Ein Bündnis aus verschiedenen Jugendorganisationen, Parteien und Verbänden will das Wahlalter für die Landtags- und Kommunalwahlen in Bayern von derzeit 18 auf künftig 16 Jahre senken. Am kommenden Mittwoch (3. Mai) startet "Vote 16" in München mit der Unterschriftensammlung die erste Phase des geplanten Volksbegehrens. Die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing ordnet den Vorstoß im Sonntagsblatt-Gespräch ein.

"Politisches Interesse und Urteilsfähigkeit entstehen ja nicht durch einen plötzlichen Erkenntnisgewinn am 18. Geburtstag."

Frau Münch, was spricht aus Ihrer Sicht für die Absenkung des Wahlalters in Bayern?

Ursula Münch: Inhaltlich sind vor allem zwei Argumente, die für eine Absenkung des Wahlalters sprechen. Zum einen ist es doch so, dass das politische Interesse und die politische Urteilsfähigkeit ja nicht durch einen plötzlichen Erkenntnisgewinn am 18. Geburtstag entsteht - auch 16- und 17-Jährige haben das. Politisch Uninteressierte und Menschen mit wenig Urteilsfähigkeit gibt es in allen Altersgruppen. Der nennenswerteste Vorteil für eine Absenkung des Wahlalters wäre, dass dann fast alle Erstwähler noch zur Schule gehen würden.

Inwiefern wäre das ein Vorteil zum Status quo?

Weil dann deutlich mehr junge Menschen als bislang zum Zeitpunkt ihrer ersten Landtagswahl noch für die schulische politische Bildung erreichbar wären - so könnte man gezielt informieren und zur Teilnahme an der Wahl animieren. Man hätte dadurch auch die Chance, die bisher unterdurchschnittliche Beteiligung von jungen Menschen an Wahlen zu erhöhen. Die ist auch deshalb bislang geringer als im Schnitt, weil sich Ab-18-Jährige oft in Umbruchsituationen befinden und Wahlen da als nicht so wichtig erscheinen.

"Man darf die Interessen der Jungen nicht aufs Klima verengen."

Gegner einer Wahlalter-Absenkung sagen oft, junge Leute seien gar nicht politisch interessiert...

 ... das sieht man ja gerade an den Protesten für mehr Klimaschutz und anderen Themen, dass das nicht so ist. Vielmehr ist es doch so, dass es jetzt gerade um viele Zukunftsthemen geht, die beispielsweise meine Generation gar nicht mehr so sehr betreffen - aber eben die Über-60-Jährigen vergleichsweise viele Wählerinnen und Wähler stellen. Man darf die Interessen der Jungen aber auch nicht aufs Klima verengen. Die Staatsverschuldung ist beispielsweise ebenso ein "Jugend-Thema" wie der Ausbau unserer Infrastruktur.

Gibt es denn aus Ihrer Sicht überhaupt gute Argumente gegen eine Absenkung des Wahlalters?

Zumindest gibt es nachvollziehbar formale Argumente - etwa die Notwendigkeit, die Bayerische Verfassung dafür zu ändern. Das ist natürlich eine große Hürde, weil es einen unheimlichen Aufwand für eine relativ kleine Gruppe an Wahlberechtigten bedeuten würde. Offizielle statistische Zahlen nur zu den 16- und 17-Jährigen in Bayern gibt es nicht. Die Gruppe der 15- bis 18-Jährigen umfasst in Bayern laut Statistischem Landesamt rund 314.000 Personen, die Zahl der neuen Wahlberechtigten wäre also noch mal geringer.

"Wählen muss man lernen."

Und ein inhaltliches Gegenargument gibt es gar nicht?

Genannt wird oft die schon erwähnte unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung der Erstwähler bislang. Für besonders schlagkräftig halte ich es aber nicht. Denn wir wissen aus der Forschung, dass Wählen etwas mit Gewohnheit zu tun hat. Wählen muss man lernen. Und wenn ich in einer Familie aufwachse, in der Wählen keine Rolle spielt, dann gehe ich ab dem 18. Geburtstag in der Regel auch nicht zur Wahl. Insofern hätte man auf jüngere Heranwachsende, die noch zur Schule gehen, über die politische Bildung dort mehr Einfluss.

Wenn es also eigentlich nur eine formale - und überwindbare - Hürde für die Wahlalter-Absenkung gibt: Wie erklären Sie sich den Widerstand einiger Parteien gegen die Forderung?

Wenn wir die AfD mal außen vor lassen, gibt es eigentlich ja nur eine Partei, die wirklich dagegen ist und das ist die CSU. Die Freien Wähler haben sich nur aus Koalitionsräson dagegen ausgesprochen - während einzelne Landtagsabgeordnete und auch viele Vertreter der Jugendorganisation das Volksbegehren begrüßen und sogar unterstützen. Die Vorbehalte der CSU kann man verstehen, wenn man einen Blick darauf wirft, wen junge Menschen denn wählen - und man versteht auch, weshalb die Grünen flammend dafür sind.

"Unüberwindbar ist die Hürde einer Verfassungsänderung nicht."

Also folgen die Parteien bei dem Thema vor allem wahltaktischen Überlegungen?

Ich würde jetzt keiner Partei unterstellen wollen, dass dies die einzigen Beweggründe sind, sich so oder so zu positionieren - aber ganz unwichtig sind die Wahlpräferenzen junger Menschen sicher auch nicht. Das Hauptargument der CSU, dass die zu erwartenden Veränderungen schon alleine wegen der relativ kleinen Personengruppe nicht so groß sind und sich der Aufwand einer Verfassungsänderung dafür nicht rechtfertigt, das kann man anbringen. Aber unüberwindbar ist die Hürde einer Verfassungsänderung eben auch nicht...

Initiative zum Wahlalter ab 16 gestartet

Die Initiative "Vote16" sammelt seit Mittwoch Unterschriften für die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre bei bayerischen Kommunal- und Landtagswahlen. Man wolle ein Volksbegehren für mehr echte Teilhabe junger Menschen erreichen, sagte der neue Präsident des Bayerischen Jugendrings (BJR), Philipp Seitz. "Wagen wir mehr Demokratie in Bayern und verankern wir das Wahlalter 16 in der Bayerischen Verfassung", so Seitz laut einer Mitteilung des BJR. Bayern sei eines von nur fünf Bundesländern, in dem Jugendliche unter 18 Jahren weder auf Landesebene, noch auf kommunaler Ebene wählen dürften. Der Bayerische Jugendring (BJR) trägt das Volksbegehren zur Absenkung des Wahlalters in Bayern gemeinsam mit Vote16.

"Die Anliegen junger Menschen bleiben bei politischen Entscheidungen oft unberücksichtigt, obwohl sie am längsten von deren Auswirkungen betroffen sind", sagte Seitz. Junge Menschen unter 18 würden immer schon gesellschaftlich Verantwortung übernehmen. Im Berufsleben, aber auch ehrenamtlich in Vereinen, Gruppierungen und Initiativen trügen sie zum Gemeinwohl bei.

Demokratiepolitisch spreche vieles für eine Absenkung des Wahlalters, sagte der Vote-16-Mitgründer Jannik Jürß. Studien zeigten, "je früher Menschen an der Wahlurne stehen, desto länger nehmen sie aktiv an demokratischen Prozessen teil." Sie durfte mit 17 ihren Dienst an der Waffe verrichten, nicht aber zum Wahlzettel greifen, berichtete die 21-jährige Vote16-Co-Gründerin und Reserveoffiziers-Anwärterin Kerry Hoppe beim Auftakt zum Volksbegehren. Vote16 sei überzeugt, "dass die Reife, eine fundierte Wahlentscheidung zu treffen, nicht erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt", sage Kerry.

Um das Volksbegehren beantragen zu können, werden in einer ersten Phase 25.000 Unterschriften von wahlberechtigten Menschen in Bayern benötigt. Diese sollen laut der Initiative bis Mitte Juli 2023 gesammelt werden. (epd)

Welche Erfolgschancen räumen Sie dem Volksbegehren und einem möglichen Volksentscheid ein?

Ich halte es angesichts der Vielzahl an Unterstützern des Volksbegehrens für sehr realistisch, dass man die benötigten 25.000 Unterschriften zusammenbekommt - es sind ja zahlreiche Jugendverbände unter den Bündnispartnern von "Vote 16". Bei der Zulassung des Volksbegehrens durchs Innenministerium sehe ich keine Hürden, denn die Absenkung des Wahlalters ist nicht haushaltsrelevant. Die große Frage wird sein, ob es am Ende gelingt, zehn Prozent der aktuell Wahlberechtigten für den Volksentscheid zu mobilisieren.

"Ich halte es durchaus für möglich, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sein Herz für die jungen Menschen entdeckt."

Sollte sich ein möglicher Erfolg eines möglichen Volksentscheids abzeichnen - was glauben Sie, macht die Staatsregierung dann?

Ich halte es durchaus für möglich, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) in diesem Fall sein Herz für die jungen Menschen entdeckt und in diesem Bereich auch punkten will. Die Freien Wähler sind bei dem Thema kein Hinderungsgrund - es wird vor allem darum gehen, die CSU dafür zu gewinnen. Denn die ist im Kern gegen eine Absenkung des Wahlalters. Und fiele sie bei dem Thema in Bayern um, wird es für die Union als Ganzes schwierig, ihr Nein zu einer Wahlalter-Absenkung auf Bundesebene aufrechtzuerhalten.

Das heißt: Ein vergleichsweise kleines bayerisches Volksbegehren kann am Ende sogar bundespolitische Auswirkungen haben?

Ja, durchaus. Da kommt es meiner Einschätzung nach vor allem auf die innerparteilichen Kräfte in der CSU und vor allem in der Jungen Union in Bayern an. Wenn der mögliche Volksentscheid zu einem Erfolg zu werden "droht", dann steht bei einer Volkspartei wie der CSU natürlich sofort die Frage im Raum, warum man diese Stimmungslage nicht richtig eingeschätzt hat. Es würde dann sicher Forderungen geben, dass man sich bei dem Thema schnell neu positionieren muss, um nicht altmodisch oder jugendfeindlich dazustehen.

"Ich gehe nicht davon aus, dass im Oktober die dann 16- und 17-Jährigen in Bayern schon mitwählen dürfen."

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Volksentscheid noch vor der Landtagswahl im Oktober stattfindet?

Ausgeschlossen halte ich zumindest, dass er eine Auswirkung auf die bevorstehende Landtagswahl hat. Denn dazu sind die Fristen viel zu knapp. Ich finde es trotzdem aus Sicht der Initiatoren sehr verständlich, das Thema im Landtagswahljahr zu setzen, denn das Interesse an der Landtagswahl und der Landespolitik ist in so einem Wahljahr höher als unter der Legislaturperiode. Ich gehe aber nicht davon aus, dass im Oktober die dann 16- und 17-Jährigen in Bayern schon mitwählen dürfen.

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