Die Tafeln in Deutschland warnen vor einem dramatischen Anstieg der sozialen Not durch die Corona-Krise. Aufgrund von Jobverlusten und Kurzarbeit seien schon jetzt Tausende zusätzliche Menschen auf die Versorgung mit gespendeten Lebensmitteln angewiesen, mit einer weiteren Zunahme sei zu rechnen, sagte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl dem Evangelischen Pressedienst epd.
Laut einer epd-Umfrage sind nach zwischenzeitlichen Schließungen inzwischen fast alle Tafeln in Großstädten wieder in Betrieb.
Viele Einrichtungen arbeiten allerdings in eingeschränktem Umfang und änderten ihre Abläufe, um Obst, Gemüse und andere Esswaren möglichst kontaktarm zu verteilen, wie die Nachfrage in mehr als 30 Städten ergab. Brühl betonte, Menschen, die ohnehin schon von Armut betroffen seien, erlebten die Krise noch viel drastischer.
Für die mehr als 940 Tafeln mit insgesamt 1,6 Millionen Nutzern seien die Maßnahmen zur Kontaktreduzierung eine große Herausforderung, sagte Brühl. Denn hier kämen viele Menschen auf teils engem Raum zusammen, zudem gehörten rund 90 Prozent der insgesamt 60.000 ehrenamtlichen Helfer aufgrund ihres Alters oder von Vorerkrankungen zur Risikogruppe.
Zwischenzeitlich seien deshalb etwa 450 Einrichtungen geschlossen gewesen. Durch eine Umstellung ihrer Arbeit konnten inzwischen aber mehr als 100 Tafeln vor allem in größeren Städten wieder öffnen, wie der Vorsitzende des Dachverbands erklärte.
Die Tafeln von Kiel bis München organisierten der Umfrage zufolge ihren Betrieb um, indem etwa wie in Köln die Ausgabe der Nahrungsmittel ins Freie verlegt wurde. In Städten wie Potsdam, Oldenburg, Dortmund, Würzburg, Worms oder Heilbronn stellten die Betreiber auf Lieferdienste um.
In München gibt es statt verschiedener Tafel-Läden eine zentrale Ausgabe mit festen Abholzeiten, in Frankfurt am Main, Mainz, Fulda und Rostock wurden Ausgabestellen verlegt. Zahlreiche Tafeln packen Lebensmittel-Taschen oder -Körbe vor, entweder zur Ausgabe oder zu Auslieferung, so etwa in Hamburg, Berlin, Bremen, Osnabrück, Karlsruhe und Nürnberg. Überall arbeiten die Helferinnen und Helfer mit Mundschutz und Handschuhen, in geöffneten Ausgabestellen wird der Zugang begrenzt.
Etliche Einrichtungen, darunter in Hamburg, Oldenburg, Rostock, Fulda, Mannheim und Stuttgart, verzeichneten bereits eine Zunahme der Nachfrage nach Unterstützung. Mit einem weiteren Anstieg rechnen auch die Tafeln in Berlin, Dresden und Frankfurt. "Sicherlich wird unsere Arbeit mehr denn je gefragt sein, da möglicherweise - hoffentlich nicht - es mehr Personen ohne Arbeit geben wird"
, sagte Edith Kleber von der Frankfurter Tafel.
Brühl warnte ebenfalls, dass die Einrichtungen auch nach einem Ende der Kontaktbeschränkungen weiter vor großen Problemen stehen würden.
Etliche ältere Helfer würden vermutlich nicht mehr zu ihrem Ehrenamt zurückkehren, und vielen Jüngeren, die nun gesprungen seien, werde dann wohl die Zeit fehlen. Zudem sei mit einem Rückgang sowohl der Lebensmittelspenden von Supermärkten als auch der Geldspenden von Unternehmen zu rechnen. "Ohne finanzielle Unterstützung des Staates werden die Tafeln mittelfristig Schwierigkeiten bekommen, ihre Aufgaben zu bewältigen"
, sagte Brühl.
Tafeln in Deutschland
Die erste Tafel in Deutschland wurde 1993 in Berlin gegründet. Inzwischen verteilen bundesweit 948 solcher Hilfsorganisationen mit mehr als 2.000 Läden und Ausgabestellen überschüssige Lebensmittel an Bedürftige. Zusätzlich werden Einrichtungen wie Frauenhäuser, Jugendclubs und Drogeneinrichtungen beliefert. Knapp vier Fünftel der Tafeln bieten weitere Services wie Sozialberatung, Mittagstisch, Kinderbetreuung oder Hausaufgabenhilfe an. Träger der meisten Einrichtungen sind gemeinnützige Organisationen wie Diakonie, Caritas, Deutsches Rotes Kreuz und Arbeiterwohlfahrt.
Vor Beginn der Corona-Krise waren bei den Tafeln rund 60.000 Helferinnen und Helfer tätig, 90 Prozent von ihnen ehrenamtlich, mehr als 60 Prozent im Alter von über 65. Die Einrichtungen versorgen bundesweit bis zu 1,65 Millionen bedürftige Menschen vor allem mit frischen Lebensmitteln wie Obst und Gemüse, darunter 30 Prozent Kinder und Jugendliche und 26 Prozent Senioren. Darüber hinaus verstehen sich die Tafeln auch als Orte der Begegnung und soziale Anlaufpunkte.