Den 7. Februar 2018 wird Thomas Mummer aus Kirchheim am Neckar nie vergessen. Denn an diesem Tag veränderte sich sein Leben für immer. Morgens beim Aufstehen hatte er eine Lungenembolie und fiel ins Koma. Davon, dass die Ärzte im Krankenhaus um sein Leben kämpften, bekam er nichts mit. Er hatte eine sogenannte Nahtoderfahrung und war in dieser Zeit im Himmel, wie er es formuliert.

Dort sei er einem Mann mit weißem Bart, weiß-grauem Haar, blau-grauen Augen und einem weißen Umhang begegnet, der ihn anlächelte. Für ihn war klar: Das ist Gott. "Thomas, es ist alles in Ordnung, du brauchst keine Angst zu haben", habe der Mann mit einer Stimme gesagt, "der man stundenlang zuhören kann". Gemeinsam seien die beiden durch eine Stadt aus alten Steinhäusern gegangen, hätten seine verstorbene Mutter und seinen verstorbenen Schwiegervater gesehen und seien an einem Baum vorbeigekommen, "der in den schönsten und buntesten Farben leuchtete".

Anschließend hätten sich die beiden einem Licht genähert, das immer größer wurde. Doch dann habe der Mann, der ihn begleitete, gesagt, dass hier Schluss für ihn sei und er wieder zurückmüsse.

"Doch das Licht zieht dich an wie ein Magnet. Es sieht einfach nur schön aus und du kannst auch nicht mehr wegschauen davon."

Erst nach zwei Wochen im Koma wacht er wieder auf, reagiert mit seinen Augen. Langsam kämpft er sich ins Leben zurück. Was er an Licht und Farben gesehen hat, versucht er seitdem, in Bildern festzuhalten:

"Man kann sich die Farben nicht vorstellen, deshalb male ich auch diese Bilder."

Thomas Mummer ist nicht der einzige, der eine solche Nahtodwahrnehmung hatte. Der niederländische Kardiologe Pim van Lommel beschäftigt sich seit langem mit dem Phänomen. Betroffene berichteten ihm von einem überwältigenden Glücksgefühl, von außerkörperlichen Erfahrungen, Licht am Ende eines Tunnels, von Begegnungen mit verstorbenen Angehörigen, einem Lebensrückblick oder einer himmlischen Landschaft. Seltener sind Berichte von negativen Erfahrungen. Bei vielen Menschen tauchen Fragen auf wie: Sind Nahtodwahrnehmungen ein Hinweis darauf, dass es ein Leben nach dem Tod gibt?

Forscher, die sich mit dem Phänomen beschäftigen, haben hierzu unterschiedliche Grundannahmen: Einige sehen die Wahrnehmungen als Beleg dafür, dass das menschliche Bewusstsein losgelöst vom Körper existieren kann. Andere führen die Nahtod-Erfahrungen auf Prozesse im Gehirn zurück. So könne es etwa bei einem sterbenden Gehirn zu Endorphinausschüttungen in Folge von Sauerstoffmangel kommen, lautet eine These.

Nahtodwahrnehmungen seien für viele Menschen sehr profunde Erfahrungen, mystische Erlebnisse, sagte der Bonner Neuropsychologe und Diplomtheologe Christian Hoppe. Aber sie seien von Hirnfunktionen abhängig: "Es gibt keine Evidenz für ein hirnunabhängiges Erleben." Der Schweizer Neurologe Olaf Blanke zeigte in einer Studie, dass sich außerkörperliche Erfahrungen, die Bestandteil vieler Nahtodberichte sind, über Hirnstimulationen auslösen lassen.

Der außerplanmäßige Professor für Systematische Theologie an der Universität Erlangen-Nürnberg, Werner Thiede, hat sich intensiv mit dem Thema Nahtod beschäftigt und erklärt:

"Die große Mehrzahl der Nahtod-Expertinnen und -experten ist sich darin einig, dass Nahtod-Erfahrungen nicht beweisen können, dass es ein Leben nach dem Tod gibt."

Er persönlich sei allerdings der Ansicht, dass die Erfahrungen deutliche Hinweise dafür sein können, dass mit dem Tod nicht alles aus sei, ergänzte der Theologe und Autor des Buchs: "Unsterblichkeit der Seele? Interdisziplinäre Annäherungen an eine Menschheitsfrage" im epd-Gespräch. Rein naturwissenschaftlich könne zum Beispiel nicht erklärt werden, warum viele, die aus dem "klinischen" Tod zurückgekehrt seien, ein Wissen mitbrächten, das sie auf normalem Weg eigentlich nicht haben könnten.

Nahtoderfahrungen als Phänomen

Bisher gebe es aus seiner Sicht keine zufriedenstellende naturwissenschaftliche Erklärung für das Phänomen Nahtoderfahrungen, sagt der Allgemeinmediziner Wolfgang Knüll und Autor des Buches "Nahtoderfahrungen. Blick in eine andere Welt". So erkläre zum Beispiel Sauerstoffmangel im Gehirn nicht, warum nur etwa 18 Prozent der Menschen nach einem Herzstillstand ein Nahtoderlebnis hätten, wenn doch alle unter Sauerstoffmangel litten. Außerdem träten Nahtodwahrnehmungen auch auf, wenn das Gehirn gut mit Sauerstoff versorgt sei, wie zum Beispiel bei Meditation. Er teile die Meinung von Wissenschaftlern wie dem niederländischen Kardiologen Pim van Lommel, dass man die Hypothese ad acta legen müsse, dass das Gehirn Nahtoderfahrungen produziere.

Auch wenn noch viele wissenschaftliche Fragen offen sind: Für die Menschen, die sie erleben, sind Nahtodwahrnehmungen Grenzerfahrungen, bei einigen sogar lebensverändernde Ereignisse. So war es auch bei Thomas Mummer. Er musste nach seiner Lungenembolie aus gesundheitlichen Gründen seine Autowerkstatt aufgeben, dafür betreibt er nun einen Imbisswagen. Über seine selbstgemalten Bilder, die er dort ausstellt, kommt er ins Gespräch und unterhält sich bei Pommes und Würstchen mit vielen Besuchern über sein Erlebnis: "Ich glaube, Gott will, dass ich anderen Menschen erzähle, dass es einen Himmel und Gott gibt."

Das im Koma Erlebte habe ihn völlig verändert, fast jede Nacht denke er darüber nach. Für ihn ist es ein Geschenk, dass er sein Leben ein zweites Mal bekommen habe. Seit seinem Erlebnis habe er auch einen ganz anderen Blick auf den Tod, sagt der 58-Jährige: "Immer wieder werde ich gefragt, wie es so ist, zu sterben. Ich weiß jetzt schon mal, dass Sterben nicht weh tut, das beruhigt mich komplett."

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden