren können, die er da schon genossen hat. Für ihn ist der sprichwörtliche American Dream in Erfüllung gegangen. Lehrerinnen und Professoren hatten das Potenzial des intelligenten jungen Mannes erkannt und ihm den Besuch einer Begabten-Highschool und dann ein Stipendium im angesehenen College ermöglicht.

Der sogenannte Einsatzgruppen-Prozess war sein erster Gerichtsfall. Der Prozess ist einer von zwölf sogenannten Nürnberger Nachfolge-Prozessen. Sie erreichten in Deutschland und weltweit nicht mehr die Aufmerksamkeit, die der Hauptkriegsverbrecherprozess im Nürnberger Saal 600 erreicht hatte. Im gleichen Saal saßen 1947 insgesamt 22 hochrangige SS-Männer auf der Anklagebank, denen der inzwischen 27-jährige Staatsanwalt Ferencz mehr als eine Million Morde vorwarf.

Dunkelste Seite der menschlichen Geschichte

Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation. Sie seien "die grausamsten Exekutoren eines Terrors gewesen, der die dunkelsten Seiten der menschlichen Geschichte schrieb", sagte der Chefankläger. Das Gericht unter dem Vorsitz von Michael Musmanno verhängte 14 Mal die Todesstrafe. Alle Angeklagten wurden verurteilt. Erschüttert stellte er fest, dass die Angeklagten die Verantwortung für ihre Taten auf höhere Befehlsgewalt abwälzten und mit den ungezählten Opfern kein Mitleid zeigten.

Ben Ferencz und seine Ermittler hatten die Beweise für ihre Taten geliefert. In den "Meldungen aus den besetzten Ostgebieten", die den Ermittlern zufällig in die Hände gefallen waren, hatten die Täter selbst akribisch für die Behörden vermerkt, wie sie Kommunisten, Juden, die polnische Intelligenz, psychisch Kranke und andere systematisch töteten. Der Völkermord sei für die Täter zur Routine geworden, stellte der Ankläger fest, der in der Geschichte der internationalen Gerichtsbarkeit wohl der Erste war, der für solche Taten den Begriff "Genozid" verwendet, wie Philipp Gut in seinem Buch schreibt.

Make Law not War

Zum ersten Mal mussten sich in Nürnberg auf völkerrechtlicher Grundlage die Angeklagten für unvorstellbare Verbrechen zur Verantwortung ziehen lassen. Das internationale Strafrecht weiterzuentwickeln und auf der Basis des Völkerrechts Frieden zu schaffen, ließ Ferencz seitdem nicht mehr los. "Make Law not War" war sein Lebensmotto.

"Solange wir Konflikte durch Kriege lösen und die soziale Kontrolle entziehen, werden wir töten", sagte er.

Nach den Nürnberger Prozessen blieb Ferencz zunächst in Deutschland. Der Sohn jüdischer Eltern hatte ein Jobangebot erhalten: Für jüdische Holocaust-Opfer sollte er Wiedergutmachung und die Rückerstattung von Vermögen erreichen. Zehn Jahre brachte er mit dieser Aufgabe zu und wirkte an der Entwicklung der Entschädigungsgesetze der Bundesrepublik mit. Mit seiner Frau Gertrude und den vier Kindern in die USA zurückgekehrt, widmete er sich ab den 1970er-Jahren dem Aufbau einer internationalen Strafgerichtsbarkeit.

Lebenstraum geht in Erfüllung

2003 ging an Ferencz 83. Geburtstag ein Lebenstraum für ihn in Erfüllung. Die Richter des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag werden am 11. März vereidigt. Im Rückblick stellte er fest: Dank der Weiterentwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit können "die Mächtigen die Menschen nicht an der Nase herumführen, weder in den Vereinigten Staaten, noch in Deutschland, noch sonst irgendwo auf der Welt".

Am 7. April starb Ferencz hochbetagt in Florida, wie verschiedene US-Medien berichteten und kurz später etwa auch das United States Holocaust Memorial Museum auf seiner Internetseite bestätigte. Dessen Direktorin Sara J. Bloomfield würdigte Ferencz "unerschütterliches Streben nach einer friedlicheren und gerechteren Welt", das sich über fast acht Jahrzehnte erstreckt habe: "Er schrieb in Nürnberg Geschichte und tat dies sein ganzes außergewöhnliches Leben lang."

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