München (epd). Cornelia Huth hat sich einen weißen Laborkittel übergezogen. Die promovierte Epidemiologin, die jahrelang am Helmholtz-Forschungszentrum tätig war, will als Aktivistin der Gruppe "Scientist Rebellion" deutlich machen, dass sie Wissenschaftlerin ist. "Diese Form des Protests geht gegen die Natur von Wissenschaftlern", sagt sie vor dem Münchner Tagungshotel, in dem gerade die deutschen Innenminister konferieren. Doch wenn Politiker die Ergebnisse der Forscher konsequent ignorierten, bleibe letzteren keine andere Wahl. Huths Hand, die das Mikro hält, zittert nicht nur wegen der Kälte.

Huth und sechs Kollegen aus ganz Bayern haben zum zweiten Mal innerhalb von vier Wochen ihre Labore und Hörsäle gegen den Asphalt getauscht, um unter dem Motto "Wenn die Welt brennt..." mehr Klimaschutz zu fordern. Wer ihren Kurzvorträgen lauscht, wird mit Fakten, Zahlen, Studienergebnissen druckbetankt. Ohne deutlich mehr Tempo, so das Fazit, ließen sich die Umweltfolgen der Erderwärmung nicht mehr stoppen. Und das, sagt Huth, sei "ökologische Gewalt" - und ungerecht gegenüber jenen Ländern, die schon jetzt stark von Klimakatastrophen betroffen seien.

Gern hätten die zwei Frauen und fünf Männer ihre Statements einem Vertreter der Innenministerkonferenz überreicht. Doch dazu kam es nicht: Statt den Forschern auf der Straße in der Mittagspause einen Besuch abzustatten, habe der bayerische Innenminister dem Versammlungsleiter Jörg Alt angeboten, die Kurzvorträge am nächsten Tag seinem Büroleiter zu überreichen. Der Jesuitenpater schüttelt unwirsch den Kopf: "Das ist indiskutabel - wir kommen doch nicht morgen alle nochmal."

So hörten nur die etwa 30 Demonstranten, die die Wissenschaftler unterstützten, wo es in Sachen Klima überall brennt. Bayern verursache etwa doppelt so viele Treibhausgasemissionen pro Person wie der Durchschnitt der Welt, sagte der Physiker Michael Stöhr. Darum müsse der Freistaat schon 2033 klimaneutral sein, um den gleichen Beitrag zu leisten wie andere Länder, folgerte der Mitkoordinator der Gruppe "Scientists4Future München".

Dass Atomkraft keine Lösung für die Energiekrise sei, erklärte Professor Michael Sterner von der Forschungsstelle für Energienetze und Energiespeicher (FENES) in einem Statement, das verlesen wurde. Bayern habe aber genügend Potenzial an erneuerbaren Energien, um sich selbst zu versorgen. "Alle technischen Lösungen sind da: E-Mobilität, Wasserstoff, Speicher, erneuerbare Energien". Sein Appell: Bayern sollte sich wesentlich höhere Ziele stecken.

Einen gesellschaftlichen Wandel durch neue Lösungsstrategien forderte wiederum der Augsburger Professor für Maschinenbau und Verfahrenstechnik, Michael Hörmann. Die klassischen Lösungsstrategien richteten sich hauptsächlich auf technischen Fortschritt. Dieser habe zwar zum Teil Probleme gelöst, aber auch zu einem stetigen Anstieg der CO2-Emissionen und einer zunehmenden Landnutzung geführt. "Dies sind alles Treiber unserer aktuellen Krisen", sagte Hörmann durch den Motorenlärm an der frequentierten Straßenecke.

Auch die Debatte um die Klimaaktivisten der "Letzten Generation" brachten die Aktivisten zur Sprache. "Diese jungen Leute sind für die Gesellschaft ein Geschenk", sagte Cornelia Huth: "Sie verdienen Schutz und Respekt, statt weggesperrt zu werden." Die Präventivhaft löse "kein einziges der Probleme, um die es uns gehen sollte", sagte Jesuitenpater Alt. "Die Klimakatastrophe lässt sich nicht wegsperren, mit Naturgesetzen lässt sich nicht verhandeln", sagte er.

Wie immer hatten die Forscher ihren Protest um genau 100 Sekunden vor 12 Uhr begonnen. Dies entspreche dem aktuellen Stand der "Weltuntergangsuhr". Sie sei ein aus wissenschaftlichen Studien erstelltes Symbol dafür, wie nah die Menschheit bereits ihrer Selbstvernichtung durch den Klimawandel gekommen sei, erklärte Alt.