Glib Rusakovskyj wurde von Kommilitonen beleidigt, von Professoren benachteiligt. Der Ehemann einer Mitstudentin wollte ihn auf dem Campus im ukrainischen Charkiw verprügeln. Eines Abends folgte ein Studienkollege Glib durch eine dunkle Gasse, beschimpfte ihn und stieß ihn vor ein Auto. Der Fahrer bremste gerade noch rechtzeitig. Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erzählt Glib, was ihm in seiner Heimat angetan wurde.

Dmytro Prokuror arbeitete in Charkiw als Biologe. Seine Kollegen mobbten ihn. Einmal sperrten sie ihn in ein Labor, einmal schubste ihn ein Kollege gegen ein Regal mit Reagenzgläsern. Dmytro verletzte sich an Armen und Beinen. Seine Chefin drohte ihm mit Rauswurf und einer so schlechten Bewertung, dass er nie mehr Arbeit finden würde.

Ihr "Fehler": Sie lieben einander

Was haben die beiden Männer getan, dass ihnen so viel Hass entgegenschlug und sich sogar ihre Eltern abwandten? Antwort: Sie lieben einander. "Viele Ukrainer leben gedanklich noch in der Sowjetunion", sagt Glib: "Damals war Homosexualität verboten." Heute sind gleichgeschlechtliche Beziehungen in dem Land nicht mehr strafbar, diskriminierende Gesetze wie in Russland gibt es nicht. "Aber die Kirche, vor allem die russisch-orthodoxe, hat starken Einfluss", sagt Glib.

Die extrem konservative Institution verurteilt Homosexualität. "Viele Leute denken: Wenn Kinder ein männliches Paar sehen, werden sie selbst homosexuell", sagt Glib: "Oft will dein bester Freund nichts mehr von dir wissen, wenn er von deiner sexuellen Orientierung erfährt."

Seit dem Maidan blühe zudem der Nationalismus. Unter dem Vorwand "traditionelle Familienwerte" zu schützen, machten Neonazis Jagd auf Homosexuelle, die sie mit Pädophilen gleichsetzten. Die Polizei nehme diese Hassverbrechen nicht ernst und bleibe untätig. Eine Mitstudentin drohte Glib an, seine Adresse an eine rechtsextreme Gruppierung weiterzugeben, sagt er.

BAMF lehnt Asylanträge ab

Als 2015 nachts ein Ziegelstein durch eine Fensterscheibe in ihre Wohnung flog, warf Dmytro seinen Job hin, Glib seine Masterarbeit. Das Paar floh nach Deutschland und kam zeitweise bei einer Verwandten Glibs unter. Heute leben Glib (25) und Dmytro (27) als eingetragene Lebenspartner in Nürnberg. "Wir konnten anfangs nicht glauben, dass Homosexuelle hier öffentlich Händchen halten können", sagt Glib. 

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aber lehnte ihre Asylanträge ab. Begründung: In der Ukraine gälten Antidiskriminierungsgesetze, in der Hauptstadt Kiew gebe es "Gay Pride"-Paraden. Wenn Glib und Dmytro in Charkiw bedroht würden, könnten sie ja umziehen.

Die beiden verstehen das nicht. "Die Gesetze stehen nur auf dem Papier", sagt Glib. An besagter Parade in Kiew nahmen 1.000 Demonstranten teil, über 5.000 Polizisten mussten sie schützen. Was im BAMF-Beschluss nicht zu lesen ist: Als die Polizei weg war, wurden Berichten zufolge viele Demonstranten verprügelt.

Sie wollen in Deutschland bleiben

In einem Dossier des Europarats von 2017 steht, Homosexuelle würden in der Ukraine auf nahezu allen Ebenen diskriminiert und immer öfter Opfer tätlicher Angriffe. Ukrainische Medizinlehrbücher bezeichneten Homosexualität als "Perversion" und "Geisteskrankheit". Die Regierung hatte im Zuge der EU-Annäherung angekündigt, gleichgeschlechtliche Partnerschaften anzuerkennen. Doch dieses Vorhaben ist inzwischen am Protest religiöser und rechter Gruppen gescheitert.

Am 26. April entscheidet das Verwaltungsgericht Ansbach über Glibs und Dmytros Fall. Glib, Bachelor in Biotechnologie, arbeitet an der Supermarktkasse. "Ich will nicht zu Hause sitzen und von Sozialhilfe leben", sagt er. Dmytro schließt bald eine Ausbildung zum Altenpfleger ab. Sie hoffen, in Deutschland bleiben zu können.
 

Luka und Edgar aus Armenien
Luka (sitzend) und Edgar (stehend) gehörten in ihrer Heimat Armenien einer berühmten Tanzgruppe an.

Wegen ihrer Liebe flüchten mussten auch Edgar (32) und Luka (29). In ihrer Heimat Armenien gehörten sie einer berühmten Tanzgruppe an und hielten ihre Beziehung geheim. Auch in der Kaukasusrepublik werden sexuelle Minderheiten drangsaliert. Zum Verhängnis wurde ihnen Lukas' Geburtstag 2016: Edgar und Luka feierten in der Hauptstadt Jerewan, danach küssten sie sich im Auto. Polizisten sahen das und warfen ihnen vor, öffentlich "Pornografie" praktiziert zu haben. Nun wussten alle, dass die bekannten Tänzer ein Paar waren.

Sie erhielten Morddrohungen. Mit einem Touristenvisum flogen sie nach Deutschland, es verschlug sie nach Nürnberg. Auch Edgars und Lukas' Asylantrag wurde abgelehnt. Das BAMF glaube nicht, dass ihnen in Armenien gravierende Nachteile drohen. "Wie kann ich in Armenien frei leben?" fragt Luka: "Soll ich mich für den Rest meines Lebens zu Hause einsperren?" Selbst hier, wo sie offen als Paar leben, seien sie bei Landsleuten verhasst.

"Ich will lieben, wen ich will"

Edgar ist Statist am Staatstheater Nürnberg. Als im Internet ein Foto von ihm mit hohen Absätzen veröffentlicht wurde, habe sein Vater geschrieben: "Du bist nicht mehr mein Sohn!" Homosexualität als Bedrohung, als Verstoß gegen Gottes Gebote, als etwas "nicht Normales" - dieses Bild ist in postsowjetischen Staaten bis heute verbreitet. Glib sagt: "Wer legt fest, was 'normal' ist? Ich will nur in Ruhe leben, ohne mich zu verstecken und lieben dürfen, wen ich will."