Als Irrlehrer wurde er angeklagt. Nur dadurch, dass er sich kurz vor seinem Tod noch dem Papst unterworfen habe, ersparte ihm die Verurteilung. Die Rede ist von Meister Eckhart - kein frommer Sozialrevolutionär, kein Gottesleugner, kein Kirchenkritiker, ein Mann der Kirche und der Theologie. Er war Dominikanermönch, der in seinem Orden diente, ihn verwaltete und hohe Ämter innehatte.

Er war Theologe, vielleicht einer der begabtesten unter den wissenschaftlichen Theologen, Professor für Theologie. Er, 1260 geboren, wirkte in Erfurt, Paris und Köln, hatte im klassischen Sinn Karriere gemacht und endete doch jenseits der Grenzen, die die damalige katholische Kirche setzte. Die Kritik lautete:

Seine Theologie wollte mehr wissen, als zu wissen möglich sei und hätte die Christenmenschen in die Irre geführt.

Wo lag genau der Anstoß?

Eckhart dachte von Gott anders als es in der Tradition der Kirche üblich war. Üblich war - und ist es vielleicht bis heute - Gott als Ausgangspunkt der Schöpfung und als Gegenüber zum Menschen zu denken. Damit denkt und erlebt man Gott in einem festen, auch moralisch geordneten System: Gott als Grund aller Dinge und Über-Vater, der zum Ende hin die Welt richtet und so rettet. Das alles verwirft Eckhart nicht, sondern denkt weiter. Hat Gott die Wirklichkeit nur einmalig aus dem Nichts gerufen - oder geschieht dies nicht immer neu? Und wenn es immer neu geschieht, dann steht Gott nicht einfach am Anfang der Schöpfung und damit außerhalb der Welt, sondern steckt mitten drin in ihr, er verwirklicht sich mit jedem Augenblick. Sein ist Gott, sagt Eckhart dazu.

Gott und Mensch gehören zusammen

Die Wirklichkeit, die so entsteht, ist eine Selbstauslegung Gottes, in die der Mensch einbezogen ist. Das menschliche Sein und Handeln, die menschliche Erkenntnis der Welt und Gottes ist die andere Seite der Selbstauslegung Gottes. So gehören Gott und Mensch zusammen. Eckhart bringt damit zunächst Bewegung in das statisch-moralische Gottesbild seiner Zeit. Er dynamisiert die Gottesvorstellung, so der Kirchengeschichtlicher Volker Leppin.

Das hat Folgen. Etwa für die Vorstellung von Jesus Christus: Er ist nicht gekommen, um sich zu opfern, um zu sühnen und zu versöhnen. Sein Kommen ist Teil göttlichen Wirkens, das ein Ziel hat: den Menschen. So, wie Gott ganz aufgeht im Menschlichen, so geht der Mensch auf in Gott, er wird Gott. Ein Bild dafür ist das Feuer, welches das Holz entzündet, damit das Holz Feuer fängt und im Feuer aufgeht. Der Mensch also kann Gott nicht anders begreifen, als zu lieben und so eben Gott zu werden.

Deswegen kann man Gott auch nicht einfach in dogmatischen Sätzen, religiösen Bildern und moralischen Kategorien erfassen, sondern nur, indem der Mensch Teil Gottes wird. Und das geht weit über alles Verstehen hinaus. Es ist ein sich Einlassen, Abstürzen und Aufgehen in etwas, was man nur unzureichend, weil menschlich Gottes Wirklichkeit nennt. Meister Eckhart wusste sehr um die Grenzen menschlichen Erkennens, gerade wenn der Mensch wirklich Gott erkennt.

Gelassenheit bringt Achtsamkeit für das Leben

Das Schlüsselwort dieses Prozesses ist, wonach auch heute noch gesucht wird: die Gelassenheit. Für Eckhart beginnt dies mit dem Loslassen - sich selber loslassen, Altes verlassen und selbst alte Gottesbilder loslassen, Gott loslassen. Gottverlassenheit, das ist der schmerzliche Kern des Lebens. Umgekehrt bedeutet dies aber auch ein Wachwerden für den Augenblick, ein Gespür für Gerechtigkeit, ein Achtsamwerden auf das Leben. Und zwar eine Achtsamkeit für das Leben ohne den modernen Zwang, dass alles für etwas nützlich sein muss, dass man aus dem Leben immer etwas machen muss.

Ein Leben ohne warum, "sunder warumbe" nennt es Eckhard. "Was bedeutet dieses ‚ohne Warum', in dem wir leben sollen und in dem das Leben selber lebt? Es ist die Abwesenheit von allem Zweck, aller Berechnung, allem etwas für etwas Anderes, aller Herrschaft, die sich das Leben zu Dienste macht. ... Das ‚sunder warumbe' ist das, was aller mystischen Gottesliebe zugrunde liegt." So beschreibt es die Theologin Dorothee Sölle.

In der Tat ist Meister Eckhart als Mystiker in die Frömmigkeitsgeschichte eingegangen. Dies gilt aber nur, wenn Mystik dabei mehr ist als religiöse Übung, mehr ist als ein frommer Sonderweg. Wenn es etwas zu tun hat mit Mitte des Lebens, die leer ist. Wenn es etwas zu tun hat mit dem Risiko des Lebens, das immer neu aus dem Nichts ins Sein gerufen wird. Wenn es etwas zu tun hat mit einem Leben ohne Begründung und Warum, eben ein Leben aus Liebe. Wenn es etwas zu tun hat mit der Transzendenz des Diesseits:

Gottes Welt steckt nirgends anders als in dieser Welt.

Eckhard war kein Theologe, der Gott ins Haus der Kirche einpasste. Aber einer, der ein Gespür für jene Wirklichkeit hatte, in der Gott und Mensch verbunden sind, die ersehnte Einheit, das Einssein, das sich aller Sprache entzieht. Gestorben ist er am 13. Januar 1328 in Avignon.