Die Literaturwissenschaftlerin und Autorin Daniela Otto aus München gibt in ihrem Buch "Digital Detox für die Seele" Tipps, wie wir einen gesünderen Umgang mit Handy und digitalen Medien lernen. Einige Anwendungsbeispiele wird sie bei einem Vortrag am 15. November im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Digitalisierung" der Evangelischen Stadtakademie in Nürnberg geben. Ihr sei es wichtig, dass die Menschen verstehen, was im Gehirn geschieht, wenn sie online sind, sagte die Autorin dem Evangelischen Pressedienst.

"In den sozialen Netzwerken findet ein brutaler Konkurrenzkampf statt und das führt zu enormen seelischen Folgeschäden."

Frau Otto, was für eine Auswirkung hatte der Beginn der Pandemie auf unsere Mediennutzung?

Daniela Otto: Die Bildschirmzeit ist explodiert, bis zu elf Stunden verbringen wir am Tag damit. Dabei macht die Dosis das Gift: Diese ist definitiv zu hoch und verändert auch unser Gehirn. Im privaten Bereich gieren wir nach medialer Aufmerksamkeit und kommen in einen problematischen, narzisstischen Ich-Modus. Alles dreht sich nur noch ums Ego. In den sozialen Netzwerken findet ein brutaler Konkurrenzkampf statt und das führt zu enormen seelischen Folgeschäden.

Auch im beruflichen Bereich hat sich einiges verändert. Viele Menschen arbeiten jetzt mehr von zu Hause aus. Welche Risiken gehen damit einher?

Otto: Am Anfang hatte das durchaus auch einen positiven Effekt. Wir hatten die Wege nicht, konnten länger schlafen. Aber der große Nachteil ist, dass die Grenze zwischen privat und beruflich verwischt. Nach Feierabend sollte man bewusst das Diensthandy ausschalten, um auch innerlich abschalten zu können. Es erscheint vielleicht fleißig, wenn ich spät abends noch Mails schreibe, aber die langfristigen Folgen durch stressbedingte Ausfälle sind enorm. Für den Arbeitstag gilt: Wenn man erfolgreich arbeiten will ist es elementar, Multitasking zu vermeiden. Studien zeigen, dass man am Ende länger braucht und es nicht so gut macht, weil man sich immer wieder ablenken lässt. Man sollte sich bewusst Flow-Zeiten schaffen, in denen man keine neuen Mails liest und keine Anrufe beantwortet, um konzentriert arbeiten zu können.

"Im digitalen Zeitalter dreht sich alles um Vernetzung, aber was wir verlieren ist die echte Verbundenheit."

In Ihrem Buch haben Sie Ihre bisherige Arbeit zum Thema weiterentwickelt und um Achtsamkeitsübungen erweitert. Was können wir unserer Seele Gutes tun?

Otto: Digital Detox ist einer der wichtigsten Schlüssel zur mentalen Gesundheit. Im digitalen Zeitalter dreht sich alles um Vernetzung, aber was wir verlieren ist die echte Verbundenheit. Das ist aber die Ursubstanz, um seelisch glücklich zu sein. Wir müssen digitale Medien achtsam nutzen, nur dann tun sie uns gut. Und wir müssen auch erkennen, dass das Internet ein potentiell toxisches Umfeld ist, oft voller negativer Kommentare. Uns ist noch gar nicht bewusst, dass wir mit einer kleinen Nachricht enorme psychische Verletzungen verursachen können, weil wir uns viel zu unbewusst und achtlos im Internet bewegen. Nicht ohne Grund steigen die Depressionsraten und Ängste, die Isolationsgefühle nehmen zu.

Was kann ich tun, um einen gesünderen Umgang mit Handy und Internet zu lernen?

Otto: Bevor man das Handy in die Hand nimmt, sollte man innehalten, durchatmen und sich fragen: Warum benutze ich jetzt das Handy? Warum gehe ich online? Und dann wird einem auffallen, dass man ganz häufig gar keinen richtigen Grund dafür hat. Es ist oft nur eine schlechte Angewohnheit, eine Übersprungshandlung, die das eigentlich dahinterstehende Bedürfnis nicht befriedigen kann. Ein anderer wichtiger Schritt ist zu erkennen, mit welcher Intention man online geht. Was ist die emotionale Absicht dahinter? Will man jemand anderen kritisieren, die eigene Geltungssucht befriedigen oder etwas Positives bewirken? Genau dahin sollten wir kommen: auch online mitfühlend zu sein. Unsere Seele braucht weniger Internet. Aber das Internet braucht definitiv mehr Seele, mehr Empathie, mehr Achtsamkeit.

"Man muss sich nur überlegen: Wann war man das letzte Mal ohne Handy aus dem Haus?"

Wie kam es dazu, dass Sie sich als Literaturwissenschaftlerin mit Digital Detox beschäftigen?

Otto: Alles begann mit meiner Doktorarbeit 2015. Meine Forschungsfrage war, woher die Sehnsucht nach Vernetzung kommt. Unmittelbar nach meiner Promotion bin ich in die USA gereist, um Urlaub auf einer Ranch zu machen. Dort hatte ich genau eines nicht und zwar Internet. Das war sozusagen mein unfreiwilliges Digital Detox-Bootcamp - und am Anfang überhaupt nicht schön, im Gegenteil. Vor allem habe ich gemerkt, wie mental abhängig wir alle von Vernetzungsmedien sind. Man muss sich nur überlegen: Wann war man das letzte Mal ohne Handy aus dem Haus? Manchmal trägt man es sogar durchs Zimmer wie ein Haustier und wir ketten uns ja buchstäblich daran an.

Es war aber auch eine Art Erweckungserlebnis, denn nachdem ich auf der Ranch meine erste Verzweiflung überwunden hatte, habe ich festgestellt, dass ich in eine ganz neue Wesentlichkeit und Präsenz kam und die Umgebung dort viel bewusster und wahrhaftiger genießen konnte. Das war eine wunderschöne heilsame Erfahrung. Dieses tiefe Gefühl der Verbundenheit mit der Welt können wir alle durch Digital Detox wiedererlangen.