Lyriker*innen, die sich explizit mit Glaube und Religion beschäftigen, gibt es eher selten in Deutschland. Die Bamberger Dichterin Nora Gomringer versammelt in ihrem Gedichtband "Gottesanbieterin" eine ganze Reihe von Texten, die sich explizit mit dem Dies- und Jenseits beschäftigen.
Ausgangspunkt des Buchbands bildet ein Aufenthalt in den USA. Im Hinterhof ihrer Gastfamilie beobachtet Gomringer eine Gottesanbeterin. Diese Begegnung lässt sie das irdische Sein hinterfragen und die Vielgestaltigkeit der Religionen analysieren, diesem "geschmacksverstärkenden, mal verträglichen, mal unverträglichen Glutamat des Seins".
Der Gedichtband besteht aus fünf Teilen, die sich thematisch gewissermaßen von Außen nach Innen bewegen, von allgemeinen Betrachtungen über den Tod bis hin zu ganz persönlichen Momenten von Trauer und Verzweiflung. Gomringer beschreibt, wie sie auf ein Grab blickt, und kleine Zeichen feierlichen Freuden entdeckt: "Grashalme, kichernd, wippend, die sich ringeln an den festen Säulen, / Kleine Kiesel, die von ersten Tritten angestoßen durch die Wellen gleiten." Sie schreibt über die Musik von Arvo Pärt ("Gibt einen Neubeginn") oder die Architektur einer Kirche, die sie mit den Händen ertastet ("wirst Teil eines Wandelns").
Gedichte vom Diesseits und Jenseits
"Für Tim (1978-2019)" steht in kleinen Lettern am Anfang des Bandes, und selbst wenn man diesen Jungen nicht kennt, so lässt doch das "Buch Tim", wie zweite Kapitel genannt wird, die ganze Bandbreite der Emotionen, die mit diesem Verlust verbunden sind, erspüren. Das Leben ist vorbei, die Verbindung ist erloschen, einprägsam ausgedrückt wird dies mit Worten, die nicht mehr zu Ende buchstabiert werden.
Im letzten Kapitel mit dem Titel "Angebot" wagt sich Gomringer in schwierigere Gefilde, versetzt sich hinein in Gestalten wie Jesus oder Gott, und es ist großartig, wie humorvoll sie sich diesen Themen nähert und eine Sprache findet, die nie langweilig und abgedroschen ist, sondern frisch und modern.
Poesie und Illustrationen
Die Bilder, die sie mit ihren kurzen Texten zum Leben erweckt, werden sinnvoll ergänzt durch die kleinen Illustrationen und Fotografien von Zara Teller. Da krabbelt ein Käfer eine Schräge hinauf, um aus dem Rahmen zu gelangen, Detailaufnahmen von einem Insektenkörper oder Kinderspielzeug erinnern an mittelalterliche Vanitas-Symbole.
Mit "Applaus" verabschiedet sich Gomringer aus dem Buch: "Ich bin die Christin mit dem Schandfleck am Knie," beginnt der Text, in dem sie beschreibt, was sie unter Christsein versteht, und deutlich macht, wo sie Nähe und Distanz verspürt.
Hinten in dem Buch klebt eine CD, wer noch zu der Generation gehört, die dafür ein Abspielgerät besitzt, der kann sich die Texte von der Autorin selbst vorlesen lassen. Vielleicht ein bisschen gewollt, aber wirkmächtig ist das silbrig-glänzende Buchcover – wer auf den Titel blickt, erkennt sich selbst. Memento Mori.
Nora Gomringer
Nora Gomringer, Jahrgang 1980, ist mit Literatur aufgewachsen: Ihre Eltern sind die Germanistin Nortrud Gomringerm und der bolivianisch-schweizer Dichter Eugen Gomringer. Die Dichterin lebt in Bamberg und leitet dort seit 2020 das internationale Künstlerhaus der Villa Concordia.
Gottesanbieterin
Immer öfter lässt sich Nora Gomringer die Gretchen-Frage stellen, sie antwortet in Essays, Reden, Geschichten und natürlich: in Gedichten. Das geschieht oft komisch und mit einem Augenzwinkern, ihr und jedes Gläubigsein ist persönlich. Die Lyrikerin hat sich zuletzt mit irdischen Ängsten, Krankheiten und Phänomenen des Oberflächlichen beschäftigt, doch das Metaphysische wohnte dem schon immer inne - und denken wir an Gomringers Wanderung mit einem lispelnden, über die Einsamkeit des Menschen sprechenden Hermelin, so wundert es kaum, dass erneut eine tierische Begegnung Auslöser für die in diesem Band versammelten Gedichte ist.
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