Es war bei einem Einsatz anlässlich des Gedenkgottesdienstes für die Opfer des Würzburger Amoklaufs. An mehreren Ständen hielten die Helfer*innen Wasser für die Teilnehmer der Andacht bereit. "Da kamen Passanten und raunzten unsere Ehrenamtlichen an, von wegen, wir wären beim Attentat nicht schnell genug da gewesen", erzählt Michael Kiesel. Seit über 25 Jahren ist der 44-Jährige schon bei den Maltesern engagiert. Früher seien die "weißen Kräfte" prinzipiell als "die Guten" angesehen worden, sagt er. Heute kühlt man an ihnen gern mal sein Mütchen: "Das ist manchmal wirklich bizarr."
Ehrenamtliche: Mangel an Dankbarkeit
Wer acht Stunden in einer Fabrik arbeitet oder Lehrer*in ist und sich nach Feierabend ehrenamtlich einsetzt, erwartet vor allem eines: Dankbarkeit. Doch daran mangelt es immer öfter, konstatieren die Würzburger Malteser. Hilfe wird nicht nur selbstverständlich angenommen. Sie wird mitunter sogar direkt eingefordert. Als hätte man einen Anspruch darauf. Michael Kiesel erinnert sich an einen stark betrunkenen jungen Mann, den die Malteser in die Klinik brachten. Dort jedoch sah man keinen Behandlungsbedarf. Der Mann wurde entlassen: "Daraufhin erwartete er, dass wir ihn nach Hause fahren."
"Man denkt, wer hilft, tut dies bestimmt beruflich und bezahlt"
Warum der Trend in diese Richtung geht? Auch Doris Rosenkranz von der Technischen Hochschule Nürnberg, die seit vielen Jahren zum Ehrenamt forscht, hat darauf keine eindeutige Antwort. Sie vermutet "Unkenntnis" als Hauptursache für die teilweise völlig überzogenen Erwartungen an ehrenamtliche Helfer*innen. "Man denkt, wer hilft, tut dies bestimmt beruflich und bezahlt", so die Professorin. Rosenkranz appelliert an die Bürger, danke zu sagen: "Und dabei auch zu überlegen, was denn der eigene Beitrag sein könnte."
"Dass Feuerwehrleute zu 98 Prozent freiwillig im Dienst sind, wissen viele Bürger nicht"
Dabei hat die Wissenschaftlerin vor allem die ehrenamtliche Feuerwehr im Blick. Während die einen nachts im warmen Bett liegenbleiben können, rücken die anderen bei Alarm aus, auch wenn es draußen höchst unwirtlich ist: Über 310.000 ehrenamtliche Feuerwehrleute sind in Bayern bei Katastrophen zur Stelle.
"Dass Feuerwehrleute zu 98 Prozent freiwillig im Dienst sind, wissen viele Bürger nicht", bestätigt Johann Eitzenberger, Vorsitzender des Landesfeuerwehrverbands. Die Ehrenamtlichen helfen nach seinen Worten rund um die Uhr gern, wenn Leben, Hab und Gut bedroht sind. Bei Überschwemmungen pumpen sie Keller leer. Allerdings nicht restlos: "Die letzten zwei Zentimeter Wasser muss man schon selbst mit dem Putzlappen aufwischen."
Unbeholfenheit der Bürger*innen
Irgendwer wird eine unangenehme Sache schon für einen regeln: Diese Haltung ist laut Johann Eitzenberger in der Bevölkerung inzwischen weit verbreitet. Die Erwartungshaltung an Helfer*innen wie jene der Feuerwehr sei "Full Service-orientiert". Dahinter stecke weniger böser Wille als "Unbeholfenheit". Nicht jeder Bürger könne zum Beispiel nachvollziehen, dass die Feuerwehr bei einem Sturm zwar kommt, wenn Gefahr droht, dass ein Baum entwurzelt wird: "Fällt der Baum, werden wir ihn jedoch nicht beseitigen." Das verursacht immer öfter Unmut. Dem zum Teil auch Luft gemacht wird: "Der Umgangston gegenüber der Feuerwehr wird rauer."
Selbst anpacken? Eher nicht
Menschen, die bei Gefahr selbst ohne Zaudern zupacken, würden gleichzeitig immer rarer. "Bürgerinnen und Bürger wissen nicht mehr, wie sie mit ungewöhnlichen Situationen umgehen sollen, das ist eine Erscheinung unserer Zeit", konstatiert Eitzenberger. Auch daran liege es, dass sich die Erwartung an freiwillig Engagierte in den letzten Jahren deutlich gesteigert habe: "Man verlässt sich auf die Rundumversorgung, die wir in Deutschland haben, und denkt, dadurch kann einem selbst letztlich nichts passieren." Es gebe jedoch zum Glück auch Ausnahmen: "Beim Hochwasser 2013 in Passau zum Beispiel haben viele Studenten spontan mitgeholfen."
"Wir machen, was wir machen können und machen dürfen, doch die Menschen erwarten, dass wir mehr tun."
Für sie sei ihr Ehrenamt eine Quelle der Freude, bekennt Simone Hereth aus Nürnberg, die sich seit 2017 bei den Maltesern einbringt: "Anderen Menschen zu helfen, das macht mir einfach Spaß." Die 26-Jährige engagiert sich unter anderem als First Responderin. Das bedeutet, dass sie dann, wenn zum Beispiel der Notarzt gerade bei einem anderen Einsatz ist, als Sanitäterin vor Ort geht, um zu beginnen, einen Menschen, der zusammengebrochen ist, zu reanimieren. Sehr oft, gibt die junge Frau zu, müsse sie sich bei diesen Einsätzen ärgern: "Wir machen, was wir machen können und machen dürfen, doch die Menschen erwarten, dass wir mehr tun."
Unwirsche Reaktionen an der Tagesordnung
Dieses Verhalten war vor allem anfangs eine arge Enttäuschung für die junge Frau, die sich neben ihrem Job als Sachbearbeiterin ehrenamtlich einbringt. Natürlich verstehe sie, dass Menschen, deren Angehörigen es sehr schlecht geht, umgehend umfassende Hilfe wollen. "Doch wir First Responder dürfen keine Medikamente geben, und wir können auch keinen Kranken transportieren", erklärt sie. Die freiwilligen Helfer*innen vor Ort bereiten jedoch alles für die Notärzt*innen vor. Inzwischen habe sie sich daran gewöhnt, dass es bei Einsätzen mitunter zu unwirschen Reaktionen kommt, sagt Hereth: "Ich versuche, das einfach runterzuschlucken."