Die Stadt München hat als erste deutsche Landeshauptstadt beschlossen, das sogenannte N-Wort zu verbannen. Gegen die Stimmen der AfD beschloss der Stadtrat am 2. Februar, das N-Wort als rassistisch anzuerkennen und seinen Gebrauch zu vermeiden und zu ächten.

Darüber hinaus fordert die Bayerische Staatsregierung auf, über die Änderung der Gemeindeordnung den Kommunen die Möglichkeit einzuräumen, die rassistische Verwendung des N-Wortes in Gemeinde- und Stadtratssitzungen mit einer Geldbuße zu sanktionieren.

Der Beschluss folgte auf den Antrag einer Initiative, zu deren Begründern der Münchner Musiker und Aktivist Jireh Emanuel zählt. Im Sonntagblatt-Gespräch erklärt er, was hinter der Kampagne steckt, wie er den Erfolg bewertet und welche Erfahrungen er selbst mit dem N-Wort gemacht hat.

Wie schätzen Sie den Erfolg Ihrer Kampagne "N-Wort stoppen” ein?

Jireh Emanuel: Es ist eine von vielen Schlachten, die noch kommen werden. Und diese ist historisch, weil sie den Grundstein für die bundesweite Ächtung des Wortes und die Kriminalisierung seiner Verwendung geliefert hat.

"Dass die Stadt München jetzt die eigene Rassismus Geschichte anerkennt und einräumt, dass die Verwendung des Wortes eine rassistische Praxis ist, ist historisch."

Warum historisch?

Emanuel: Weil München die erste Landeshauptstadt in Deutschland ist, die das Wort ächtet. Und gerade in München und Bayern ist das N-Wort aufgrund der allgemeinen Sprachkultur und des Umgangs mit diesem Wort sehr etabliert. Es hat jahrelang gebraucht, bis es überhaupt zu so was wie der Verbannung des Wortes von bayerischen Speise- und Getränkekarten kam. Bis heute gibt es Gastronomiebetriebe, die das Cola-Mischgetränk auf ihrer Karte als N-Wort bezeichnen. Die Tatsache, dass die Stadt München jetzt die eigene Rassismus Geschichte anerkennt und einräumt, dass die Verwendung des Wortes eine rassistische Praxis ist, ist historisch. Darüber hinaus fordert sie in der Ächtung ja auch eine Gesetzesänderung in der Gemeindeordnung, so dass sie die Verwendung des Wortes in städtischen Versammlungen und in der Verwaltung mit einem Bußgeld belegt werden kann. Das gab noch nie, dass eine Landeshauptstadt eine Gesetzesänderung auf Staatsebene beantragt hat, damit sie ein Bußgeld verhängen kann, wenn jemand eine rassistische Handlung tätigt. Und das wiederum spielt im Hinblick auf die bundesweite Ächtung des N-Worts eine wichtige Rolle.

Wie glaubwürdig ist dieses Bekenntnis zur Anerkennung der eigenen Rassismus Geschichte für Sie denn?

Emanuel: Das wird sich erst in Zukunft zeigen. Man muss schauen, ob das sich wirklich etwas ändert. Es wird es im Jahr 2024 einen Bericht dazu von der Fachstelle für Demokratie dazu geben, der zur Internationalen Woche gegen Rassismus veröffentlicht wird. Idealismus ohne Handeln bringt nichts, sonst sind es nur Absichtserklärungen.

Kann man Rassismus mit Gesetzen bekämpfen?

Emanuel: Natürlich reicht ein Gesetz alleine nicht. Ich meine, es steht auch im Gesetz, dass es keine Morde begangen werden soll. Es muss Arbeit auf mehreren Ebenen geleistet werden. Das Gute daran, wenn ein Gesetz wird, ist, dass wir es dann schwarz auf weiß haben, dass wir uns als Land gegen diese rassistische Praxis stellen, rassistische Sprache nicht tolerieren und uns dazu verpflichten, dagegen vorzugehen. Auf der anderen Seite muss natürlich die Bildungs- und Aufklärungsarbeit weiterlaufen in der Verwaltung, im Bildungssektor, auf dem Arbeitsmarkt, in allen Lebensbereichen, wo Menschen mit dunkler Hautfarbe präsent sind.

"Das N-Wort ist nicht neutral, es hat keinen rein deskriptiven Charakter."

Was sagen Sie Kritikern, die eine Ächtung des N-Worts als "Sprechverbot" bezeichnen?

Emanuel: Die Ächtung des Wortes oder die Bekämpfung von Rassismus in der Sprache mit einem Sprech- oder Redeverbot gleichzusetzen, ist definitiv falsch. Das N-Wort ist nicht neutral, es hat keinen rein deskriptiven Charakter. Alles Negative, was man einem Menschen antun kann, steckt in diesem Wort. Es ist eine Beleidigung, und die ist von der freien Meinungsäußerung nicht gedeckt.

Glauben Sie, dass das vielen, die das Wort noch verwenden, gar nicht bewusst ist?

Emanuel: Definitiv, weil wir in einem rassistischen System aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Vielen ist der eigene Rassismus nicht bewusst. Es ist aber historisch belegt, dass mit diesem Wort Entmenschlichung, Abwertung, eine Rechtfertigung für Sklaverei, Kolonialismus, Vergewaltigung und Mord verbunden ist.  Und dass muss man anerkennen.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst mit dem N-Wort gemacht?

Emanuel: Das war durchgehend präsent. Schon im Kindergarten gab es die allseits bekannten Lieder und Sprüche. Und natürlich auch in der Schule, in der Grundschule in Frankfurt eher weniger, muss ich sagen, weil ich in einem eher multikulturellen Stadtteil aufgewachsen bin. Hier in München, wo ich dann ab der vierten Klasse zur Schule ging, sah es dann etwas anders aus, dort fiel vermehrt das N-Wort.

"Sie haben nicht verstanden, was dieses Wort für uns Schwarze Menschen bedeutet."

Gab es irgendeine Reaktion der Lehrerschaft darauf?

Emanuel: Nein, ich bin häufig auf Unverständnis von meinen Lehrerinnen gestoßen. Es hieß immer, ich übertreibe, und es ist doch gar nicht so schlimm gemeint. Das N-Wort sei doch nur das ein Wort. Sie haben nicht verstanden, was dieses Wort für uns Schwarze Menschen bedeutet. Auf dem Gymnasium wurde das sogar noch schlimmer. Ich bin auf ein sehr konservatives, gutbürgerliches Gymnasium gegangen. Dort wurde ich immer wieder mit dem N-Wort beleidigt, und auch bespuckt.

Wie haben Sie reagiert?

Emanuel: Ich habe mich mit aller Macht dagegen zur Wehr gesetzt, aber es wurde von meinen Lehrerinnen und Lehrern nicht nicht ausreichend verfolgt oder geahndet. Am Arbeitsplatz ging es genau so weiter: ‘Von einem dreckigen N… lasse ich mir nichts sagen’ und solche Sprüche. Frauen, die ich kennengelernt habe, die mich mit dem N-Wort versucht haben, zu verniedlichen.

"Das N-Wort wird verwendet von Deutschen wie von Türken, Arabern und Asiaten, es ist egal, welche Gesinnung, welche Religion, welchen Glauben, welche Herkunft die Menschen haben."

Sprich, es ist Ihnen überall begegnet?

Emanuel: Ich habe alle Bildungsschichten durchlaufen, war auf der Haupt-, dann Realschule, dann dem Gymnasium. Das N-Wort wird verwendet von Deutschen wie von Türken, Arabern und Asiaten, es ist egal, welche Gesinnung, welche Religion, welchen Glauben, welche Herkunft die Menschen haben. Wenn sie nicht selbst Schwarz sind, scheint es kein größeres Hindernis zu sein, Rassismus zu reproduzieren.

"Letzten Endes wurde eine Entscheidung getroffen, aber Schwarze Menschen als Betroffene wurden nicht zu dieser Stadtratssitzung eingeladen. Dabei wäre das ein noch stärkeres Zeichen gewesen."

Worauf führen Sie den Erfolg Ihrer Initiative letztlich zurück?

Emanuel: Da kommt sicher mehreres zusammen. Zum einen die Petition mit fast 15.000 Unterschriften. Dann unsere Social-Media-Kampagne, mit der wir insgesamt um die 200.000 Menschen erreicht haben. Wir haben einfach richtig viele Menschen erreicht und damit öffentlichen Druck aufgebaut. Ich muss auch sagen: ich bin froh über unseren Erfolg, aber es hat auch viel harte Arbeit, Kraft, Energie und Zeit gekostet. Wir sind mit unserem Anliegen dreimal am Migrationsrat gescheitert. Und als der Antrag dann endlich durch war, haben wir seit Ende September auf eine Beschlussvorlage vom Stadtrat gewartet, damit sie es endlich offiziell machen. Das war schon eine heftige Nummer, muss ich ehrlich sagen. Und: Letzten Endes wurde eine Entscheidung getroffen, aber Schwarze Menschen als Betroffene wurden nicht zu dieser Stadtratssitzung eingeladen. Dabei wäre das ein noch stärkeres Zeichen gewesen. Das ist, wo wir hinwollen: Einfach gleichberechtigt behandelt zu werden. Aber wir sind auf einem guten Weg.

"Wir brauchen mehr Ressourcen, mehr Netzwerke, mehr Geld, damit antirassistische Bildung umgesetzt werden kann."

Was braucht es aus Ihrer Sicht in Zukunft, um Rassismus wirkungsvoll zu bekämpfen?

Emanuel: Durch diesen langwierigen Prozess ist uns auch klar geworden, dass Schwarze Menschen unabhängig und selbstbestimmt agieren können müssen. Es braucht mehr Black Power in Form von Repräsentation in Gremien, in Ausschüssen, damit solche Prozesse nicht so lange dauern, damit die Menschen, die sich mit der Materie auskennen, entsprechend handeln können. Wir brauchen mehr Ressourcen, mehr Netzwerke, mehr Geld, damit antirassistische Bildung umgesetzt werden kann.