Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt erzählt Scharf unter anderem, wie sich Bayern auf die ukrainischen Geflüchteten vorbereitet, was sie gegen den Fachkräftemangel in der Kinderbetreuung tun will und wie sich die Integration von Menschen mit Behinderung verbessern lässt.

Frau Scharf, wie überraschend war für Sie Ihre Nominierung als Familien-, Sozial- und Arbeitsministerin?

Scharf: Sehr überraschend! Dass eine Kabinettsumbildung ansteht, darüber ist ja viel und lange spekuliert worden. Aber man rechnet natürlich nicht unmittelbar damit, dass man betroffen sein könnte. Insofern war ich sehr überrascht - aber auch sehr erfreut, diese Aufgabe übernehmen zu dürfen. Es ist eine große Verantwortung, das "Ministerium des Zusammenhalts in Bayern", das Ministerium der aktiven Bürgerinnen und Bürger, für die Menschen im Freistaat zu leiten.

"Unsere jungen Menschen mussten in der Corona-Pandemie vieles miterleben und aushalten."

Sie galten als profilierte Umweltministerin. Wo sind Ihre persönlichen Anknüpfungspunkte für die Bereiche Ihres neuen Ministeriums?

Scharf: Den Schwerpunkt unserer Arbeit müssen wir jetzt auf unsere Kinder und Jugendlichen legen. Unsere jungen Menschen mussten in der Corona-Pandemie vieles miterleben und aushalten, deshalb müssen wir ein gutes Leben und eine gute Entwicklung unserer Kinder und Jugendlichen besonders in den Blick nehmen.

Lassen Sie uns einen Blick auf den Ukraine-Krieg werfen. Wie gut ist Bayern aus Ihrer Sicht auf die erwartbar hohe Zahl an Geflüchteten vorbereitet?

Scharf: Mein erster Tag im Ministerium war der erste Kriegstag. Dieser brutale Angriffskrieg erschüttert uns zutiefst. Ich habe auch sofort das Gespräch mit den Wohlfahrtsverbänden in Bayern gesucht. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen ausdrücklichen Dank für ihren Einsatz aussprechen.

Wie soll die Flüchtlingshilfe organisiert werden und ablaufen? Müssen ukrainische Geflüchtete dann in große Einrichtungen - oder soll das dezentral organisiert werden?

Scharf: Die Landkreise und kreisfreien Städte bereiten sich schon seit vergangener Woche intensiv auf ankommende Flüchtlinge vor. Wichtig ist mir, die Menschen würdig aufzunehmen, ihnen warme und saubere Kleidung zu geben, ein Dach über dem Kopf, Essen und eine medizinische Versorgung sicherzustellen.

"Wir sind mit den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft konfrontiert."

Der Krieg trifft auch die Wirtschaft. Was erwarten Sie als Arbeitsministerin in diesem Bereich für Auswirkungen?

Scharf: Bereits in den Wochen vor Kriegsausbruch hatten wir große Preissteigerungen vor allem bei den Energiekosten zu verzeichnen. Jetzt sind wir mit den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges auf die Weltwirtschaft konfrontiert. Besonders treffen wird das weltweit wieder die Schwächsten: Familien, Menschen mit geringen Einkünften, ältere Menschen - denn die Preise für Rohstoffe wie Gas und Öl verteuern sich, letztlich auch Strom, und vor allem auch die Preise für Nahrungsmittel.

Rechnen Sie neben den Preissteigerungen auch mit konkreten Auswirkungen auf den bayerischen Arbeitsmarkt?

Scharf: Das ist momentan noch schwer abzuschätzen. Die bayerische Wirtschaft ist natürlich exportorientiert - es gibt viele Wirtschaftsbeziehungen, auch mit Russland. Im Moment zeigt sich der Arbeitsmarkt stabil, allerdings blicke ich mit Sorge auf den Krieg in der Ukraine. Dieser wird auch Folgen für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze in Bayern haben.

Lassen Sie uns den Blick zurück nach Bayern lenken: Steht unter ihrer Leitung eine Reform des durchaus umstrittenen Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes an?

Scharf: Das kann ich Ihnen nach nicht einmal einer Woche im Amt noch nicht final sagen. Als Abgeordnete in einem Stimmkreis mit vielen jungen Familien habe ich das Thema frühkindliche Bildung immer aufmerksam mitverfolgt - und kenne auch die Probleme dabei.

Trotzdem: Gerade viele kleinere Kommunen klagen, dass Bund und Freistaat Rechtsansprüche in der Kita-Betreuung schaffen, die Politik vor Ort das Ganze dann aber stemmen muss...

Scharf: Natürlich kenne ich die Diskussion, ich bin auch seit 20 Jahren Mitglied des Kreistags in Erding. Die Belastungen für die Kommunen sind zwar nicht wegzudiskutieren, aber letztlich ist es doch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die benötigte Ganztagsbetreuung sicherzustellen. Das geht nur, wenn alle Ebenen ihren Beitrag leisten. Ich werde aber bald mit den Spitzenverbänden der Kommunen sprechen, wie wir uns bei diesem gemeinsamen Ziel gegenseitig unterstützen können.

"Ich bin überzeugt davon, dass der Rechtsanspruch auf eine Betreuung für Kinder im Grundschulalter richtig und wichtig ist."

Zum Schuljahr 2026/2027 kommt jetzt auch noch der Rechtsanspruch auf eine Betreuung für Kinder im Grundschulalter. Überfordert das gerade kleine Kommunen nicht völlig?

Scharf: Zum einen: Ich bin überzeugt davon, dass dieser Rechtsanspruch richtig und wichtig ist. Zum anderen: Ja, dieser Rechtsanspruch wird Geld kosten. Wir werden viel in Neu- und Umbauten investieren müssen. Diesen Weg müssen wir gemeinsam mit den Kommunen gehen. Dabei müssen wir auch die Förderrichtlinien im Blick haben: Die müssen künftig weniger starr und pragmatischer gestaltet werden.

Die fehlenden Räumlichkeiten sind das eine, der pädagogische Fachkräftemangel das andere: Wer soll denn die Schulkinder in den neuen Gebäuden betreuen?

Scharf: Der Fachkräftemangel ist und bleibt im Arbeitsministerium eines der Schwerpunktthemen. Zusammen mit der Sozialwirtschaft müssen wir hier noch mehr tun. Es braucht Förderprogramme, attraktivere Arbeitsbedingungen und vor allem mehr Engagement im Bereich der Ausbildung.

Was, wenn das alles nicht fruchtet und die Eltern dann die Kommunen verklagen, weil die mangels Personals den Rechtsanspruch nicht umsetzen können?

Scharf: So weit darf es gar nicht erst kommen! Wir nutzen die Zeit bis zum Start des Rechtsanspruchs. Ich bin zuversichtlich, dass uns der Ausbau der Betreuungsangebote im Sinne unserer Familien gemeinsam gelingen wird.

"Das Testkonzept und die Hygienemaßnahmen waren also wirksam."

Blicken wir noch mal auf die Kitas in der Corona-Pandemie: Ein einheitliches Test-Management wie an Schulen gibt es dort nach wie vor nicht, warum eigentlich?

Scharf: Wir haben in Bayern mehr als 10.000 Kitas - Stand letzte Woche waren von diesen unter fünf Prozent von Schließungen betroffen. Das Testkonzept und die Hygienemaßnahmen waren also wirksam. Ich gehe davon aus, dass neben den Pooltests in einigen Kitas auch die Selbsttestungen durch die Eltern zuverlässig erfolgen und ein verlässliches Gesamtbild liefern. Flächendeckende PCR-Lolli-Pooltests wie an den Schulen sind für alle bayerischen Kitas derzeit jedenfalls nicht möglich. Eine Möglichkeit ist aber die dezentrale Einführung auf lokaler Ebene, die der Freistaat schon seit September letzten Jahres fördert.

Anderes Thema: Viele junge Menschen mit Behinderung finden nach ihrer Schulzeit keinen angemessenen Wohnheimplatz - hat die Politik das Thema nicht im Blick?

Scharf: Ich denke schon, dass wir das im Blick haben. Menschen mit einer Behinderung müssen ein selbstbestimmtes und eigenständiges Leben führen können. Das ist nicht nur eine Worthülse, das nehmen wir im Sozialministerium und auch in der ganzen Staatsregierung sehr ernst.

Fakt ist, dass nicht wenige junge Menschen mit Behinderung mangels passender Wohnformen in Senioren-Pflegeheime ziehen müssen...

Scharf: Bayern wächst nach wie vor. Daraus resultiert ein großer Bedarf an passendem Wohnraum. Wir haben insgesamt mehr Bedarf an passendem Wohnraum als Angebot. Richtig ist, dass wir das Thema noch einmal ganz besonders ins Auge fassen müssen.

Die Corona-Pandemie hat auch noch einmal verstärkt gezeigt, dass sichere Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung Mangelware sind. Wie wollen Sie da gegensteuern?

Scharf: Wir müssen als Staat den Schulterschluss mit der Wirtschaft suchen, noch einmal klarmachen, dass es gerade auch wegen des Fachkräftemangels falsch wäre, eine ganze Personengruppe nicht in den Blick zu nehmen. Menschen mit Behinderung sind wertvolle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und eine Bereicherung für jedes Unternehmen.

"Wir brauchen eine gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsleben und auch in der Politik."

Welche drei Schwerpunkte setzen Sie sich - neben den tagesaktuellen Herausforderungen - für Ihre Amtszeit in der restlichen Legislaturperiode?

Scharf: Erstens, die Lebenssituation von Familien, Kindern und Jugendlichen wird oberste Priorität haben. Zweitens, der Arbeitsmarkt und die Arbeitswelt, die sich aktuell im starken Wandel befindet. Auch die Herausforderungen, die sich angesichts der weltpolitischen Entwicklungen auftun, erfordern unser Handeln. Und drittens sind mir die Themen Frauenpolitik und Gleichberechtigung ein wichtiges Anliegen. Wir brauchen eine gleiche Teilhabe von Frauen und Männern am Arbeitsleben und auch in der Politik.

 ... da müssten Sie dann aber auch mit ihrem Parteichef und Ministerpräsidenten nach der jüngsten Kabinettsumbildung ein paar Takte sprechen...

Scharf: Ich hätte mir gewünscht, dass die Zahl der Kolleginnen im Kabinett gleichbleibt. Allerdings ist die Staatsregierung ja nicht die einzige Ebene - wir haben noch viel Spielraum für Frauen, zum Beispiel in der Kommunalpolitik.

Das klingt wenig ambitioniert für eine Frauenministerin...

Scharf: Immerhin ist die Frauenquote der CSU bei den Ministerinnen und Staatssekretärinnen annähernd 50 Prozent. Es gibt viele starke Frauen, die tolle Arbeit leisten und auch Vorbild für andere Frauen sind.

Trotzdem sind Frauen in der Politik ja nach wie vor auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Was kann und wird ihr Ministerium in diesem Bereich tun?

Scharf: Die Rahmenbedingungen müssen gerade auf kommunaler Ebene frauen- und familienfreundlicher werden. Nicht alles muss immer abends oder in Präsenz stattfinden, das haben wir in den fast zwei Jahren Pandemie doch gelernt. Digitalformate sind sicher nicht für alles geeignet, aber Corona hat uns deren Chancen und Möglichkeiten deutlich aufgezeigt.