Ihre Beisetzung auf dem Pariser Parkfriedhof Père Lachaise vor 100 Jahren war ein Ereignis: "Die Zeit hält scheinbar den Atem an beim Defilee am Sarg der Verstorbenen", schrieb der Theaterwissenschaftler Matthias Müller über das Begräbnis der französischen Schauspielerin Sarah Bernhardt, gestorben vor 100 Jahren am 26. März 1923. Gleiches habe aber auch für die Beerdigung ihrer Rivalin Eleonara Duse ein Jahr später gegolten.

"Die Göttliche" wurde Sarah Bernhardt genannt. An der berühmten Comédie Française eroberte sie Publikum und Kritik mit ihrer "goldenen Stimme": "eine Stimme, deren zauberhafter und lieblich erzitternder Klang Unbekanntes in uns aufwühlt", schwärmte der Bühnenautor Victorien Sardou.

Die Göttliche Sarah Bernhardt

Es war die Zeit der ersten "Stars" des Theaters. Der Duc de Morny, Halbbruder Napoleons III. und Liebhaber ihrer Mutter, hatte ihr eine Ausbildung als Schauspielerin an der Comédie Française ermöglicht. Zur Welt gekommen war sie 1844 in Paris als Tochter einer jüdischen Niederländerin und Edelkurtisane, der Vater war unbekannt.

Schon früh zeigt sich ihr hitziges Temperament: Nach einem Streit mit einer Kollegin wurde sie entlassen. 1864 brachte sie ihren Sohn Maurice zur Welt. Ihren ersten großen Bühnenerfolg feierte sie vier Jahre später am Odéon in einem Stück von Alexandre Dumas.

Dumas und der Dramatiker Sardou prägten mit ihren Stücken das Repertoire der Bernhardt. Die Titelrollen der "Fédora" (1882) und der "La Tosca" (1887) schrieb Sardou ihr auf den Leib. Ihre Paraderolle aber blieb die "Kameliendame" von Dumas dem Jüngeren, die sie noch 1909 als jung geschminkte 65-Jährige in Berlin spielte. Der deutsche Theaterkritiker Julius Bab war erschüttert: "Es war vielleicht das größte Wunder der Schauspielkunst, das ich je erlebt habe. Da oben stand die junge Marguerite Gautier und liebte und litt und zwang uns mitzuleiden."

Sarah Bernhardt war eine Virtuosin, auch in Männerrollen wie Shakespeares Hamlet. Mutig stieg sie in einen Heißluftballon, damals gerade erst neu erfunden. Den Malern präsentierte sie sich mit zahmen Großkatzen zwischen exotischen Pflanzen vor kostspieligen Textilbehängen - eine Inkarnation der Belle Époque.

Sarah Bernhardt und die Männer

Sie hatte viele Liebhaber, heiratete einmal und trennte sich noch im selben Jahr. Ihr Gatte wirtschaftete ihr eigenes Theater in den Bankrott und starb an seiner Morphinsucht. Nach dem finanziellen Ruin 1882 ging die Schauspielerin bis nach Australien auf Welttournee, um die Verluste als Produzentin wettzumachen.

Es war nicht die erste Gastspielreise. Schon 1879 war sie mit ihrer eigenen Truppe in London aufgetreten, hatte 51 Städte der Vereinigten Staaten beehrt und sich in Russland sowie in zahlreichen europäischen Ländern empfohlen. Queen Victoria und Zar Alexander III. sollen sie bewundert haben. In Deutschland trat sie lange nicht auf, zu tief waren die Wunden, die der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 geschlagen hatte.

Nebenbei verfasste Bernhardt Romane und Lustspiele, arbeitete als Malerin und Bildhauerin. In der Rolle der Phädra von Jean Racine kreierte sie die sogenannte Schlangenlinie, die sie auch als Fédora einsetzte: Als Männer umschlingendes Weib gab sie sich als Hure und Liebende zugleich, Verkörperung der zeitgenössischen Femme fatale. Als "moderne Allegorie", als "Geist der Zeit im Bild der Frau" bezeichnet sie der Theaterwissenschaftler Matthias Müller.

Und wie sah sie sich selbst? Wie erarbeitete sie sich ihre Rollen? 1907 veröffentlichte Sarah Bernhardt ihre Autobiografie unter dem Titel "Mein Doppelleben": "Ich gehe mechanisch vor, lerne Wort für Wort auswendig, drehe und wende die Textstellen", erläuterte sie ihren Arbeitsstil. Die Gebärde solle man nicht suchen: "Man sollte sie auf der Bühne finden." Was sie auf den Bühnen fand, waren überschwängliche Deklamationen. Damit unterschied sie sich von ihrer einzigen Rivalin, der eher subtil agierenden italienischen Schauspielerin Duse.

Bei einem Sprung auf der Bühne verletzte sie sich 1905 das Knie so schwer, dass ihr Bein zehn Jahre später amputiert werden musste. Für die Soldaten an der Front des Ersten Weltkriegs spielte sie aber mit Beinprothese weiter und ließ sich auch von einer letzten Tournee durch die USA nicht abhalten. Noch immer gibt es Menschen, die ihr Pariser Grabmal mit Blumen schmücken.

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