Gespielt wird in der Familie von Christoph Deeg viel. In der Vorweihnachtszeit übte die dreijährige Tochter Charly ihre Rolle für eine Aufführung des Krippenspiels ein. Vater Deeg war besonders davon fasziniert, dass die Tochter daheim auch eigene Varianten des Krippenspiels durchspielte, etwa die: "Auf einmal ist der Esel im Mittelpunkt", sagt Deeg. Der spielerische Weg der Tochter ist für den Nürnberger die "älteste Kulturtechnik der Menschheit". Es ist ein Austesten der Möglichkeiten. Im Spiel kann man individuell reagieren - und das "schützt vor Rollenzwängen und Unterdrückung", ist sich Deeg sicher.
Das Spielprinzip hat Deeg auch beruflich eingesetzt.
Spiele - abseits von gewaltverherrlichenden und frauenfeindlichen Varianten sowie Glücksspiel - eröffnen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um ein Ziel zu erreichen, ist er überzeugt und überträgt das unter dem Schlagwort "Gamification" vom Spielbrett oder Computerspiel in die reale Welt.
Im Auftrag des Goethe-Instituts Addis Abeba hat er 2017 in der äthiopischen Hauptstadt das zweijährige Projekt "Enter Africa" ins Leben gerufen. Dabei ging es um die Frage, wie sich die Bewohner der Millionenstadt die Zukunft spielerisch erarbeiten können. Die Basis ist eine Art Schnitzeljagd, die man auf dem Handy spielen kann, ein sogenanntes "location-based game".
Die Teilnehmer, darunter Musiker, Lehrer und Architekten, konnten sich Aufgaben und Stationen in Addis Abeba selbst ausdenken. Der Wert bestehe darin, dass sich die Spielgestalter Gedanken über ihre Welt und ihre Umgebung gemacht haben, sagt Deeg. Fragen nach Wichtigkeiten und Möglichkeiten wurden intensiv diskutiert.
Entstanden ist das Online-Spiel "Arada - Die Suche nach Vollkommenheit".
Es vermittelt unter anderem die Erfahrung von Zusammenhalt in einer ethnisch höchst diversen Metropole. Zu den Aufgaben gehört es beispielsweise, ein verschwundenes Mädchen aufzuspüren und ihm den Heimweg zu zeigen.
Die "Spielmechanik" vermittelt auf diese Weise, dass Hürden häufig nur gemeinsam gemeistert werden können - sei es in der virtuellen oder in der realen Welt. Mittlerweile wurde in allen 15 afrikanischen Staaten, in denen es ein Goethe-Institut in der Hauptstadt gibt, ein Game zur Zukunft ihrer Megastädte entwickelt. Die rund 500 bis 600 Beteiligten haben sich auch über die Grenzen hinweg zu einem Gamification-Netzwerk zusammengeschlossen und eine der größten afrikaweiten Communitys gebildet.
Die Spielentwickler hätten angefangen, ihre Stadt anders zu betrachten und sich mit Möglichkeiten für eine künftige Gestaltung beschäftigt. Außerdem hätten manche "ihr Leben radikal verändert" und ein eigenes Unternehmen unter widrigen Umständen gegründet, erklärt Deeg. Eine äthiopische Architektin habe "Spielideen und Gebäudearchitektur zusammengebracht". Sie entwerfe nun ganz andere Lebensräume.
Gestaunt hat der verheiratete Familienvater auch über einen senegalesischen Programmierer, der in einer Wellblechhütte mit einem kaputten Laptop ausgezeichnete Ideen realisierte.
Auffällig waren "Stolz auf die eigene Kultur", die nicht nur von Land zu Land, sondern auch innerhalb ethnischer Gruppen variiert. Nach Projektende wird die Gruppe die Spielidee weitertragen und weiterentwickeln. Auch Auftragsproduktionen sind bereits eingegangen, darunter auch ein Auftrag eines Ministeriums, ein Spiel zu entwickeln, das Frauendiskriminierung thematisiert.
Deeg hat auch selbst eine spielerische Biografie, die immer nach neuen Möglichkeiten gesucht hat. Der studierte Musiker war zunächst in der Musik- und Medienindustrie tätig, wechselte in die Computergame-Sparte eines Unterhaltungskonzerns und entschied sich dann, sein "kreatives und digital-analoges Know-how" als Berater auszuspielen. Hier unterstützt er beispielsweise Kultur- und Bildungsinstitutionen, durch Gamification Antworten auf digitale Transformationen zu finden.
Für Deeg ist der Spielprozess der Inbegriff von Veränderung.
Man könne Varianten "ohne jede Form von Angst" ausprobieren. Zum Kern des Spielens gehört neben dem Ziel, eine Ausgabe zu lösen oder zu gewinnen, auch das Feedback. Er illustriert das am Beispiel des Mensch-ärgere-dich-nicht. Die vier Männchen ins eigene Ziel zu bekommen ist als Spielaufgabe klar, das Feedback auf das persönliche Vorgehen erfolgt transparent durch den Spielverlauf. War ein Zug zu risikoreich, wird er von einem Mitspieler mit einem Rauswurf geahndet. Deeg sagt: "Varianten, Irrtümer und Scheitern gehören zum Spielprozess, aber auch zum menschlichen Alltag."