Sitzt man bei "Julia Pink" und ihrem Lebensgefährten Tom auf der Wohnzimmercouch, ist da nichts, was irgendwie verrucht wäre. Eine Doppelhaushälfte in einem Neubaugebiet von Oettingen, der Kleinstadt am nördlichen Rand des Rieskraters: Das Wohnzimmer ist in warmen Farben gestrichen, Massenkunst mit asiatischen Motiven an der Wand, ein Regal mit wenigen Büchern und vielen DVDs, ein großer Fernseher. Ordentlich, aber nicht übertrieben, jugendlich, vielleicht ein bisschen spießig - unzählige deutsche Wohnzimmer dürften ähnlich aussehen. Nichts lässt hier im Entferntesten darauf schließen, was die 39-Jährige vor einigen Monaten den Job als Betreuerin von Menschen mit geistiger Behinderung bei der Diakonie gekostet hat.

Julia Pink heißt nicht Julia Pink. Aber es ist nicht schwer, ihren wahren Namen über das Internet herauszufinden. Im Internet ist eine Menge öffentlich, nicht nur die Sex-Filmchen, die sie in ihrer Freizeit dreht.

Ihr richtiger Vorname hat ihr nie gefallen, sagt sie. Heute werde sie von allen Julia genannt: "Tom nennt mich Julia, auch zu Hause." Ohne Tom ist Julia Pink nicht zu haben. Tom, ein Schrank von einem Mann, der sanft, aber bestimmt auftritt, ist nicht nur Lebensgefährte, sondern auch Manager des gemeinsamen Unternehmens, mit Julias nackter Haut Geld zu verdienen. Und das geht immer besser, seit Julia Pink in allen Medien war.

Ein Bekannter eines Diakonie-Mitarbeiters soll sie enttarnt haben

Im April hat das Landesarbeitsgericht München die Rechtmäßigkeit der Kündigung durch die Diakonie Neuendettelsau in zweiter Instanz bestätigt. Aber aufgeben wollen die beiden trotzdem nicht. Julia Pinks Anwalt arbeitet derzeit an einer Beschwerde beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt gegen das Urteil, das keine Berufung zulässt. Die rechtlichen Hürden dafür sind hoch.

Nicht nur den Münchner Richter bei der Verhandlung interessierte, wie die Diakonie eigentlich auf die Nebentätigkeit der Erzieherin aufmerksam wurde. "Ein Bekannter eines Mitarbeiters hatte das entdeckt", gab die Einrichtungsleiterin vor Gericht an. Kommentar des Richters: "Ich verstehe, Mitarbeiter der Diakonie schauen solche Filme also nicht."

Vielleicht ist man genau hier dem Grund am nächsten, warum Julia Pink trotz offenkundiger Aussichtslosigkeit nicht aufgibt: "Warum werden die verurteilt, die Pornos drehen - und nicht auch die, die Pornos kucken?" Anders gesagt: Lebt die Gesellschaft, und lebt gerade auch die Kirche bei der Sexualität von einer Verabredung zur Heuchelei?

Millionen Pornos werden jeden Tag geschaut

Genaue Zahlen gibt es nicht. Schätzungen der weltweiten Pornoumsätze schwanken zwischen einer und 100 Milliarden Dollar pro Jahr. Stellt man die teils widersprüchlichen Statistiken nebeneinander, ergibt sich dennoch ein Bild: Knapp fünf Millionen pornografische Websites soll es geben. Das wären dann etwa fünf Prozent der heute rund eine Milliarde Websites insgesamt. Mindestens 40 Prozent aller Internetnutzer sehen sich Pornos an, mehr als zwölf Prozent aller Webseitenaufrufe im Jahr 2013 in Deutschland galten einer Studie des Internetstatistikers Similarweb zufolge pornografischen Seiten. Gefolgt von den USA, Brasilien und Indien nahm Deutschland damit übrigens die globale Spitzenposition ein.

Rund ein Viertel aller Suchanfragen bei Google und Co. gilt - so verschiedene Studien - pornografisch-sexuellen Inhalten. Pornos machen über ein Drittel aller Downloads in Internet aus.

Porno - reine Männersache? Nicht ganz. Bis zu einem Drittel der Besucher der beliebtesten Gratis-Pornoseiten sollen Frauen sein. Frauen machen aber nur zwei Prozent der Kunden von Bezahlseiten aus.

Porno ist ein Milliardengeschäft. Und Hollywood ist Traumfabrik in mehr als einer Hinsicht: Das weltweite Zentrum für die Produktion von Hochglanz-Pornos liegt in Kalifornien. Der Boulevard geplatzter Träume führt junge Frauen dort nicht selten trotzdem zu einer Karriere vor der Kamera. Nur eben nackt und für weniger Geld. Aus den schattigen Hinterhöfen der großen Filmfabrik kommen teils ambitioniert in Szene gesetzte, handwerklich perfekt produzierte Sexfilme. Und mögen die Medienkonzerne über die Gratiskultur im Internet klagen - Pornos erwirtschaften gewaltige Umsätze.

40 Prozent der Internetnutzer sehen Pornos

Aber mehr oder weniger handgemachter Porno mit leichtem Rieser Dialekt? Auch für bodenständige "Amateure" wie Julia Pink aus Oettingen gibt es große Nachfrage auf dem Markt, folgt man den Statistiken. Nicht alle scheinen es kalifornisch glatt zu mögen.

Unter den sechs beliebtesten Porno-Suchanfragen in Deutschland sind die Begriffe "german", "deutsch" und "german amateur". Eben das, was Julia Pink bietet, auch wenn es sie durchaus in die Hochglanzecke zieht.

Zwei weitere Zahlen: Über ein Drittel aller User sieht sich ungewollt pornografischen Inhalten ausgesetzt - wie beispielsweise Werbung für die einschlägigen Seiten. Dazu passt, dass Kinder im Schnitt etwa elf Jahre alt sind, wenn sie das erste Mal im Internet mit einem Porno in Berührung kommen.

Eine ganz normale Familie

Im Oettinger Wohnzimmer hängen Fotos von einem blonden Mädchen an der Wand, das noch etwas jünger ist als elf. Ein Kind, das selbstbewusst und lachend in die Welt blickt, durchaus keine kleine Prinzessin.

Es ist Julia Pinks Tochter, sie soll hier Lilli heißen. Lilli ist sieben und wohnt "halb beim Papa". 2010 haben sich die Eltern getrennt, kurz nachdem Julia wieder zu arbeiten anfing.

Auch Tom, der bisher mit Versicherungen und Autohandel sein Geld verdiente, hat Kinder. Sein Sohn ist 21, die Tochter 16. Beide wissen, womit Julia und Tom ihr Geld verdienen. Tom schreibt die "Drehbücher", macht auch mal Kamera und Schnitt, kümmert sich um die Buchungen, organisiert die "Darsteller", kurz: macht alles rund um den Dreh.

"Wenn Lilli beim Papa ist, kann ich Drehs machen", sagt Julia. Lilli kommt im Herbst in die zweite Klasse. Sie geht gern, sagt ihre Mutter, aber es hapert noch etwas bei der Ernsthaftigkeit mit der Schule.

"Schule ist wichtig", sagt Julia Pink, "schlechte Realschule ist immer besser als nur Hauptschule". So ist sie selbst aufgewachsen, in bescheidenen Verhältnissen in einer anderen Kleinstadt am Rand des Rieses: Schule, Ausbildung, so schnell wie möglich Geld verdienen, das war das Credo ihrer kleinbürgerlich-katholischen Eltern.

"Ich habe immer gedacht, Gott hilft einem, wenn man betet"

Im Elternhaus musste Julia Pink zum Holzkreuz in der Küche hin beten. "Als ich gesagt habe: Ich dachte Gott ist überall, habe ich einen Riesenanschiss bekommen." Mit dem Kreuz kann sie heute nicht mehr viel anfangen.

"Ich will nicht so leben, wie meine Eltern leben", sagt Julia Pink ruhig. "Bevor ich 16 war, durfte ich überhaupt nichts. Ich habe mich immer eingesperrt gefühlt." In ihrem Elternhaus seien Körperlichkeit und Intimität verdrängt worden, sagt sie. "Nacktheit war tabu. Ein Kuss im Fernsehen? Ekelhaft. Da wurde weggeschaltet." Aufgeklärt wurde sie durch die Bravo, die der Bruder lesen durfte und sie eigentlich nicht. Der Bruder ist so geworden, wie es sich die Eltern gewünscht haben. "Haus, Kinder, bürgerliche Existenz", sagt Julia Pink. Dabei sieht das bei ihr gar nicht so viel anders aus.

Julia Pink hat nach dem (guten) Realschulabschluss in Nördlingen eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht und dann eine pädagogische Fortbildung draufgesattelt. Sie hat den Job 17 Jahre lang gemacht, und sie hat gern mit Behinderten gearbeitet. "Erzieherin war immer mein Ding. Aber ich habe mich auch gefragt: Ist es das, was ich mein Leben lang machen will bis zur Rente?"

Mit Mitte 20 hat sie im Fernsehen gesehen, dass es Swinger-Clubs gibt. "Da will ich auch mal hin, habe ich zu meinem Ex gesagt - und er hat Ja gesagt." Schließlich ist die Ehe aber trotzdem an dem "Hobby" zerbrochen. Als sie ihrem Mann sagte, sie würde gerne einmal einen Porno drehen, sei der ausgeflippt, und sie verwarf die Sache - vorerst.

Sodom und Gomorrha? Ja und nein

Dann lernten die beiden in einem Kölner Swinger-Club Tom und seine damalige Partnerin kennen. "Zwischen uns war das komisch", sagt sie und wendet sich zärtlich Tom zu, "dir habe ich vom ersten Augenblick an vertraut."

Klingt nach Sodom und Gomorrha? Ja und nein. Lässt man die Sache mit den Swinger-Clubs weg, ist die Geschichte nur noch eine ziemlich alltägliche Ehekatastrophe, wie sie viele andere Paare erlebt haben, und durch die sich für zwei Beteiligte neues Patchworkfamilienglück ergeben hat. Vielleicht sind bei anderen Paaren mehr Heimlichkeiten im Spiel.

Julia Pinks Heimlichkeiten hatten mit der Trennung von Arbeit und Privatleben zu tun.

Nur: Wer Pornos dreht und sie ins Internet stellt, begibt sich in die Öffentlichkeit. Dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis man sich gezwungen sieht, von den Heimlichkeiten zur Aufrichtigkeit zu finden.

Mitarbeiter von Kirche und Diakonie haben eine Vorbildfunktion, die sich auch auf ihr Privatleben erstreckt? "Was ist denn mit der Vorbildfunktion von Rauchern oder maßlos Übergewichtigen bei der Kirche?", wendet Tom ein. Und Julia Pink beharrt, was sie in ihrer Freizeit mache, sei ihre Privatsache: "Ich bin katholisch, ich kann alle Gebete. Ich kann doch trotzdem christliche Werte vermitteln!"

Als die Sache öffentlich wurde, musste sie es auch den Eltern sagen, "weil es ja auch im Fernsehen war". Die Mutter, die es eh am Herzen hat, war daraufhin fünf Tage krank.

In der Kleinstadt Oettingen schaut man ihr jetzt hinterher

Und getuschelt wird auch. "Aber mich spricht deswegen keiner an."

Ihre Tochter weiß nicht, womit sie jetzt ihr Geld verdient. "Natürlich sollen Kinder das nicht sehen", sagt Julia Pink. Wenn sie es erklären müsste, würde sie ihrer Tochter sagen: Ich bin Fotomodell und lasse mich nackt fotografieren. Und wenn ihre Tochter einmal den gleichen Weg einschlagen wollte? "Dann würde ich es ihr nicht verbieten."

Alles eine Frage der Moral? Moralisch handeln heißt für Julia Pink: "Aufrichtig und ehrlich sein." In den meisten Schlafzimmern herrsche aber alles andere als sexuelle Aufrichtigkeit. Woher komme denn der so weit verbreitete Pornokonsum, wenn er nicht mit unausgelebten Bedürfnissen und Fantasien zusammenhänge? "Die meisten kucken Pornos, weil sie zu Hause nicht bekommen, was sie sich wünschen." Ihre Erfahrung aus den Online-Chats: "Es gibt so unglaublich viel Hunger."

Wie fällt die Lebensbilanz aus, wenn man 78 ist, fragen sich die beiden: Habe ich im Leben das gemacht, was ich wollte, was ich mir wünschte?

Julia Pink, mittelgroß und schlank, ist keine auffällige Frau. Auch ihr Musikgeschmack ist durchschnittlich. Er bewegt sich zwischen Lady Gaga und Andrea Berg, wie ihr Facebook-Profil verrät. Außergewöhnlich sind ihre Augen, leuchtendes Blaugrau, fast stechend. Sie weiß um diesen "Wert", nennt auch ihre Augen, wenn man sie nach dem Bild fragt, das sie von sich selbst hat: "Ich finde, dass ich eine schöne, erotische Frau bin, die sich auch mit 39 noch zeigen kann".

Die Bestätigung schön zu sein und begehrenswert ist wichtig für sie, bei dem was sie tut: als leicht bekleidetes Modell auf Messen, in Swinger-Clubs, beim FKK-Urlaub in Kroatien oder auf Mallorca, beim Porno-Dreh. Sex vor der Kamera, "das ist meine sexuelle Fantasie, das gibt mir den Kick", sagt Julia Pink.

Das wahre Glück liegt aber auch für sie und Tom in ihrer Beziehung. "Das Entscheidende ist das, was wir danach haben", sagt Tom. Partnerschaftliche Intimität und sexuelle Erfüllung kämen so selten zusammen, "weil die Leute nicht ehrlich sind", ergänzt Julia Pink.

Die Heimlichkeit sei es, die den Betrug ausmache. Aber alles, was zwischen in einer Partnerschaft offen und einvernehmlich geschehe, sei okay.

Nur dass es ein solches Einvernehmen mit ihrem früheren diakonischen Arbeitgeber nicht mehr gibt und nicht mehr geben wird, das will Julia Pink einfach nicht einsehen.