Wie werden eigentlich Obdachlose beerdigt? Diese Frage tauchte in Würzburg vor 20 Jahren auf, als der wohnungslose "Wurzelsepp", wie Fritz Werner Marschner allgemein genannt wurde, starb. Anfang 1998 erlag er am Busbahnhof einer schweren Bronchitis. Da der "Wurzelsepp" ein stadtbekanntes Original war, den viele Würzburger gern mochten, begann man, sich in der Domstadt erstmals Gedanken über die Bestattung von Wohnungslosen zu machen.

Michael Lindner-Jung, Leiter der ökumenischen Bahnhofsmission, gehörte zu jenen, die sich dafür einsetzten, dass der "Wurzelsepp" auf dem Hauptfriedhof ein eigenes Grab bekam. Die Bahnhofsmission erwarb die Grabstätte zusammen mit der katholischen Laienorganisation Sant'Egidio. Viele Spender ermöglichten dies. Bis heute erinnert ein Grabstein an den "Wurzelsepp". Ein zweiter Stein listet daneben die Namen weiterer Wohnungsloser auf, die seitdem gestorben sind. Jedes Jahr erinnert die Gemeinschaft Sant'Egidio in einem öffentlichen Gebet an Marschner und alle Menschen, die einsam sterben.

Ingolstadt: Kein Grabstein erinnert an verstorbene Wohnungslose

Von so viel Würdigung verstorbener "Außenseiter" kann Bruder Martin Berni von der Straßenambulanz St. Franziskus in Ingolstadt nur träumen. In einer Ecke des Ingolstadter Nordfriedhofs gebe es zwar auch einen Sozialfriedhof, sagt er: "Aber der sieht erbärmlich aus." Schon länger schwebt Bruder Martin vor, einmal mit dem Bürgermeister zu sprechen, ob seine Einrichtung nicht wenigstens einen Gedenkstein aufstellen dürfe. Noch kam es nicht dazu, da das Mitglied der ökumenischen Gemeinschaft San Damiano mit seiner stark frequentierten Straßenambulanz alle Hände voll zu tun hat.

Nicht nur, dass kein pietätvoller Stein an verstorbene Wohnungslose und sozial Schwache in Ingolstadt erinnert. "Es kommt auch immer wieder vor, dass sich kein Geistlicher findet, der die Leute bestattet", sagt Bruder Martin. Vor allem Obdachlose ohne Konfession hätten schlechte Karten: "Dann ruft mich das Bestattungsinstitut an." Unlängst brachte Bruder Martin wieder einen Klienten der Straßenambulanz unter die Erde: "Zehn unserer Leute waren dabei." Bevor die Zeremonie begann, bat das Bestattungsinstitut den Bruder, die Urne einer Frau mitzubestatten.

"Das war eine sehr arme Frau, die überhaupt niemanden hatte", schildert der Katholik. Wäre Bruder Martin nicht zufällig vor Ort gewesen, wäre die Urne ohne Zeremonie versenkt worden. Für den Sozialarbeiter eine unerträgliche Vorstellung. "In Deutschland werden heute Tiere oft besser bestattet als Menschen", empört er sich. Mit seinen Glaubensbrüdern, die sich weigern, Menschen anderer oder ohne Konfession zu bestatten, geht der unbequeme Krankenpfleger hart ins Gericht: "Man muss sich fragen, was sie unter Christentum verstehen."

Starnberg: Armut nicht auf den ersten Blick sichtbar

Selbst in reichen Landstrichen sterben arme Menschen trost- und hilflos, sagt Michaela Heinz vom Ambulanten Hospizdienst Gauting im Landkreis Starnberg. Die Hospizkoordinatorin erinnert sich an eine Frau, die sie zu Hause besucht hatte. Außer dem Haus schien ihr so gut wie nichts mehr zu gehören. "Die Frau lag sterbend im Bett, es war Hochsommer, und sie war von Fliegen umschwärmt", berichtet Heinz. Sie regte an, ein Moskitonetz zu kaufen: "Doch ich erfuhr, dass es nicht einmal dafür Geld gab." Da zahlte sie es aus eigener Tasche.

Gut in Erinnerung ist der Krankenschwester auch eine junge Frau, die einst eine gute Position hatte: "Aufgrund einer schweren Krankheit stürzte sie immer weiter ab." Auch dieser Besuch erschütterte Heinz: "In ihrer Wohnung befand sich nur noch das Bett, ein Kühlschrank und eine Herdplatte." Sonst nichts. Abgewaschen wurde in der Badewanne. Gerade im Starnberger Landkreis, wo es die bayernweit höchste Millionärsdichte gibt, sehe man Armut oft nicht auf den ersten Blick: "Viele Menschen, die verarmt sind, haben noch Kleidung oder Schmuckstücke aus guten Tagen."

Kommunale Bestattungen in Oberbayern nehmen zu

Dass materielle und vor allem auch soziale Armut ein wachsendes Problem in Bayern ist, lässt sich an der steigenden Zahl kommunaler Bestattungen ablesen. Nach einer im Juni vorgelegten Statistik des Freistaats, die sich auf den Zeitraum von 2006 bis 2015 bezieht, stiegen die Zahlen der von Kommunen zu besorgenden Bestattungen in Oberbayern von rund 675 Fällen im Jahr 2006 auf 1.085 Fälle 2015 an.

In diesen Fällen bestattet die Kommune die Verstorbenen, weil es keine Hinterbliebenen gibt, die dafür aufkommen wollen. Hinzu kommen in Oberbayern jedes Jahr um die 410 echte Sozialbestattungen von Menschen, deren Hinterbliebene, so es sie gibt, derart arm sind, dass sie die Bestattungskosten nicht tragen können. Für die Bestattung dieser Personen wurden 2015 mehr als 875.000 Euro ausgegeben.

Augsburg: 2018 schon 90 kommunale Bestattungen

Die Stadt Augsburg bestattete heuer bereits 90 Personen, um die sich sonst niemand gekümmert hätte. In den allermeisten Fällen hatten die Verstorbenen laut Helmut Riedl, Leiter des Friedhofswesens, Angehörige. Etwa jeder fünfte dieser 90 Verstorbenen allerdings hinterließ so wenig Geld oder hat, wenn überhaupt, so arme Verwandte, dass die Kommune die kompletten Bestattungskosten tragen muss.

In allen anderen Fällen wäre es Angehörigen möglich gewesen, eine würdevolle Bestattung zu organisieren. Doch immer häufiger hätten diese Riedl zufolge daran kein Interesse: "Es spricht sich herum, dass die Ordnungsbestattungen für Hinterbliebene günstiger kommen." Zum Beispiel dadurch, dass es Sammeltrauerfeiern gibt. Seit letztem Jahr kontaktiert eine Sachbearbeiterin des Augsburger Friedhofsamts Angehörige, die sich weigern, die Bestattungskosten zu übernehmen. Riedl: "Wir fordern nun, je nach Aufwand, von bestattungspflichtigen Angehörigen eine zusätzliche Verwaltungsgebühr von bis zu 400 Euro."