Berlin, Augsburg (epd). Der Armutsforscher Christoph Butterwegge hat die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete Mehrwertsteuersenkung auf den Gasverbrauch von 19 auf 7 Prozent kritisiert. Sie reihe sich ein in die bisherigen Entlastungsmaßnahmen, die keineswegs gezielt den ärmeren Bevölkerungsschichten zugutekämen, sagte Butterwegge am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Wenn man die Mehrwertsteuer auf Gas senke, entlaste dies vor allem Wohlhabende und Reiche. Wer eine große Villa mit Gas heize, müsse dann erheblich weniger bezahlen. Für eine arme Familie falle die Entlastung in ihrer kleinen Etagenwohnung sehr viel geringer aus, erläuterte der Kölner Politikwissenschaftler. Wenn man eine Verbrauchssteuer pauschal senke, profitiere jener Bevölkerungsteil am meisten, der viel verbrauche.

Außerdem gebe es keine Garantie, dass die Gasversorger die Steuersenkung an die Verbraucher weitergäben. "Deshalb würde ich die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas zu den Maßnahmen zählen, die als wenig passgenau, sozial unausgewogen und ökologisch problematisch bezeichnet werden müssen", sagte Butterwegge.

In der "Augsburger Allgemeinen" (Donnerstag) hatte der Politikwissenschaftler zuvor die Politik aufgefordert, die finanzielle Unterstützung von Bürgerinnen und Bürgern stärker am tatsächlichen Bedarf auszurichten. "Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass sozial Benachteiligte und Bedürftige im Fokus stehen", sagte er und fügte hinzu: "Die Energie-Pauschale von 300 Euro der Bundesregierung beispielsweise bekommt ein Normalverdiener genauso wie ein Top-Manager, der sie zwar höher versteuern muss, aber im Grunde überhaupt nicht braucht. Rentnerinnen und Rentner erhalten die Energie-Pauschale hingegen nicht, da sie nur an Erwerbstätige fließt." Die Pauschale soll im September ausgezahlt werden.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) warnte angesichts der ökonomischen Folgen des Krieges in der Ukraine vor wachsender Kinderarmut in Deutschland. "Die Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln sind drastisch. Die Gefahr, dass die Kinderarmut zunimmt, ist groß", sagte Paus dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland" (Donnerstag).

Weitere Entlastungen müssten zielgenau diejenigen erreichen, die sie am meisten bräuchten, sagte die Ministerin: "Es geht inzwischen um die Existenz. Viele Menschen, darunter gerade Familien mit Kindern, stehen finanziell mit dem Rücken zur Wand."

Paus sprach sich für eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes aus. "Die Kindergelderhöhung, die der Bundesfinanzminister bislang in Aussicht stellt, reicht nicht, um die allgemeine Inflation auszugleichen", sagte sie. "Da müssen wir nachbessern." Zusätzlich müsse die Kindergelderhöhung in ein Gesamtkonzept eingebettet sein, so dass Familien auch an anderer Stelle Unterstützung bekommen. Sie würden von höheren Heizkosten, höheren Preisen für Mobilität und steigenden Lebensmittelpreisen besonders hart getroffen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte vor gut einer Woche Kindergelderhöhungen von bis zu acht Euro im kommenden Jahr und weiteren sechs Euro 2024 in Aussicht gestellt.