Karfreitag zwischen Schmerz und Trost
An Karfreitag wird in vielen Kirchen und Konzertsälen zur Todesstunde Jesu die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach aufgeführt. Wenn ich an dem Tag mit dem Bach-Chor München auf der Bühne stehen und die ersten Chorzeilen "Kommt ihr Töchter, helft mir klagen" singen werde, werde ich eine überwältigende Dimension von Emotionen spüren.
Die Musik führt mich an den neuralgischen Punkt unseres Daseins zwischen Leben und Tod. Drei Stunden lang versetzt mich das Werk in eine innere Nähe zum Verlust und zum Gefühl der Trauer. Gleichzeitig löst es in mir ein Gefühl der Identifikation aus, denn auch mein eigenes Leben wird eines Tages zu Ende gehen. So komme ich plötzlich auf eindringliche Weise mit meiner eigenen Sterblichkeit in Kontakt.
Im Laufe des Konzerts weicht die Melancholie immer mehr. Es ist, als würde die Musik den Schmerz nach und nach verarbeiten.
Im abschließenden Chorsatz"Wir setzen uns mit Tränen nieder" gewinne ich den Eindruck, dass Bach seine Zuhörerschaft durchaus bewusst mit einem tröstenden Gefühl in die Stille des Karfreitags entlässt. Die vorsichtige Hoffnung auf Erlösung, die bereits im letzten Chor mitschwingt, stimmt mich am Ende des Konzerts froh – und nachdenklich.
Die verlockenden Alternativen zum Karfreitag
Zeitgleich tummeln sich an Karfreitag Beiträge in den sozialen Medien, die einen Ausweg aus der – wie es scheint – gesetzlich verordneten Stille versprechen. Es werden Partys und Veranstaltungsorte angepriesen, an denen ausgelassen gefeiert und getanzt werden kann.
Einerseits verstehe ich die Sehnsucht nach Zerstreuung und Leichtigkeit an einem so bedrückenden Tag. Auch ich finde: Karfreitag ist ein schräger Feiertag. Auf der anderen Seite offenbart gerade diese Sehnsucht nach ausgelassenem Feiern die Zerrissenheit unserer Existenz zwischen ihrer Begrenztheit und dem Wunsch nach nie endender Lebensfreude.
Gerade weil freudestrahlende Momente flüchtig sind, sehnen wir uns unbeschränkt danach. Wer das Leben sucht, hat zugleich die eigene Endlichkeit vor Augen.
In der Spannung dieser gegensätzlichen Gefühle liegt die Kraft von Ostern: Aus der Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit und dem Schmerz des Verlustes erwächst die Hoffnung auf ein Leben, das stärker ist als der Tod. Ostern macht diese existenzielle Zerrissenheit für mich erfahrbar.
Anschaulicher wird diese Dialektik, wenn wir uns vor Augen führen, dass eine überstandene Krankheit uns schmerzlich mit unserer körperlichen Verletzlichkeit konfrontiert. Krankheit und Genesung zusammen lassen uns ein gesundes Leben und die Bedeutung von Gesundheit überhaupt wertschätzen.
Wenn der Ostergruß ins Herz trifft
Am Ostersonntag dann wird der Satz "Jesus Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!” in den Gottesdiensten wieder und wieder wiederholt.
Solche Redundanzen sind liturgisch gesehen zwar fragwürdig, doch an diesem Tag trifft mich der fast mantraartig vorgetragene Satz mitten ins Herz.
Es ist, als würde er die Atempausen zwischen Todesangst und Lebenshoffnung ausfüllen. Mal laut und froh verkündend, mal leise und nachdenklich bahnt sich die erstaunliche Erkenntnis ihren Weg:
Da ist etwas, das stärker ist als der Tod. Immer wieder taucht der Gedanke auf, dass das Leben als Siegerin aus dem Grabe hervorgeht. In der Osterbotschaft schwingt die Zuversicht mit, dass Angst und Tod nicht das letzte Wort haben werden.
Ostern als Begegnung mit dem Unbegreifbaren
Glauben im christlichen Sinn bedeutet, aus der Kraft der Auferstehung Christi zu leben. Leben ist Geschenk und Hoffnung zugleich, weil der Tod zwar überwunden ist, aber als unumstößliche Grenze gegenwärtig bleibt.
Gerade dies macht für mich Ostern so unbegreiflich: dieses Gefühl, von einer Hoffnung getragen zu werden, die über das irdische Ende hinausreicht und das menschliche Ohnmachtsgefühl vor dem Tod in Lebensfreude verwandelt.
Der Psychiater und Holocaust-Überlebende Viktor Frankl beschreibt Gott als dialogischen Gesprächspartner in Grenzsituationen, mit dem der Mensch sonst oft kaum in Beziehung treten kann. Sich mit dem Unbegreiflichen verbunden zu fühlen, beschreibt für mich den Kern der Ostererfahrung.
In den Osterruf einstimmen
Die dialektische Spannung zwischen Leben und Tod verleiht unserem Leben Tiefe und Sinn. Trotz aller eigenen Bemühungen erlangt das Leben erst durch seine Begrenztheit eine umfassende Bedeutung.
Es ist weniger unsere Frage nach dem Leben, als vielmehr des Lebens selbst an uns: Wie hältst Du es mit mir?
Gerade an Ostern sind wir eingeladen, uns auf dieses kostbare Geschenk des Lebens einzulassen und die frohe Botschaft der Auferstehung Jesu in unserem alltäglichen Denken, Fühlen und Handeln zum Ausdruck zu bringen.
Wenn wir uns entschieden dem Leben zuwenden und es mit Dankbarkeit und Liebe füllen, dann stimmen auch wir mit ein in den Freudenruf: "Jesus Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!”
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