"Wenn Ihnen Ihr Alltag grau erscheint, klagen Sie nicht ihn an, klagen Sie sich an!", schreibt Rainer Maria Rilke in seinen Briefen "an einen jungen Dichter".
Dass unser Alltag oft grau und eintönig ist statt bunt und lebendig, liegt an uns und vor allem an der verhängnisvollen Trennung von heilig und profan: hier Werktag – da Sonntag, hier Arbeit – da Gebet, hier Lärm – da Stille.
Doch Gottesdienst ist nicht nur am Sonntag! Ein Jesuswort aus dem Thomasevangelium lautet: "Spaltet das Holz – und ich bin da. Hebt den Stein hoch: Dort werdet ihr mich finden." (Logion 77)
"Öffne deinen PC, und ich bin da"
In meinen Alltag übersetzt heißt das: Öffne deinen PC und ich bin da, schlag die Zeitung auf, dort wirst du mich finden. Gieß die Blumen und ich bin da, geh in den Supermarkt, dort wirst du mich finden… Welche Erfahrungen mache ich, wenn ich solche Worte ernst nehme?
Allen Mystikern ist es wichtig, dass das "Heilige" das "Profane" durchdringt. Ignatius von Loyola möchte, dass wir "Gott in allen Dingen suchen", Romano Guardini sagt: "Das Leben besteht aus lauter Möglichkeiten, Gott zu begegnen", der heilige Benedikt fordert in seiner Regel, alle Geräte des Klosters "wie heiliges Altargerät" zu benutzen. Seinen Grundsatz "Bete und arbeite" befolgt in liebenswerter Weise Teresa von Ávila in ihrem wunderbaren Alltagsgebet:
"Herr der Töpfe und Pfannen, (…) mache mich zu einer Heiligen, indem ich Mahlzeiten zubereite und Teller wasche (…) Obgleich ich Martha-Hände habe, hab’ ich doch ein Maria-Gemüt (…) und wenn ich die Schuhe putze, versuche ich, Herr, deine Sandalen zu finden. Ich denke daran, wie sie auf Erden gewandelt sind, wenn ich den Boden schrubbe."
Jeder Tag ist zählenswert
Wenn das meine innere Haltung ist, wird jeder Tag zum Gottesdienst. In Psalm 90 heißt es: "Unsere Tage zu zählen, lehre uns, Herr!" (Einheitsübersetzung) Das heißt: Jeder Tag ist zählens-, erzählenswert. Ich mache es mir bewusst, wenn ich am Morgen sage: Heute ist Mittwoch, der 20. Februar 2019. Diesen Tag hat es noch nie gegeben, es wird ihn auch nie mehr geben. Er ist einmalig, wertvoll, ein "Datum", das heißt: eine "Gabe" Gottes, die ich nicht vergeuden will.
Eine kleine Gebetsgebärde kann das am Morgen und am Abend verdeutlichen: Ich stehe aufrecht da, spüre den Boden unter mir, den Himmel über mir, halte die Hände geöffnet vor mich hin und empfange so den Tag am Morgen von Gott. Am Abend gebe ich ihn genauso wieder ab an ihn.
Oder ich nehme mir Zeit für das "Gebet der liebenden Aufmerksamkeit" und versuche, im Rückblick auf meinen Tag
Gottes Spuren in meinem Alltag zu entdecken.