Das kleine Kantorsbüro in der Himmelfahrtskirche Sendling, das versteckt neben der großen Eule-Orgel vom Altarraum abgeht, ist ein Paradies für Organisten. In den Regalen stapeln sich Tausende Orgelnoten, sauber sortiert nach Epochen und Komponisten. Die Privatbibliothek zeugt von 42 Berufsjahren, die Klaus Geitner an dieser Stelle verbracht hat - als Organist, Chorleiter, Dekanatskantor und Orgelsachverständiger der bayerischen Landeskirche.
Am 19. Januar wird er bei einem Gottesdienst von Stadtdekan Bernhard Liess in den Ruhestand verabschiedet und steht dann zum letzten Mal am Dirigentenpult, damit die Bachkantate 29 erklingt. "Wir danken dir, Gott, wir danken dir - wie passend", sagt der Musiker, mit einem Lächeln zwischen Vorfreude und Melancholie.
Geitner kam als junger B-Kirchenmusiker nach Sendling
Dankbarkeit schwingt auch mit, wenn Geitner sein Berufsleben als "tolle Reise mit vielen schönen Erlebnissen" bezeichnet. Als junger B-Kirchenmusiker und Student war er 1983 nach Sendling gekommen. Aus den Anfängen mit acht Wochenstunden und 500 Mark Jahresbudget, einer kaputten Orgel und einem Mini-Chor, der zur Hälfte aus der Pfarrfamilie bestand, ist gut 40 Jahre später einer der musikalischen Leuchttürme im evangelischen München geworden. Geitner habe es verstanden, einen "unglaublich florierenden und beständigen Musikbetrieb" auf die Beine zu stellen, sagt der stellvertretende Landeskirchenmusikdirektor Matthias Roth auf Anfrage.
Im Kirchenchor von Himmelfahrt singen gut 100 Menschen, zwei große Konzerte pro Jahr standen zuletzt auf dem Programm. Klaus Geitner hat mit der "Orgelmusik bei Kerzenschein" eine Reihe etabliert, die in der Adventszeit jeden Samstag 200 Zuhörer in die Kirche lockt. Seit 17 Jahren wiederum ist die "Sendlinger Orgelnacht" im Herbst ein festes Musikevent im Stadtviertel. "Da kommt ein ganz anderes Publikum als sonst", freut sich Geitner über den Erfolg, der dank eines orgelvernarrten Großsponsors möglich ist. Auch die Finanzakquise gehörte zu seinem Job: Dank der Erlöse aus Raumvermietung - Himmelfahrt ist aufgrund guter Akustik ein beliebter Ort für CD-Aufnahmen -, kommunaler Förderung, kirchlichen Mitteln und Spenden belief sich sein Budget zuletzt auf 128.000 Euro im Jahr.
Landeskirche: Klaus Geitner ist "Ausnahmeerscheinung"
Mit 42 Jahren an der gleichen Kirche ist Klaus Geitner laut Pressesprecherin der Landeskirche eine Ausnahmeerscheinung. Über andere Stellen hat er durchaus nachgedacht. Eine Zusage von St. Michael in Fürth lag ihm einmal schon vor, "aber dann habe ich gemerkt, dass ich nur vor einer schwierigen Situation in meinem Leben davonlaufe", erinnert sich Geitner. Rückblickend sei es jedes Mal die richtige Entscheidung gewesen, zu bleiben: Auch wenn Kirchenmusiker manches Mal "Solist und Rampensau" zugleich sein müssten, seien ein Chor und die musikalischen Netzwerke auch soziale Heimat.
Die Vorteile der langen Jahre am gleichen Platz sind für Klaus Geitner spürbar. "Man erntet die Früchte der eigenen Arbeit, wenn jemand aus dem Kinderchor später im Kirchenchor mitsingt." Um den Nachwuchs macht sich der Musiker trotz Traditionsabbruch und Multioptionsgesellschaft keine Sorgen: "Natürlich sind die Kinder im Chor heute hibbeliger, aber man kann sie für alte und neue Lieder begeistern." Die ungewohnte Kirchensprache sei da kein Hemmnis, findet er:
"Der Funke springt oft durch die Melodie über. Das zeigt die Qualität von Kirchenmusik: Sie hält sich schon über Jahrhunderte - das ist was Tieferes."
Der Nachteil von 42 Jahren an einer Stelle liegt für den Ruhestands-Neuling höchstens in der Selbstverständlichkeit, mit der das Umfeld das kirchenmusikalische Programm zur Kenntnis nimmt. "Alle sind es gewohnt, dass das reibungslos läuft - welche Arbeit und welches Netzwerk dahintersteckt, merkt niemand." Das müsse sich sein Nachfolger, seine Nachfolgerin neu aufbauen. Zum September 2025 soll die Stelle laut Dekanat in vollem Umfang neu besetzt werden.
Für Klaus Geitner, der direkt neben der Himmelfahrtskirche wohnt, geht es jetzt darum, den Abnabelungsprozess gut hinzubekommen. "Ich muss lernen, die Augen zuzumachen, mich zurückzulehnen und auszuhalten, dass ich nicht mehr zuständig bin." Damit ihm das nicht zu schwerfällt, hat er die Fühler nach Rosenheim ausgestreckt: Dort wird er mit zehn Wochenstunden die Elternzeitvertretung im Kirchenchor übernehmen, eine Konzertreihe fürs Dekanat entwerfen und beim Event "Rosenheim singt!" mitplanen. Außerdem habe er schon für mehrere Orgelkonzerte zugesagt. "Ich muss aufpassen, dass es im Ruhestand nicht mehr wird als jetzt", sagt Geitner und lacht.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden