Seit 1. Oktober ist Norbert Ellinger der neue evangelische Leiter der ökumenischen Beratungsstelle "Münchner Insel" im Marienplatz Untergeschoss. Dort bekommen Menschen in Lebenskrisen ohne Anmeldung, anonym und kostenlos Hilfe. Der 57-jährige Pfarrer war zuvor für die Telefonseelsorge des Evangelischen Beratungszentrums verantwortlich. Am 10. Oktober wurde er mit einem Gottesdienst in der evangelischen Markuskirche in den Dienst eingeführt.

Herr Ellinger, was unterscheidet die Beratungsarbeit in der Telefonseelsorge von den Gesprächen bei der Münchner Insel?

Norbert Ellinger: Bei den Beratungen in der Insel bekommt man mehr Informationen über das Gegenüber. Man kann sich in die Augen schauen und sensibler auf nonverbale Reaktionen eingehen - das ist eine andere Art von Nähe. Allerdings kann diese Nähe auch ein höhere Hürde für Ratsuchende sein: Sie müssen mehr von sich preisgeben, als bei der Telefon- oder Chatseelsorge. Wer also in die Münchner Insel kommt, hat entweder einen höheren Leidensdruck - oder mehr Vertrauen, weil er vielleicht schon gute Erfahrungen gemacht hat. Dass wir mit der Insel an diesem Standort im Marienplatz Untergeschoss präsent sind, ist extrem wichtig. Das spricht Menschen an, spontan reinzuschauen.

Der Beratungsbedarf hatte während der Lockdowns in der Corona-Pandemie zugenommen. Flaut das jetzt langsam ab?

Norbert Ellinger: Die Sorgen und der erhöhte Gesprächsbedarf werden uns noch eine Weile begleiten. Viele haben Nachholbedarf, weil sie sich lange daheim verkrochen haben. Manche Nachwirkungen der Pandemie werden jetzt erst deutlich. Ich bin deshalb froh, dass wir die Insel bald wieder für persönliche Gespräche öffnen können. Grundsätzlich kann man sagen, dass sich die vorhandenen Beratungsthemen durch Corona kaum verändert haben, aber verschärft wurden.

Warum sind Sie von der Telefonseelsorge zur Münchner Insel gewechselt?

Norbert Ellinger: Bei der Telefonseelsorge war ich vor allem für die Ehrenamtlichen da: Ich habe sie in Gesprächsführung ausgebildet und die Schichtpläne für die Einsätze erstellt. Ganz selten war ich selbst mal am Telefon im Kontakt mit den Menschen, die anrufen. Darum habe ich die Ehrenamtlichen manchmal beneidet, denn das mache ich gern. Insofern war es der logische Schritt, in den letzten zehn Berufsjahren all mein gesammeltes Wissen und meine Erfahrung in der Münchner Insel weiterzugeben - und zugleich selbst wieder näher am Menschen zu sein.