Brücken schlagen, Menschen verbinden, für jeden da sein - so lauten die Grundsätze der Telefonseelsorge. Die findet in Ulm/Neu-Ulm ganz ökumenisch statt: Silke Streiftaus Arbeitgeber ist die evangelische Kirche, Claudia Köpfs die katholische. Dass dazu noch die eine der beiden Frauen der Doppelspitze aus Neu-Ulm kommt, die andere aus Ulm - das ist ein glücklicher Zufall des Brückenschlagens. Das neue Leitungsteam ist nun rund ein halbes Jahr im Amt.

"Der Druck wächst zur Zeit", stellt Claudia Köpf fest. Die 53-jährige Sozialpädagogin war in den vergangenen fünf Jahren als Supervisorin bei der Telefonseelsorge tätig. Ihre 40-jährige Kollegin Silke Streiftau ist Psychologin und arbeitete die letzten zwölf Jahre im sozialpädiatrischen Dienst der Universität Ulm.

Telefonseelsorge verlagert sich vermehrt auf Social-Media 

Telefonseelsorge bedeutet längst nicht mehr nur telefonieren: Zwar finden etwa 80 Prozent der Kontakte nach wie vor per Anruf statt, doch die vielen unter 30-Jährigen, die sich vor allem seit Ausbruch der Pandemie melden, bevorzugen oft den neuen Online-Chat. Auch per Mail kann man sich an die Telefonseelsorge wenden. Das nutzen vor allem Menschen, die ihre Gedanken und Nöte ausführlicher darstellen und keine unmittelbare Antwort suchen, sondern über Geschriebenes nachdenken möchten.

Der Chat ist dem Gespräch ähnlicher. Nur hört der Hilfesuchende nicht die Stimme eines Gegenübers. Der geschriebene Austausch schafft eine andere, gerade für Jüngere attraktive Form des Kontakts. "Wir würden gerne mehr Möglichkeiten zum Chat anbieten", sagt Silke Streiftau. "Wenn ein Mitarbeiter einen freien Termin für einen Chat anbietet, ist der sofort gebucht." Es fehle - bei allem Engagement und Zulauf zur ehrenamtlichen Tätigkeit bei der Telefonseelsorge - an ausgebildeten Chattern.

Zuhören als wichtigster Bestandteil der Arbeit 

Vor Corona sei die Seelsorge via Chat nur ein Projekt gewesen. "Jetzt ist sie ganz stark nachgefragt", sagt Streiftau. Gerade Jugendliche möchten meistens ihre Angehörigen und Freude nicht belasten und suchen den Rat "von ganz außen", wollen wissen, wie ein Unbeteiligter auf ihre Situation reagiert.

Wer in der Telefonseelsorge ehrenamtlich mitarbeitet, spricht über das Erlebte und Gehörte nicht mal mit seinem Umfeld. Es geht ums Zuhören, um Hilfe für Menschen, die zum Telefon greifen, weil sie gerade nicht weiter wissen. Manchmal auch darum, zu wissen, wohin sich jemand in seiner Situation speziell wenden kann. Ein Klammern an einen Mitarbeitenden soll bewusst nicht möglich gemacht werden. Auch der genaue Ort in Ulm, wo die Telefonseelsorge untergebracht ist, bleibt geheim.

17 Standorte in Bayern 

Bayernweit gibt es 17 Telefonseelsorge-Standorte - inklusive Ulm/Neu-Ulm. Mehrere Hundert Angestellte und ehrenamtliche Mitarbeiter bearbeiten jährlich Zigtausende Anfragen. Einsamkeit und Isolation sind die häufigsten Gründe, die Menschen bei der Telefonseelsorge Rat suchen lassen. Hauptsächlich aus der Altersgruppe der 40- bis 65-Jährigen. Dazu kommen familiäre Belange, Depression und Suizidgedanken, ausweglos erscheinende Situationen, die Menschen quälen.

Durchschnittlich müsse jemand fünf Mal die Nummer der Telefonseelsorge wählen, bis er durchkommt, berichtet Köpf - so groß ist der Bedarf. Vor allem nachts, wenn sich die Probleme drängender darstellen als tagsüber. Und sonntags, wenn es schwieriger ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Was es früher gab, was aber fast komplett abgeklungen ist: Anrufe mit sexuellem Hintergrund. Beschimpfungen oder Scherzanrufe dagegen erleben die Mitarbeiter gelegentlich. Doch in der Regel, so berichten beide Frauen, kommt viel zurück von den Menschen, die Rat suchen. Bis hin zu einem Dank-Anruf, weil jemand in seinen Suizidgedanken dazu bewegt werden konnte, den Notruf zu wählen. Und überlebt hat.