Mein Vater hat Krebs in relativ fortgeschrittenem Stadium und ist mehr und mehr ans Bett gefesselt. Meine 83-jährige Mutter kümmert sich um ihn. Die beiden leben nach wie vor in ihrem großen Haus, das sie seit 50 Jahren bewohnen. Ich setze mich sehr unter Druck, sie öfter zu besuchen (ich bin das einzige Kind), meine Mutter zu entlasten, mal einfach nur am Bett meines Vaters zu sitzen. Aber ich lebe 150 Kilometer entfernt, bin voll berufstätig und habe drei heranwachsende Kinder. Wenn ich meiner Mutter vorschlage, einen Pflegedienst einzuschalten oder gar in eine praktischere Wohnung zu ziehen (finanziell wäre das kein Problem), sagt sie Nein. Es klingt furchtbar, aber ich mache mir einerseits Sorgen um meine Eltern, andererseits habe ich einfach nur Angst, was da im neuen Jahr alles auf mich zukommen wird.

Frau K. (46)

Fünfzig Jahre – wie viel Leben, wie viele gemeinsame Zeiten stecken in diesem Haus! Ihre Eltern hatten ein Leben vor Ihnen und neben Ihnen. Vielleicht fühlt sich Ihre Mutter ja verantwortlich für dieses Leben und will das so und ist stolz auf diese vielen gemeinsamen Jahre?

Wie muss es sich da anfühlen, wenn einem die eigenen Kinder jetzt sagen, was man tun muss? Vielleicht ist es auch wichtig, dass Sie nicht aus dem Blick verlieren, was gerade gut geht: Ihre Eltern haben sich gegenseitig, Ihre Kinder haben die Großeltern und werden sich an sie erinnern, es gibt keine finanziellen Probleme.

Das Beste, was Sie jetzt tun können, wenn Sie an das denken, was im neuen Jahr auf Sie zukommt (also vermutlich die zunehmende Gewissheit des Sterbens und dann die Trauer um Ihren Vater), ist, dafür zu sorgen, dass Sie gesagt haben, was Sie gerne sagen wollten, solange Ihre Eltern noch leben. Dazu gehört, dass Sie so gelassen wie möglich Ihre Eltern begleiten, aber eben so, wie es unter den Umständen Ihres eigenen Lebens möglich ist.

Ein paar ganz praktische Ideen: Machen Sie immer wieder mal Fotos und freuen Sie sich gemeinsam an dem, was sie zusammen erleben oder einander erzählen können; schreiben Sie immer mal einen kleinen Brief, eine Postkarte. Sorgen Sie dafür, dass es ein paar adressierte und frankierte Briefumschläge in Reichweite gibt, sodass Ihre Kinder den Großeltern schnell mal einen kleine Brief schreiben können; nehmen Sie sich einen Tag, um herauszufinden, wer Sie, falls der Pflegebedarf bei Ihren Eltern größer wird, unterstützen und an wen Sie sich dann wenden könnten. Sorgen Sie dafür, dass die Unterstützungspersonen, die es jetzt schon im Umfeld der Eltern gibt (Ärzte, Freunde, Nachbarn) wissen, dass Sie sich Gedanken machen.

Sie gehen – das zeigt Ihr Brief – mit Liebe und Sorge ins neue Jahr. Es geht dabei darum, so etwas wie ein Sicherheitsnetz zu schaffen. Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, sagt man. Und es braucht viele Menschen, damit wir die letzten Lebensjahre so gut wie möglich schaffen. Das gilt für jeden von uns. Darin sind wir alle miteinander verbunden – und das ist vielleicht auch ein beruhigender Gedanke, der Sie bei aller Sorge ins neue Jahr begleiten kann.