Der ehemalige Leiter der Regensburger Domspatzen, Georg Ratzinger, ist tot. Er starb im Alter von 96 Jahren in seinem Wohnhaus in Regensburg. In die Weltöffentlichkeit gelangte er durch seinen Bruder, den inzwischen emeritierten Papst Benedikt XVI.. Dieser gab ihm vor wenigen Tagen in Regensburg ein letztes Geleit.
Georg Ratzinger war immer auch mehr als nur der Papstbruder: Er machte die Regensburger Domspatzen zu dem, was sie heute sind - ein Knabenchor auf Weltniveau. Unter seiner Ägide entfalteten die traditionsreichen Sänger im Lauf der Wirtschaftswunderjahre eine nie dagewesene Reisetätigkeit und Medienpräsenz.
Georg Ratzinger: Regensburger Domspatzen gaben Tourneen und traten in Fernsehshows auf
Im Jahr 1964 trat Georg Ratzinger das Amt als Domkapellmeister an; bereits ein Jahr später war der Chor auf seiner ersten Auslandstournee nach Rom unterwegs, inklusive einer Privataudienz bei Papst Paul VI.. Es folgten Tourneen in die USA, Kanada, Skandinavien, Japan, Irland, Polen, Ungarn und immer wieder in den Vatikan.
Ratzingers Domspatzen traten in Fernsehshows auf und sangen beim Staatsbesuch der britischen Königin (1978), wirkten beim Papstbesuch Johannes Paul II. (1980) in der Münchner Residenz mit oder gingen auf Tournee nach Irland, unter Begleitung des damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (1992).
Schallplatten-Einspielungen großer Werke der Chormusik folgten, wie etwa die h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach. Im Jahr 1976 feierten die Domspatzen ihr 1000-jähriges Bestehen mit einer ganzen Festwoche - und einer Konzerttournee in vier skandinavische Länder. Ratzinger wurde mit Medaillen, Ehrentiteln und Verdienstorden überhäuft.
Auf keinen Titel legte er so viel Wert wie auf den des Domkapellmeisters. Am liebsten werde er mit "Herr Domkapellmeister" angesprochen, sagte er einmal. 1994 verabschiedete sich Ratzinger im Alter von 70 Jahren von den Domspatzen, er hatte sie 30 Jahre lang geleitet.
Georg Ratzinger komponierte bereits mit zwölf Jahren selbst
Ratzinger wurde am 15. Januar 1924 in Pleiskirchen bei Altötting geboren. Seine musikalische Hochbegabung zeigte sich früh. Sein Bruder Joseph, der spätere Papst Benedikt XVI., schrieb in seinem Buch "Aus meinem Leben", dass die Musik das "besondere Charisma" seines Bruders sei. Mit elf Jahren spielte er bereits die Orgel in der Kirche.
1935 trat er in Traunstein ins Gymnasium ein und in das dortige Erzbischöfliche Studienseminar. Bereits 1936 fing er an, selbst zu komponieren.
Wie eine Initialzündung musste gewirkt haben, als er mit 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder zum ersten Mal die Salzburger Festspiele besuchte und die Domspatzen live erlebte. Das Ereignis ließ ihn nicht mehr los. Nach dem Zweiten Weltkrieg trat er 1946 ins Priesterseminar der Erzdiözese München und Freising ein und begann bald darauf das Studium der Kirchenmusik an der Musikhochschule in München. 1955 belegte er den Meisterkurs an der Hochschule für Musik.
So sehr das Licht auf Georg Ratzinger auch strahlte, im Sommer 2017 verdunkelte sich sein Stern: Die katholische Kirche veröffentlichte ihren Bericht zu den Misshandlungsfällen bei den Domspatzen.
Dabei stellte sich heraus, dass Ratzinger Teil des Gewaltsystems bei den Domspatzen war. Um "seine Vorstellungen von musikalischer Qualität durchzusetzen", habe er auch nach 1980 "körperliche Gewalt zumindest in Einzelfällen" angewendet, hieß es im Bericht. Später entschuldigte sich Ratzinger dafür, selbst Buben geohrfeigt zu haben.
Ihren Ruhestand wollten die Ratzinger-Brüder zusammen in Regensburg verbringen, im Stadtteil Pentling steht Joseph Ratzingers ehemaliges Wohnhaus. Doch der 19. April 2005 machte diesen Traum zunichte. An jenem Tag wurde Joseph Ratzinger zum Papst gewählt. Darüber zeigte sich der ältere Bruder zunächst wenig erfreut. Er habe gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorüberginge, sagte der Papstbruder damals. Doch er akzeptierte die Wahl bald und reiste immer wieder gerne in den Vatikan, um den Bruder zu besuchen.
Papst Benedikt XVI.: Georg Ratzingers Bruder besuchte ihm vor seinem Tod
Georg und Joseph Ratzinger waren zeitlebens eng verbunden. Sie wuchsen in einfachen Verhältnissen auf, Vater Joseph war Gendarm, Mutter Maria war Köchin. Beide Söhne besuchten das Studienseminar St. Michael in Traunstein, sie studierten beide Theologie und wurden gemeinsam 1951 zu Priestern geweiht.
Joseph Ratzinger machte in der Kirche Karriere, wurde Theologie-Professor, Erzbischof von München und Freising, Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom und im April 2005 schließlich Papst. Georg Ratzinger blieb bis zu seinem Tod, insgesamt 56 Jahre lang, in Regensburg.
"Die Stadt ist praktisch wie ein Stück von mir selber", sagte er einmal. Sein Wohnhaus in der Luzengasse verließ er nur noch selten, er saß im Rollstuhl, sah nur noch sehr schlecht. Sein engster Vertrauter war bis zum Schluss sein Bruder, der 93-jährige emeritierte Papst Benedikt XVI., mit dem er mindestens einmal pro Woche telefonierte.
Zuletzt waren die beiden Brüder wieder vereint: Der emeritierte Papst Benedikt XVI. stattete dem Bruder vor dessen Tod einen letzten Besuch ab. In aller Stille verabschiedeten sich die beiden Brüder voneinander, deren Leben menschlich so eng verwoben und räumlich doch so getrennt verlief.
Seine letzte Ruhestätte wollte Georg Ratzinger am Unteren Friedhof in Regensburg finden, in der Grabstätte seines Vorgängers, des früheren Domkapellmeisters Theobald Schrems. Das habe er so verfügt, sagte er einmal. Wie die ewige Heimat dereinst aussieht, davon wolle er sich überraschen lassen: "Sie wird hoffentlich schöner, als wir es uns vorstellen können."