Ob am Mittag oder um Mitternacht: Sobald Leonore Heller (Name geändert) im Büro der Telefonseelsorge Würzburg ihren Kopfhörer freischaltet, ist sie voll da. "Ich habe ja nur die Stimme des Anrufers, um zu erahnen, was mit ihm ist", sagt die Ehrenamtliche, die seit fünf Jahren die Sorgen und Nöte der Menschen teilt. Die Gesprächsthemen sind vielfältig: Partnerschaftsprobleme in allen Schattierungen, Krankheit und Glaubenszweifel, psychische Probleme oder Suchterkrankungen - vom Alkohol bis zur Tablettenabhängigkeit - stehen auf der Tagesordnung der Telefonseelsorgerin. "Und natürlich die Einsamkeit - die ist ein riesengroßes Thema", sagt die 69-Jährige.

Rund um die Uhr sind die über 1000 Ehrenamtlichen der 17 Telefonseelsorge-Stellen in Bayern am Apparat - auch an den Weihnachtstagen. Leonore Heller hatte schon letztes Jahr am 26. Dezember Schicht; auch diesmal ist sie am 23. und 26. Dezember ganz Ohr. Wobei der Dienst an Weihnachten sich nicht sehr von anderen Tagen unterscheide: "Auch sonst rufen Einsame und Belastete an", sagt sie. Allerdings liege eine Art "Erwartungsblase" über den stillen Tagen: "Es ist in den meisten seit Kindheitstagen angelegt, dass Weihnachten etwas Besonderes zu sein hat."

Einsamkeit an Weihnachten 

Besonders schwer sei das für Menschen, die das Fest immer mit der Familie erlebt hätten, nun aber durch den Tod des Partners oder den Wegzug der Kinder allein blieben. Oft fließen dann Tränen, oder das Gegenüber verstummt. Aushalten, mitschweigen, dabei bleiben: Das ist Leonore Hellers Aufgabe. "Ich möchte, dass sich die Menschen auf dem Grund ihrer Seele verstanden fühlen", sagt die fünffache Mutter. Vertröstungen und rationale Argumente seien in der Telefonseelsorge fehl am Platz: "Es ist gut, wenn Tränen fließen, denn dann löst sich etwas", weiß sie aus ihren zahlreichen Fortbildungen und den regelmäßigen Supervisionsgesprächen, die sie wie all ihre Kollegen und Kolleginnen absolviert.

Weil sie nie wisse, ob sie einen Anrufer je wieder höre, müsse sie sich "aufs hier und jetzt" konzentrieren, sagt Heller. "Manchmal wüsste ich schon gern, wie es mit dem Menschen weitergeht oder wie das Gespräch nachgewirkt hat", gesteht die Ehrenamtliche. Auch andere Fragen beschäftigen Leonore Heller: Warum manche so einsam sind, zum Beispiel. Ein Teil der sozial Isolierten sei psychisch krank: "Die üblichen Treffs liegen außerhalb ihrer Möglichkeiten, sie öffnen sich nur in der Anonymität des Telefonats", weiß sie. Andere hingegen könnten ihre Einsamkeit überwinden, blieben jedoch in der Opferrolle stecken. "Dann muss man respektieren, dass sie so sind und nicht aus ihrer Haut können", sagt Heller.

Menschen ohne Angehörige haben es besonders schwer 

Besonders hart treffe die Einsamkeit Menschen in Pflegeheimen, die keine Angehörigen mehr haben. Für Zuwendung habe das Pflegepersonal keine Zeit, hinzu kämen Sprach- und Dialektschwierigkeiten. "Diese Menschen werden zwar versorgt, aber sie vereinsamen seelisch", sagt Leonore Heller. Besonders bitter findet sie, dass es für die Hochaltrigen keine Ressourcen mehr gibt, die sie anzapfen könnten. "Sie geben alle Hoffnung auf - ändert sich ja nichts mehr", beschreibt es die Telefonseelsorgerin.

Für die seltenen Anrufe, die sie aus Pflegeheimen empfängt, hat sie deshalb das Wort von der "stellvertretenden Hoffnung" erfunden: "Weil sie selbst nicht mehr hoffen können, sage ich ihnen, dass ich stellvertretend für sie hoffe - dass sie nicht allein sind, dass sie spüren, dass Gott auch bei ihnen ist." Solche Anrufe berühren Leonore Heller bei aller professionellen Distanz manchmal so stark, dass sie sich danach kurz ausklinkt, um Abstand zu bekommen.

Telefonseelsorge erfüllt 

Für Leonore Heller ist die Tätigkeit bei der Telefonseelsorge ein Glück: "Ohne dieses Ehrenamt wäre mein Leben im Ruhestand nicht so erfüllend", sagt sie. Dass sie eintauchen darf in verschiedene Welten, dass sich die Facetten des Lebens vor ihr aufblättern, dass sie die Menschen für einen Moment begleiten kann - all das schätzt sie, gerade auch an den Feiertagen. Weihnachten bedeute ihr heute etwas anderes als früher: "Ich möchte an Weihnachten offen sein für das, was uns geschenkt wurde - und dafür, was es heißt, dieses Geschenk auf dieser Welt ein Stück weit zu verwirklichen."

Wenn ihr Hilfe braucht

So erreicht ihr die Telefonseelsorge

Ihr könnt entweder die 0800 1110111 oder die 0800 1110222 anrufen.

Außerdem könnt ihr auf der Webseite der Telefonseelsorge online Hilfe bekommen.