Am Anfang stand der Besuch einer Messe mit Papst Franziskus auf dem Petersplatz – und die berechtigte Frage, was wirklich hinter dem historischen Kuriosum steckt, das inzwischen fast schon selbstverständlich erscheint: "Zum ersten Mal seit über 500 Jahren haben wir zwei lebende Päpste, und die sind in praktisch keiner Frage der gleichen Meinung, aber beide sollen unfehlbar sein. Das, denke ich, ist eine interessante Situation", sagt der Oscar-nominierte Autor Anthony McCarten. Auf seinem gleichnamigen Buch basiert der Film "The Two Popes" des brasilianischen Regisseurs Fernando Meirelles.

Plausible Vatikan-Spekulation

Kirchengeschichtlich leben wir tatsächlich in einer besonderen Zeit. Gut, es ist schon mal ein Papst zurückgetreten. Coelestin V. war es, im Jahr des Herrn 1294. Und gut, es gab auch Zeiten mit sogar drei Päpsten gleichzeitig. Aber mit einem wie auch immer gearteten Einvernehmen, wie es zwischen Benedikt XVI. / Joseph Ratzinger und Franziskus / Jorge Mario Bergoglio zu herrschen scheint, hatte das wenig zu tun.

Film und Buch liefern eine Spekulation – aber eine gut begründete: das Doppelporträt zweier Heiliger Väter, die auf sehr unterschiedliche Weise versuchen, den Laden Kirche in schwierigen Zeiten zusammenzuhalten. Doch hinter der einvernehmlichen Fassade verbergen sich schroffe Gegensätze: theologisch, kirchenpolitisch, menschlich, kulturell. Um Fußball und ums Tanzen geht es auch.

"Die zwei Päpste" ist ein höchst unterhaltsamer Film, obwohl seine Grundstruktur im Grunde nur ein Gespräch ist, eine Begegnung, eine Konfrontation von zwei Kirchenmännern, wie sie gegensätzlicher nicht sein könnten. Dass der Film funktioniert, liegt nicht zuletzt daran, dass es eine wahre Lust ist, diesen beiden Großschauspielern zuzuschauen bei ihrem frommen Duell – Jonathan Pryce ("Brazil") als Jorge Bergoglio/Franziskus und Anthony Hopkins ("Das Schweigen der Lämmer") als Joseph Ratzinger/Benedikt.

Anthony Hopkins und Jonathan Pryce brillieren

Der Film beginnt mit dem Tod von Papst Johannes Paul II. und der Wahl des Bayern Joseph Ratzinger zum neuen Papst Benedikt XVI. Nicht nur seine Namenswahl - nach Johannes und Gregor ist Benedikt der dritthäufigste Papstname - bekundet: Hier setzt einer auf die Tradition und auf Kontinuität.

Vor dem Konklave hat der Argentinier Jorge Bergoglio in einer Gruppe Mit-Kardinäle über dessen Ausgang herumgewitzelt - mit einem Fußballvergleich: "Es wird wie eine Weltmeisterschaft. Jeder hofft auf ein schönes Endspiel zwischen Brasilien [er meint den "linken" brasilianischen Kardinal Cláudio Hummes] und Italien [er nickt in Richtung des ebenfalls als progressiv geltenden italienischen Kardinals Carlo Martini], aber am Ende gewinnen die Deutschen im Elfmeterschießen". Und dabei nickt Jorge Bergoglio in Richtung Joseph Ratzinger.

Schlüsselmoment in der »Kammer der Tränen«, in dem kleinen Raum neben der Sixtinischen Kapelle, wo frisch gewählte Päpste ihre weiße Kleidung anlegen.
Schlüsselmoment in der »Kammer der Tränen«, in dem kleinen Raum neben der Sixtinischen Kapelle, wo frisch gewählte Päpste ihre weiße Kleidung anlegen (Anthony Hopkins als Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und Jonathan Pryce als Jorge Bergoglio/Franziskus).
Spaziergang im Garten von Castel Gandolfo, dem Sommersitz der Päpste in den Albaner Bergen.
Spaziergang im Garten von Castel Gandolfo, dem Sommersitz der Päpste in den Albaner Bergen.
Am Klavier kann der begabte Pianist Joseph Ratzinger (Anthony Hopkins) seine weichere Seite zeigen.
Musik bricht das Eis: Am Klavier kann der begabte Pianist Joseph Ratzinger (Anthony Hopkins) seine weichere Seite zeigen.
Mit Rückblenden blickt der Film zurück in die Zeit Jorge Bergoglios (Juan Minujín) in Argentinien.
Mit Rückblenden blickt der Film zurück in die Jugend Jorge Bergoglios (Juan Minujín) in Argentinien, in die Zeit seiner Verlobung und seiner Berufung. Und in die Zeit der argentinischen Militärdiktatur: Der Verdacht, Bergoglio habe seinerzeit als Ordensprovinzial der Jesuiten mit der Junta kollaboriert, begleitet den Argentinier bis heute.
Deutsch-argentinisches Endspiel mit zwei Päpsten: Jonathan Pryce als Jorge Bergoglio und Anthony Hopkins als Joseph Ratzinger schauen WM-Finale 2014.
Deutsch-argentinisches Endspiel mit zwei Päpsten: Jonathan Pryce als Jorge Bergoglio und Anthony Hopkins als Joseph Ratzinger schauen WM-Finale 2014. Der Ausgang ist bekannt.

Es gibt bekanntlich keine Zufälle: Als der amtsmüde Benedikt Bergoglio nach Rom einbestellt, hat der Argentinier längst selbst ein Ticket besorgt, um seinen Rücktritt als Kardinal einzureichen. Stattdessen erwartet ihn nun eine merkwürdige Begegnung mit dem deutschen Papst in dessen Sommerresidenz Castel Gandolfo, der für ihn immer eher Gegner als Partner war.

Die Sympathien des Films liegen eindeutig beim volksnahen Südamerikaner Jorge Bergoglio. Jonathan Pryce ist in seiner Franziskus-Verkörperung auch deutlich näher am Original als Anthony Hopkins bei Benedikt. Pryce geht in der Originalfassung das Spanische leicht von der Zunge, Hopkins spricht Englisch, nicht Deutsch. Sein Ratzinger ist mehr eine Kunstfigur. Wie der Brite das Deutsche am Deutschen spielt, ist fast schon Karikatur. Aber es gelingt ihm so, der Gestalt Joseph Ratzingers eine sperrige Komplexität zu verleihen, eine verborgene Größe an diesem Papst sichtbar zu machen, die das Herz berührt und in Erinnerung bleibt.

Joseph Ratzinger am Klavier

Wirklich zu sich selbst – und das berührt erstmals auch den anderen – findet Benedikt am Klavier. Sogar ein Joseph Ratzinger war einmal jung, das scheint auf, als er einen Zarah-Leander-Song anklingen lässt. Die wirklichen Zumutungen – auch seinen Rücktritt – teilt Benedikt seinen Kardinälen dagegen auf Latein mit, »dann verstehen es nur 20 Prozent«. In Argentinien weiß einer aber schon vorher Bescheid.

Irgendwann in "Die zwei Päpste" teilen sich die beiden Kirchenmänner, während sie sich näherkommen, eine Pizza und zwei Fantas: in der "Kammer der Tränen", dem kleinen Raum neben der Sixtinischen Kapelle, wo frisch gewählte Päpste ihre weiße Kleidung anlegen. Dort nehmen sie sich gegenseitig die Lebensbeichte ab. Ein Schlüsselmoment, der für beide Befreiung bedeutet: für den zweifelnden Ratzinger, weil ausgerechnet durch die Person seines ehemaligen Gegners Bergoglio für ihn die lange verstummte Stimme Gottes wieder hörbar wird; für den zweifelnden Bergoglio, weil ihm ausgerechnet der theologiesteife Deutsche wieder spürbar macht, was Sündenvergebung und Verantwortung für die Kirche bedeuten.

Der Fußball wird zum Spiegel und Symbol einer Beziehung, die sich verändert hat: Ratzinger kann mit Bergoglios Fußball-Leidenschaft zu Beginn nichts anfangen. Doch am Ende schauen beide gemeinsam, der Argentinier und der Deutsche, das Finale der Fußballweltmeisterschaft 2014 in Brasilien. In der hart geführten Schlacht zwischen Argentinien und Deutschland wird sogar der spröde Benedikt zum Fußballfan – Franziskus hat ihm die Faszination des Spiels näher gebracht. Das Fußball-Finale wird Deutschland gewinnen. In Brasilien, gegen Argentinien. Doch es ist nicht das Elfmeter-Deutschland der verbreiteten Vorurteile, kein hüftsteifes Rumpelfüßler-Deutschland, das da gewinnt, sondern eines, das spielt, kämpft und begeistert.

Spielarten der Kirche

Welche Gestalt hat die Kirche der Zukunft? Bergoglio und Ratzinger stehen für höchst gegensätzliche "Spielarten". Mit Rückblenden widmet der Film der Bergoglio-Geschichte dabei historisch das größere Interesse. Er blickt zurück in die Jugend Jorge Bergoglios in Argentinien, in die Zeit seiner Verlobung und seiner Berufung. Und in die Zeit der argentinischen Militärdiktatur: Der Verdacht, Bergoglio habe seinerzeit als Ordensprovinzial der Jesuiten mit der Junta kollaboriert, begleitet den Argentinier bis heute.

Es wäre spannend, hätte Autor McCarten, der zeitweise auch in München lebt, ein ähnliches Interesse am Vorleben Joseph Ratzingers aufgebracht. Benedikt war als Papst vielen unsympathisch. Englische Revolverblätter bezeichnen ihn immer noch gern als "Nazi Pope", weil er Mitglied der Hitlerjugend und später jugendlicher Soldat in der Wehrmacht war. Eine Ungerechtigkeit, denn Ratzinger und seine Familie hegten nachweislich keinerlei Sympathien für den Nationalsozialismus. Ratzingers Vater schied in den 30er-Jahren aus politischen Gründen vorzeitig aus dem Polizeidienst aus, was die Familie in erhebliche wirtschaftliche Probleme brachte – und wiederum Ratzingers HJ-Mitgliedschaft wider Willen beförderte, weil sie Erleichterungen beim Schulgeld bedeutete. Für die Ratzingers bedeutete die NS-Zeit einen Einbruch des "Zeitgeistes" in die Gegenwelt der Kirche. "Sie sprechen von Mauern", wirft Ratzinger im Film Bergoglio vor, "als seien sie etwas Schlechtes. Ein Haus ist aus Mauern errichtet, starken Mauern!" Und Bergoglio erwidert: "Gnade ist das Dynamit, das Mauern niederreißt!"

Eben damit sind die beiden theologischen Positionen auf den Punkt gebracht: die bewahrende und die revolutionäre, das "Haus" und der "Geist". Doch im Grunde braucht es immer beides – eben: zwei Päpste.