Als "hochgradig gefährdet" hat der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den sozialen Frieden in Deutschland bezeichnet. Bei der Schlusskundgebung der Demonstration #ausgehetzt am Sonntagnachmittag machte Reiter dafür eine "Verrohung der Sprache, Scheindiskussionen und eine völlig falsche Prioritätensetzung" der bayerischen und deutschen Regierungspolitik verantwortlich. Wer keine Antworten auf drängende soziale Fragen wie Altersarmut und Wohnungsnot gebe, dafür aber "mit plakativen Äußerungen von der eigenen Unfähigkeit ablenken will, darf damit keinen Erfolg haben", so das Stadtoberhaupt.
Nach Veranstalterangaben hatten trotz schlechten Wetters rund 50.000 Menschen am Demonstrationszug von #ausgehetzt teilgenommen, der sich vom Goetheplatz über die Schwanthalerstraße bis zum Königsplatz zog. Die Polizei sprach von 25.000 Teilnehmern bei der Schlusskundgebung auf dem Königsplatz.

Die CSU hatte sich noch mit einer Plakatkampagne gegen die Demonstration gewehrt. In der Nacht zum Sonntag hatte die Partei Plakate mit der Aufschrift "JA zum politischen Anstand, NEIN zu #ausgehetzt, Bayern lässt sich nicht verhetzen!" entlang der Route der Demonstration aufgehängt. Mit Blick darauf sagte OB Reiter: "Es ist sinnvoller, im täglichen politischen Sprechen und Tun den politischen Anstand zu wahren, anstatt ihn nur zu plakatieren."
Kapitän des Seenotretters "Lifeline" am Königsplatz
Claus-Peter Reisch, Kapitän des Seenotrettungsschiffs "Lifeline", schilderte auf der Bühne am Königsplatz die Situation der privaten Seenotretter im Mittelmeer. Viele Schiffe dürften die italienischen Häfen nicht mehr verlassen, zwei Rettungsflugzeuge würden am Boden gehalten: "So wird nichts mehr dokumentiert, niemand mehr gerettet, und die Leute ertrinken einfach." Wenn der italienische Innenminister Matteo Salvini von geretteten Flüchtlingen als "Menschenfleisch" spreche, fühle er sich "furchtbar": "Ich dachte, dieser Jargon wäre vor 70 Jahren endgültig im Orkus der Geschichte verschwunden", sagte Reisch. Seenotrettung sei kein Verbrechen, sondern Pflicht.
Reisch steht in Malta vor Gericht, weil seinem Rettungsschiff laut Anklage eine Behördenerlaubnis gefehlt habe. Ihm drohen ein Jahr Haft oder 11.600 Euro Strafe. Zum nächsten Prozesstag am 30. Juli fahre er erhobenen Hauptes: "Wir haben bislang in vier Missionen 460 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. Ich habe nichts falsch gemacht", sagte der Landsberger unter dem Beifall der Menge.
Stephan Reichel vom Verein "matteo - Kirche und Asyl" beklagte, das derzeitige Asylsystem sei "geprägt von Verlogenheit und Unehrlichkeit". Die Hälfte der abgelehnten Asylbescheide würde in Gerichtsverfahren wieder aufgehoben. "Das Gebot der Stunde ist Integration, nicht Abschiebung", sagte Reichel.
Peter Probst vom Münchner Verein "Lichterkette" sagte, die Menschen wollten "Versöhnung statt Spaltung, Integration statt Abschiebung". Wer Worte wie "Asyltourismus" in die Welt setze, diskreditiere Menschen auf der Flucht, mache Bürgern Angst und vergifte das Land. Die Münchner Demonstration zeige aber: "Die Anständigen sind in der Mehrheit."
Über 25 Flüchtlingshelferkreise im #ausgehetzt-Bündnis
Hinter der Demonstration #ausgehetzt stehen das Bündnis "Gemeinsam für Menschenrechte und Demokratie" und rund 130 Verbände der Zivilgesellschaft, darunter Pro Asyl und das Evangelische Migrationzentrum, Ärzte der Welt und der Frauennotruf München, das Volkstheater und die Münchner Kammerspiele sowie über 25 Flüchtlingshelferkreise aus ganz Oberbayern.
Das Bündnis hatte wahlkämpfende Politiker und insbesondere die bayerische Regierung aufgefordert, die Gesellschaft nicht weiter "durch eine eskalierende und verrohende Sprache" zu verunsichern. Eine Politik der Angst komme allein Rechtspopulisten zu Gute und löse keinerlei Probleme.