Im Jahr 1999 hatte die amerikanische Zeitschrift Weekly World News gemeldet, dass ein authentisches Bild von Jesus gefunden worden sei. Jesus sah in der Abbildung im Wesentlichen so aus, wie man ihn in den vergangenen Jahrhunderten dargestellt hatte: lange dunkle Haare, Vollbart, angenehme Gesichtszüge, ein zugleich ernster und warmherziger Blick. Weekly World News ist allerdings eine satirische Zeitschrift, die einfach die gängigen Klischeevorstellungen über das Aussehen Jesu widerspiegeln und ironisch hinterfragen wollte.

"Wir wollen Jesus sehen!" Schon im Johannesevangelium wird dieser Wunsch von griechischen Passah-Pilgern überliefert (Johannes 12,21). In der Geschichte der christlichen Kirche hat es sicher immer die Sehnsucht der Gläubigen gegeben, sich eine bildhafte Vorstellung von Jesus machen zu können.

Zuerst gab es aber im jungen Christentum eine deutliche Zurückhaltung in der bildhaften Darstellung Jesu. Zu Beginn des 4. Jahrhunderts fragte die Schwester des Kaisers Konstantin Eusebius von Caesarea nach einem Bild Christi. Der Kirchenvater antwortete, sie solle die wahren Charakterzüge des Antlitzes Christi besser in der Heiligen Schrift suchen.

Vorstellungen zu Augustinus Zeiten

Auch für Augustinus war unbestritten, dass niemand wissen kann, wie Christus ausgesehen hat. In der frühchristlichen Kirche wurden deshalb vor allem Geschichten aus dem Neuen Testament rund um Jesus bildhaft wiedergegeben. Diese Illustrationen wollten die Heilsaussagen verdeutlichen, oder sie sind allegorische Annäherungen an Christus, wie zum Beispiel die häufige Darstellung des guten Hirten. Im frühen Mittelalter kam es dann aber im sogenannten Bilderstreit zu heftigen Auseinandersetzungen über die Frage des Christusbildes. Darf man den Sohn Gottes überhaupt bildhaft darstellen, wenn doch das zweite Gebot ausdrücklich gebietet, sich kein Bild von Gott zu machen? Wäre eine bildliche Darstellung Jesu nicht eine einseitige Reduktion Christi auf seine menschliche Natur?

Auf der Seite der Befürworter argumentierte Theodoros Studites Anfang des 9. Jahrhunderts so, dass Jesus ja gerade auch die darstellbare menschliche Natur trage. Alles, was seiner Verehrung diene - also auch ein Bild von ihm -, sei gut zu nennen.

Woran aber sollte sich ein Bild von Jesus glaubwürdig orientieren?

Weitreichende Wirkungen hatten auf dem Hintergrund dieser Frage im Mittelalter zwei Bildtypen, die als nicht von Menschenhand gemacht galten: In der Ostkirche wurde das "Mandylion" als Urbild der Ikonenmalerei wirksam. In der westlichen Kirche wurde das "Schweißtuch der Veronika" zum Muster für Jesusdarstellungen.

Mythos Schweißtuch

Die heilige Veronika soll nach Legenden aus dem 6. Jahrhundert Christus ihr Schweißtuch gereicht haben, auf dem dann Blut und Schweiß zu einem Abbild Jesu (vera icon = wahres Bild) geworden seien. Die künstlerischen Annäherungen an das Bild Christi kreisten in der Folgezeit um diese beiden Idealvorgaben.

Im ausgehenden Mittelalter sollten die zunehmend vielfältigen Jesusdarstellungen dazu helfen, sein erlösendes Leiden oder seine göttliche Autorität der gläubigen Seele einzuprägen. Und zugleich war die Darstellung Jesu ein Vorgeschmack auf die endzeitlich verheißene Begegnung des Glaubenden mit Christus "von Angesicht zu Angesicht" (1. Korinther 13,12). Jesusbilder waren also vor allem religiöse Andachtsbilder.

Porträts mit der Absicht einer realistischen Abbildung einer bestimmten menschlichen Persönlichkeit sind erst eine Errungenschaft der Renaissance.

Wandel durch Dürer

Einen entscheidenden Schritt in die Neuzeit markiert hier das Selbstbildnis von Albrecht Dürer, in dem er sich selbst im Jahr 1500 in Typus und Haltung einer Christusdarstellung malte.

Zum einen zeigt sich darin eindrucksvoll die Entdeckung der Einmaligkeit des Individuums in der Renaissance. Der Maler ist nicht mehr nur Handwerker und Auftragsnehmer, sondern eigenständig schöpferisch tätiger Künstler. Das Porträt wird Ausdruck der besonderen Persönlichkeit eines Menschen und speziell im Selbstporträt auch ein Darstellungsmittel der Selbsterkenntnis. Zum anderen drückt sich in der christusähnlichen Darstellung Dürers mit großer Wahrscheinlichkeit auch ein Anliegen seines eigenen Glaubens aus. Dürer war wohl beeindruckt von einem franziskanischen Frömmigkeitsideal, in dem es um ein Ähnlich-Werden mit Christus im Herzen und im äußeren Leben ging.

Seine Selbstdarstellung in Anlehnung an bekannte Christusdarstellungen war also keine Anmaßung, sondern wohl Ausdruck seiner Christusfrömmigkeit und zugleich Ausdruck seines künstlerischen Selbstbewusstseins, dass gerade im schöpferischen Prozess des Kunstschaffens der Mensch seine Gottebenbildlichkeit verwirklicht. Dürer ging in seinem Selbstporträt davon aus, dass das Antlitz Christi das eigentliche Gesicht des Menschen sei.

Ein ähnliches Anliegen verfolgte Rembrandt mit seinem Porträt "Ein Christus nach dem Leben" aus dem Jahr 1648, als er Jesus bewusst nach dem Vorbild eines jüdischen Modells darstellte. Jesus wendet seinen Blick vom Betrachter ab, er wirkt sehr menschlich.

Arme-Leute-Jesus

Die Selbstverständlichkeit der Bedeutung Jesu als vollendetes Bild des Menschen schwand in der Neuzeit zusehends. Mit der Aufklärung und ihrer Religionskritik breiteten sich grundsätzliche Zweifel an den überkommenen Inhalten des christlichen Glaubens aus. Im 19. Jahrhundert gab es noch einzelne Versuche, die Bedeutung Jesu für die eigene Gegenwart dadurch neu zu begründen, dass Jesus ganz in den Stil der jeweiligen Lebenswelt eingepasst wurde. Der realistische Maler Fritz von Uhde malte zum Beispiel 1884 in einem damals als "modern" empfundenen Jesusbild einen schlichten Arme-Leute-Jesus in ganz realistischer Darstellung, wie er in einem Bauernzimmer eine Kinderschar empfängt.

Seine religiösen Gemälde wurden von den einen als "ehrliche" Neuerung des Christusbildes empfunden. Andere, darunter auch Kaiser Wilhelm I., verurteilten seine Jesusdarstellungen als anarchistisch.

In der Kunst des 20. Jahrhunderts spielten dann - auch für die Darstellungen Jesu - die Themen Tod und Leid eine zentrale Rolle. Es ist das Jahrhundert der Weltkriege, des Holocausts, der Atombomben und des millionenfachen, oft namenlosen und gesichtslosen Leidens. Darstellungen Jesu sind auf diesem Hintergrund nun vor allem Darstellungen des Gekreuzigten. Das über die Jahrhunderte ins Bewusstsein der Menschen eingebrannte Bild des gekreuzigten Christus ist die typisierte Darstellung von Leiden, die nun - losgelöst von ihrer christlichen Heilsbedeutung - einfach zum Ausdruck menschlicher Qual wird. Das zeigt sich zunächst bei Vertretern des Expressionismus. Lovis Corinths "Großes Martyrium" (1907) ist ein frühes Beispiel für eine expressionistische Darstellung des Christusbildes. Es fehlen all die üblichen Attribute einer Kreuzigungsdarstellung, wie Dornenkrone, Wundmale und begleitende trauernde Frauen. Die Kreuzigungsszene ist einfach brutaler, ungeschminkter Ausdruck des menschlichen Leidens. Qual und Leiden am Kreuz sind im 20. Jahrhundert das Element aus der Geschichte Jesu, das am unmittelbarsten mit den Erfahrungen von Krieg und Vernichtung verbindbar erscheint.

Der leidende Bruder

In der säkularisierten Welt der Moderne, in der die Kunst ganz zur autonomen Kunst geworden ist und nicht mehr wie viele Jahrhunderte vorher im Dienst der Kirche arbeitet, gibt es nur noch wenige Darstellungen Jesu jenseits der Kreuzigungsthematik.

Eine der Ausnahmen ist Georges Rouault. Seine Christusbilder zeigen Jesus als den leidenden Bruder, der solidarisch ist mit den leidtragenden Ausgegrenzten der Welt. Dieser herausfordernden Solidarität darf der Glaubende nicht ausweichen. "Immer ist Christus in der Vorstadt, durchdringt die Gnade Elend und Pein der Menschen" - so hat Rouault einmal seine Sicht Christi selbst beschrieben.

Eine andere Ausnahme ist Alexej Jawlensky, für den das Antlitz Christi zentrale Bedeutung gewann. Der russischstämmige Jawlensky war Weggefährte von Wassilij Kandinsky und Franz Marc und gehörte zur Künstlervereinigung "Der blaue Reiter". Während seines gesamten Schaffens war das menschliche Gesicht ein zentrales Thema Jawlenskys.

Schon 1916 hatte er begonnen, mystische Köpfe zu malen, die zu Sinnbildern einer inneren Schau wurden. Die äußerlich sichtbare Gestalt des Menschen und der Dinge wurden für ihn zunehmend bedeutungslos. Nicht um die äußere Erscheinung ging es ihm, sondern um das, was innen erscheint. "Dann war mir notwendig, eine Form für das Gesicht zu finden, da ich verstanden hatte, dass die große Kunst nur mit religiösem Gefühl gemalt werden soll. Und das konnte ich nur in das menschliche Antlitz bringen. Ich verstand, dass der Künstler mit seiner Kunst durch Formen und Farben sagen muss, was in ihm Göttliches ist. Kunst ist "Sehnsucht zu Gott", schrieb er einmal an einen Freund. Am Ende seines Lebens malte der durch eine Lähmungskrankheit schwer behinderte Künstler dann nur noch abstrahierte Meditationen des Christusgesichts. "Was denke ich? Was fühle ich? Ich schaue in mich. O, wie möchte ich etwas Göttliches sagen."

Die moderne Kunst stellt Fragen

Diese Worte hat Jawlensky hinten auf eines seiner letzten, dem Schmerz abgetrotzten Bilder geschrieben. Persönlicher Glaube und künstlerischer Ausdruck sind in seinen konzentrierten abstrakten Ikonen wie sonst kaum mehr in der Malerei des 20. Jahrhunderts miteinander verbunden.

In der neueren und neuesten Kunst wird nahezu völlig auf das Porträt verzichtet, und so finden sich erst recht von Jesus kaum mehr porträtierende Darstellungen. Der österreichische Künstler Arnulf Rainer hat in seinen Christusübermalungen in den 80er-Jahren geradezu den umgekehrten Weg eingeschlagen.

Kopien klassischer Christusbilder der Malereigeschichte wurden von ihm übermalt, und damit hat er die typischen Bildvorstellungen irritiert und herausgefordert. Jahrhundertelang war es ja Aufgabe der Kunst gewesen, im Auftrag der Kirche Antworten des Glaubens anschaulich zu machen. Die Kunst der Moderne aber stellt, wenn überhaupt, allenfalls Fragen. Die Christusübermalungen Rainers sind dafür ein Beispiel, insofern sie das scheinbar Bekannte gewissermaßen verhüllen, sodass der Einzelne es neu für sich enthüllen und "entdecken" muss.

Es gab in jüngster Vergangenheit zwei prominente Ausstellungen zur Entwicklung der Christusdarstellungen in der abendländischen Kunst. In der National Gallery in London 2000 die Ausstellung "The Image of Christ" und 2005 im Wallraf-Richartz-Museum anlässlich des 20. Weltjugendtags in Köln die Ausstellung "Ansichten Christi". Es ist bezeichnend, dass darin kaum Christusdarstellungen aus dem 20. oder gar 21. Jahrhundert gezeigt wurden. Porträts der Person Jesu sind in jüngerer Zeit fast nur noch in den Medien Film und Fotografie versucht worden. Beispiele sind etwa die an die Ästhetik von Modefotografie erinnernden fotografischen Inszenierungen von Bettina Rheims in ihrer Fotoserie I.N.R.I. (1998) oder die Fotografien von Duane Michaels, der in seiner Serie "Christ in New York" (1981) eine Jesusfigur in existenzielle Randsituationen unserer Zeit einbindet - zum Beispiel indem Jesus verprügelt wird, als er bei einem Gewaltakt einen Homosexuellen verteidigt, oder mit einer armen alten ukrainischen Immigrantin am Tisch sitzt und Hundefutter isst.

Dieser fotografisch interpretierte Jesus beschäftigt sich im Grunde mit der Frage, wie Christus in der gegenwärtigen Welt erscheinen würde und wie er aufgenommen würde.

In unserer multimedialen Wirklichkeit erhält das Bild zunehmend ein Übergewicht gegenüber der Sprache, und damit rückt die Wirksamkeit von nach wie vor tief im Bewusstsein verankerten christlichen Symbolen und Bildtypen wieder in den Blickpunkt von Künstlern. Auch die Entdeckung, dass das Thema Religion sich in der globalisierten Welt durchaus nicht erledigt hat, trägt dazu bei, dass zum Beispiel die Kreuzigungsdarstellung neu aufgegriffen wird. Manche zeitgenössischen Künstler nutzen die Provokationskraft, die immer noch in den christlichen Glaubenssymbolen steckt, indem sie in einer das religiöse Empfinden manchmal sehr herausfordernden Weise diese Symbole umgestalten.

Die göttliche Natur ist nicht darstellbar

Der russische Künstler Alexander Kosolapov zeigt zum Beispiel ein klischeehaft süßliches Jesusbild, das er auf einem Leuchtkasten mit dem Stil des Werbelogos von McDonald's und dem Schriftzug "This is my body" (Dies ist mein Leib) kombiniert. Beim Logo von Coca-Cola steht "This is my blood" (Dies ist mein Blut). In dieser provozierenden Darstellung steckt die ernst zu nehmende Frage, inwiefern die Religion in unserer Zeit ein Konsumartikel ist, der wie alle anderen Konsumartikel auch mit den gewöhnlichen Strategien der Werbung vermarktet wird.

Insgesamt ist die Darstellung Christi in der diffusen Religiosität unserer Gegenwart, die immer weniger an den traditionellen Formen der christlichen Kirchen orientiert ist, kaum mehr Gegenstand zeitgenössischer Kunst. Und es scheint nahezu unmöglich geworden zu sein in unserer postmodernen materialistischen Konsumwelt, die Heilsbedeutung Jesu Christi künstlerisch auszudrücken. In dieser Entwicklung weg von der Christusdarstellung kehrt unbeabsichtigt aber nun auch eine Wahrheit wieder, die schon in den Anfangszeiten der christlichen Auseinandersetzung mit dem Bild Jesu eine wichtige Rolle gespielt hat.

Das Bilderverbot wurde theologisch immer mit der Unverfügbarkeit Gottes gegenüber menschlichen Vorstellungen begründet. Auch die göttliche Natur Christi ist dann - wie Gott selbst - unfassbar und deshalb eigentlich nicht darstellbar. Insofern kann die Abkehr von direkten Christusdarstellungen in der modernen Kunst auch für Christen ein Hinweis darauf sein, dass die bleibende christliche Botschaft von Jesus als Sohn Gottes in unserer Gegenwart noch einmal neu und anders formuliert werden muss. Die überkommenen Typen von Jesusdarstellungen reichen dazu nicht aus.

Wenn man die Probe macht und im Internet nach Jesusbildern sucht, dann werden einem vor allem harmlos-süßliche Jesusdarstellungen präsentiert, die seltsam erstarrt wirken und bloß für den frommen Markt Bedeutung haben. Solche Jesusbilder sind bei Weitem zu anspruchslos, um in unserer Zeit spirituell wegweisend etwas von der Heilsbedeutung Jesu Christi zeigen zu können. Wie aber kann im Sichtbaren dieses Unsichtbare sichtbar werden?

Moderne Malerei

In der Malerei der Moderne wird Jesus nur noch selten als Porträt dargestellt. Dadurch soll der Blick für die hinter dem Sichtbaren liegenden Transzendenz eröffnet werden. Wenn man etwa in die großen schwebenden Farbflächen der Bilder von Mark Rothko betrachtend "eintaucht", dann kann man ganz erfüllt werden vom Dasein und Schauen. Aber man kann das nicht an einem bestimmten "Inhalt" festmachen.

Der Verzicht auf wiedererkennbare gegenständliche Darstellung eröffnet so einen Raum spiritueller Deutung und verweist auf eine Erfahrungsdimension, die jenseits des direkt Sichtbaren liegt.

Der Glaube selbst ist ja im Grunde eine Sehschule. Es geht um ein Sehen des "Herzens", das hinter und in den Dingen Gott am Werk sieht und das sich wieder und wieder üben und vertiefen muss. Gerade dieses Unterwegssein, dieses Nicht-fertig-Sein, dieses Suchen und Finden und wieder Suchen und Finden im Glauben ist eine wichtige Parallele zur Suche und Kreativität der Kunst. In der Notwendigkeit, mit offenem Blick zu leben, entsprechen sich Glaube und Kunst und können sich gegenseitig inspirieren. Weil Glaube eine Sehschule ist, kann die Kunst, die ebenfalls eine Sehschule ist, dazu helfen, auch im Glauben aufmerksamer und offener und erwartungsvoller zu sein.

Vom Künstler John Cage stammt das Wort: "Kunst hat einfach nur die Aufgabe, uns wach zu machen - wach für das Leben." Das ist nicht weit entfernt von der Wachsamkeit, die im Neuen Testament als eine zentrale Haltung des Glaubenden beschrieben wird - eine Wachsamkeit, die zuallererst im konkreten Nächsten, im "geringsten Bruder" (Matthäus 25,40) das Angesicht Christi erkennen soll.