Advent – das große Warten. Aufs Christkind, auf Weihnachten, klar. Aber irgendwie auch auf Helene Fischer. Am ersten Feiertag wird sie mit ihrer Weihnachtsshow (25. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF) unzählige Menschen vor dem Bildschirm beglücken. Im letzten Jahr waren es mehr als sechs Millionen Zuschauer. Zum Vergleich: Das sind fast neun Mal mehr, als im Schnitt den Fernsehgottesdienst schauen.

Warum eigentlich fasziniert Helene Fischer so viele Menschen?

Zum einen: Weil sie viel kann. Ich war mehrmals in ihren Konzerten, alle Achtung. Was für eine tolle, lupenreine Stimme. Und was für akrobatische Hochleistungen sie vollbringt, wie viel Selbstdisziplin sie hat und wie sie ihre Talente nutzt. Viele können das nicht. Dass Helene Fischer mittlerweile zu den international erfolgreichsten und am besten verdienenden Künstlerinnen gehört, verstehe ich. Bei ihr sitzen jeder Ton und jede Bewegung. Ergriffenheit und Ekstase, Glück und Tränen, stundenlang – das muss man erst mal schaffen.

Das führt zum zweiten Grund für Helene Fischers Erfolg. Und der hat mit dem Glauben zu tun. Helene Fischer – oder besser: die, die dieses Produkt planen – greift ungeniert und fast unmerklich in die Schatzkiste der christlichen Religion.

Beim letzten Konzert zum Beispiel: Auf einer Riesenschaukel schwebt sie herein – umgeben von eine Heerschar Akrobaten, die die Gesetze der Schwerkraft aufzuheben scheinen. Das Bild ward Fleisch. Sie klettern, lassen sich fallen, werden wundersam aufgefangen. Der Himmel der Sixtinischen Kapelle, Version 2.0. Mittendrin strahlt Helene Fischer. Sie singt, tanzt in der Luft, landet schließlich auf den Bühnenbrettern. Der Himmel berührt die Erde. Gott wird Mensch. Diesmal in weiblicher Gestalt.

Helene Fischer spendet Trost

Wie zwei Stege ragen Bühnengänge in die Menschenmasse. Hier kommt Helene Fischer dem Publikum nah – und bleibt doch unantastbar. Von Liebe singt sie, "die nie zerbricht". Zwischendurch inszenierte Zeichen und Wunder. Ein Kleid aus Wasser? Gibt’s. Plötzlich schwebt sie im Springbrunnengewand über der Bühne. Schwerelosigkeit? Na klar! Aber sie belässt nicht alles beim Gloria. "Keiner ist fehlerfrei", singt sie und spendet Trost: "Wir feiern die Schwächen."

Einmal, vielleicht der stärkste Moment der Show, durchbricht sie die Distanz zum Publikum. Sie räumt die Bühnenbegrenzung zur Seite, beugt sich hinunter zu einem Kind. Und – dem Publikum stockt der Atem – sie herzt es, gibt ihm sogar einen Kuss auf die Wange. Kurz darauf entschwindet sie wieder in unerreichbare Gefilde.

Der Höhepunkt: Sie besteigt eine Art Raumschiff. "Ich bin ein Mensch wie ihr", sagt sie, "mit denselben Gefühlen, Hoffnungen, Sehnsüchten, Wünschen." Und schwebt langsam höher und höher. Die Himmelfahrt der Helene. So geheimnisvoll wie ihr Auftauchen am Anfang, so mysteriös auch ihr Entschwinden ins Dunkel der Hallendecke hinein. Und das Volk wunderte sich sehr. Ich bin wie ihr, aber ihr werdet nie wie ich sein.

Helene Fischer: Auferstehung in neuem Outfit

Wie auferstanden erscheint Helene kurz darauf im neuen Outfit auf der Bühne: Dies ist "unser Tag", "jedes Wunder wird auf einmal wahr", singt sie: "Mach die Türen auf, der Himmel ist so klar." Eine moderne Version unseres Adventslieds: "Macht hoch die Tür".

Das alles ist perfekte Unterhaltung. Dass viele Menschen in Helene Fischer so was wie einen Engel vermuten und ihre Weihnachtsshow als Highlight des Weihnachtsfests sehen, kann ich gut verstehen. Manchmal wünschte ich, die Kirchen würden die Botschaft auch so perfekt inszenieren.

Doch nach dem nächsten Gottesdienstbesuch liebe ich wieder die alte knarzende Orgel; den Pfarrer, der sich auch mal verspricht; die Gemeinde, die herzhaft, aber unperfekt Weihnachtslieder singt. Die Lektorin, der das Leben Falten ins Gesicht gemalt hat. Und den Mesner, der beflissen und ein wenig stolz den Klingelbeutel durch die Reihen reicht. Kein Schlagzeug, keine Akrobaten. Einfach nur Ruhe.