Berlin, München (epd). Für den Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, ist das Schuldeingeständnis des Münchner Erzbischofs Kardinal Reinhard Marx "authentisch". Marx habe am Donnerstag glaubwürdig Verantwortung für die Vertuschung und mangelnde Aufarbeitung von Missbrauchsfällen im Erzbistum München und Freising übernommen, sagte Rörig dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er könne damit auch ein Vorbild für andere Ortsbischöfe sein. "Würden mehr Verantwortliche in der katholischen Kirche so reagieren, würde das sicherlich auch helfen, einen Weg aus dem historischen Fiasko zu finden", so Rörig weiter.

Marx hatte am Donnerstag in einer Pressekonferenz Fehler im Umgang mit der Aufklärung und Verhinderung von sexualisierter Gewalt eingeräumt. So betonte er beispielsweise, er mache es sich zum Vorwurf, die Perspektive von Betroffenen nicht ausreichend übernommen zu haben. "Ich war und bin nicht gleichgültig. Hätte ich noch mehr und engagierter handeln können? Sicher, ja!", sagte er. Ein erneutes Angebot zum Amtsverzicht machte er nicht.

Rörig sagte, er könne verstehen, sollten Betroffene darüber enttäuscht sein. Doch Marx' Haltung habe auch etwas mit dem "Abbau von Klerikalismus" zu tun. Er stehe offensichtlich für eine synodale Kirche. Marx hatte erklärt, erneut sein Amt zur Verfügung zu stellen, wenn er oder andere zu dem Schluss kämen, er sei ein Hindernis für die Aufarbeitung. "Ich traue ihm zu, dass er die Kraft hat, Veränderungen voranzubringen", sagte Rörig.

Der Missbrauchsbeauftragte forderte auch die Politik auf, selbst eine "proaktivere Rolle" bei der Aufarbeitung von Missbrauch einzunehmen und die Position als Beobachterin am Spielfeldrand zu verlassen. Er verwies auf eine nötige rechtliche Verankerung der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die nach derzeitigem Stand ihre Arbeit Ende 2023 einstellt.

Ein unabhängiges Gutachten hatte vergangene Woche Hinweise auf mindestens 497 Missbrauchsopfer im Erzbistum München und Freising zwischen 1945 und 2019 offenbart. Die Gutachter identifizierten 235 Täter, darunter 173 katholische Priester. Den Verantwortlichen des Erzbistums wiesen sie zahlreiche Verstöße gegen Aufklärungspflichten und den Schutz von Tätern nach, die Vorwürfe richten sich gegen den amtierenden Erzbischof Marx und dessen Amtsvorgänger, darunter der ehemalige Münchner Erzbischof und heutige emeritierte Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger.