Der Mystiker Dionysius Areopagita trägt zwar den Namen eines von Paulus bekehrten Athener Ratsherren (Apostelgeschichte 17,22-34), lebte, dachte, betete und schrieb aber - wie man heute weiß - tatsächlich erst zu Beginn des sechsten Jahrhunderts. Dionysius versuchte, die Philosophie des Neuplatonismus in das Christentum zu integrieren. Im vorliegenden Text ist das deutlich zu sehen:
Die erste Ursache, die Ursache von allem, ist weder Sein noch Leben.
Denn sie ist es ja gewesen, die Sein und Leben erst erschaffen hat.
Die erste Ursache ist auch nicht Begriff oder Vernunft. Denn sie ist es ja gewesen, die Begriffe und Vernunft erst erschaffen hat.
Die erste Ursache ist auch nicht an einem bestimmten Ort zu finden, weder an einem Ort im Raum, noch an einem Ort in den Gedanken.
Denn jeder Ort ist ja nur ihr Geschöpf.
Nichts in dieser Welt ist die erste Ursache.
Denn alles in dieser Welt ist ja von ihr erschaffen worden.
Und dennoch ist sie keineswegs ohne Macht:
Denn sie hat doch alles erschaffen, alles ins Sein gerufen, was ist.
Und Schöpfung, Ruf ins Sein braucht eine Macht, damit auch wirklich etwas entsteht.
Und dennoch ist die erste Ursache auch keine Macht. Denn sie ist es ja gewesen,
die die Macht erst erschaffen hat.
Gott ist jenseits aller erfahrbaren Dinge, sogar auch jenseits von Sein und Leben, von Vernunft und von Begriffen. Alles, was wir denken und mit Worten ausdrücken können, spiegelt Gott nicht wider. Gott ist jenseits aller Bilder, jenseits aller Worte. Gott ist nicht in der Welt, sondern übersteigt die Welt. Wir brauchen Bilder, um über Gott sprechen zu können. Aber zugleich sollten wir wissen, dass Gott alle Bilder übersteigt. Das zeigt Dionysius konkret am Beispiel der Macht.
Gott ist die erste Ursache von allem
Gott als erste Ursache ist nicht ohne Macht. Um etwas ins Sein zu rufen, braucht es Macht. Aber dennoch ist die erste Ursache keine Macht. Denn sie hat ja die Macht erschaffen. Wir können von Gott nur in solch paradoxen Aussagen sprechen. Alles, was wir von ihm sagen, müssen wir zugleich wieder verneinen, um Gott nicht festzulegen. Gott lässt sich nicht festlegen. Nur wer bereit ist, alle Aussagen über Gott immer wieder zurückzunehmen oder sie zu übersteigen, spricht angemessen von Gott.
Für mich persönlich ist es eine Herausforderung, alle meine Bilder von Gott auf der einen Seite zu bejahen, auf der anderen Seite zu verneinen. Gott ist für mich reines Sein, reine Gegenwart, Gott ist für mich Liebe, Güte, Gerechtigkeit. Doch wenn ich diese Begriffe auf Gott beziehe, werden sie aufgebrochen für etwas, was sie übersteigt, was ich nicht mehr beschreiben kann. Das zwingt mich zur Demut. Wer von Gott redet, als ob er ihn genau kennen würde, nivelliert Gott zu etwas, was wir alle kennen. Ich kann nur in aller Demut und Vorsicht
von Gott sprechen als von dem, der all mein Denken übersteigt.
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