Operationen werden verschoben, auf den Covid-Stationen der Kliniken herrschen strengste Schutzvorkehrungen, Pflegerinnen und Pfleger sind erschöpft. Kliniken sind im Stress. "Es ist für niemanden einfach, den langen Atem zu behalten", räumt Dorothea Böhle ein. Auch die Seelsorgerin im Nürnberger Klinikum Nord "nervt die vierte Welle gewaltig". Aber ihre Arbeit als Pfarrerin im Krankenhaus sei "mega-sinnvoll", stellt sie fest.

"Jetzt ist es noch sinnvoller, dass wir da sind."

Im Prinzip können Klinikseelsorgerinnen und -seelsorger in Bayern ganz normal weiterarbeiten, sagt der Vorsitzende der Evangelischen Krankenhausseelsorge Bayern, Pfarrer Harald Richter aus Bad Neustadt. Während in der ersten und zweiten Welle noch an manchen Krankenhäusern nicht klar war, ob man den Seelsorgern Zugang gewährt, sei mittlerweile geklärt, dass "Krankenhaus-Seelsorge ein Teil des System ist".

Die Nachfrage nach den Seelsorger*innen steigt 

Susanne Bammessel, Seelsorgerin am Klinikum Süd in Nürnberg, stellt ebenso fest, "es ist wichtiger denn je, dass wir da sind". "Das Bedürfnis, dass Leute mal sprechen wollen, steigt", erlebt sie. Sie könne in die Patientenzimmer gehen und Zeit mitbringen, während bei vollen Normal- und Intensivstationen den Pflegkräften und Ärzten oft die Gelegenheit für ein Gespräch fehle. "Wir sind in der Klinik die Liberos", beschreibt die Klinikseelsorgerin ihre Aufgabe.

Vor kurzem hat sie für einen intubierten Kranken, der nicht sprechen konnte, ein Telefonat geführt. Ein großer Aufwand, weil sie "voll verkittelt" zum vereinbarten Zeitpunkt neben dem Krankenbett stehen musste. Bammessel hielt dem Patienten den Telefonhörer ans Ohr und erzählte anschließend den Verwandten, wie der Mann auf seine Kinder und Enkel reagiert hatte.

"Ich habe ihnen berichtet: 'da hat er gestrahlt, da hat er genickt', so konnte ich das verlängerte Ohr und Auge der Familie sein."

Derzeit sind für die allermeisten Angehörigen Besuche wegen der hohen Ansteckungszahlen untersagt. Nur in den letzten Stunden eines Sterbenskranken dürfen sie ans Krankenbett.

Körperkontakt ist verboten 

Dorothea Böhle erlebt immer mehr, dass die Angst unter den Patienten groß ist. Nicht nur Covid-Patienten, die merkten, dass sich ihr Zustand verschlechtere, seien sehr beunruhigt. Im Nordklinikum sind auch Patienten der Psychiatrie und Krebspatienten untergebracht, die psychische Unterstützung brauchen, gerade wenn Behandlungen verschoben werden müssen.

Tröstend die Hand eines Patienten ergreifen, das ist für die Pfarrerin derzeit nicht drin: Körperkontakt ist ausgeschlossen, ein freundliches Lächeln bleibt hinter der Maske verborgen. Auf der Intensivstation mit Corona-Infizierten gilt: "strengste Verkittelung". Aber Klinikseelsorger haben ihre Erfahrung: "Ich spüre an der Stimme, an den Augen, der Lautstärke oder an der Körperhaltung, was los ist" , erklärt Pfarrer Frank Nie, der am Universitätsklinikum Erlangen arbeitet.

Mehr Beschäftigte in der Klinikkapelle

In der Klinikkapelle im Nordklinikum stellt Dorothea Böhle fest, dass dort mehr Beschäftigte als sonst - natürlich mit Abstand - sitzen und beten. "Man merkt, dass sie dort zur Ruhe kommen wollen", sagt sie. Auch für die Beschäftigten in den Kliniken wollen die Seelsorger ein offenes Ohr haben. Das sei aber zur Zeit oft nur bei "Tür-und-Angel-Gesprächen" möglich, sagt Frank Nie. Er könne der Ärztin einen frischen Kaffee mitbringen, einem Pfleger die Tür aufhalten. Solche Gesten könnten ermutigen, ist er überzeugt.

Patienten, medizinisches Personal und Angehörige erlebten derzeit eine Dauerbelastung, "die die Menschen mürbe macht", stellt Nie fest. Man erlebe keine Welle, sondern "Langstreckensport". Er frage sich, meint der Pfarrer nachdenklich, was passiert wäre, wenn es im deutschen Gesundheitssystem 4.000 Betten mehr gegeben hätte.

"Wie viele Toten hätten wir denn noch riskiert, damit die Wirtschaft nicht pleite geht?"