In der vergangenen Spielzeit debütierte der Countertenor Benno Schachtner an der New Yorker Carnegie Hall, in der Hamburger Elbphilharmonie und an der Opéra National de Paris. Das ist eine Seite des 34-jährigen Ausnahmemusikers, der im bayerisch-schwäbischen Illertissen geboren und auf der anderen Seite der Iller aufgewachsen ist. Eine zweite Seite: Die junge Familie Schachtners lebt in einem Neu-Ulmer Vorort - und von dort aus organisiert der Sänger, der Kirchenmusik und Gesang studiert hat, in einem schwäbischen Kloster seit vier Jahren ein Musikfestival, das inzwischen weit über die Region hinaus bekannt ist.

Für alle Fans sakraler oder weltlicher Alter Musik

"Diademus" lockt jeden Sommer eine Woche lang Fans sakraler oder weltlicher Alter Musik nach Kloster Roggenburg, wo Schachtner verschiedene Räume bespielen darf: mit - bisweilen auch in weiterem Sinne - kirchlicher Musik die barocke Klosterkirche, mit weltlichen und manchmal auch hintersinnigen Werken andere Räume wie die Klosterbibliothek, das Refektorium, die Tenne oder auch den Innenhof des Klosters.

Wie diese Seiten zusammenpassen? Warum Schachtner, Weltreisender in Sachen Musik und mit einer faszinierenden Countertenor-Stimme ausgestattet, das kleine Roggenburg derart belebt? "Als ich mein Konzept in Roggenburg, wo meine Mutter Orgel spielt, vorgelegt habe, hatte ich mir nur gewünscht, das Kloster musikalisch mit Leben zu füllen", erzählt Schachtner. "Wie viele Chancen sich daraus ergeben würden und was es für ein enormer Kraftaufwand ist, ein solches Festival jedes Jahr zu organisieren und wirtschaftlich zu führen, das wusste ich damals noch nicht."

Aus heutiger Perspektive aber spürt er, was ihn damals angetrieben hat:

"Ich habe eine Erdung gesucht", sagt er.

"Ich bin jemand, der gerne Verantwortung trägt, und ich wollte auch dann etwas zu tun haben, wenn andere Pläne schiefgehen sollten und ich nicht mehr singen sollte. Vielleicht bin ich dadurch gelassener als manche Kollegen", vermutet er. "Außerdem tue es einfach gut, ein eigenes Festival wachsen und gedeihen zu sehen. "Von einem Konzert bleibt innerlich nicht so viel, auch wenn es ein großer Erfolg ist", sagt er.

In Kloster Roggenburg ist man offen für die Pläne des Musikers, und man weiß, dass man ihm vertrauen kann: Auch wenn Schachtners Programm intellektuell anspruchsvoll ist oder wenn eine Veranstaltung einmal Komponisten zum Thema hat, die außer wunderbaren Musikern Betrüger, Heiratsschwindler oder gar Mörder waren: Für die Klosterkirche selbst wählt Schachtner stets ein Programm, das - wie beispielsweise 2017 mit der Gegenüberstellung von zwei Magnificat-Versionen Johann Sebastian Bachs und Carl Philipp Emanuel Bachs - nicht nur die Ohren und die Seelen der Zuhörer beschäftigt, sondern religiös und ethisch in das würdige kirchliche Ambiente passt.

Diademus-Festival findet neue Orte

Ganz anders kann es Open-Air oder auf der Tenne zugehen. Da können die Liebe, der Wahnsinn oder eben auch die kriminelle Seite von großen Musikern im Kloster zum Klingen kommen. Intendant Schachtner ist dabei selbst gefragt - vom Aufbau der Podeste über den eigenen Einsatz als Sänger, Dirigent oder Organist. Auch seine Ehefrau, Sopranistin Catalina Bertucci, übernimmt Partien. Im kommenden Jahr soll das Diademus-Festival auch nach Dietenheim kommen, dorthin, wo Schachtner auf einem Bauernhof aufwuchs. In der Passionszeit ist in der Kirche St. Martinus seit zwei Jahren wieder das vermutlich einzige erhaltene "Heilige Grab" Süddeutschlands, eine Bildwand aus dem Barock, aufgebaut. Vor dieser plant Schachtner in der Passionszeit Konzerte.

Seine dritte Seite muss ihm dafür Zeit lassen. Denn auch eine solche gibt es: Schachtner hat seit kurzer Zeit in seiner alten Heimat einen Bauernhof gepachtet, den er als Bio-Hof zu bewirtschaften beginnt und für den er gerade die Fruchtfolge der Felder ausklügelt. Zwischen den Auftritten in den großen Opernhäusern der Welt ist für ihn die Erdung ein sehr wichtiges, greifbares Thema geworden.