Für Lena Hess (Name von der Redaktion geändert) war die Diagnose FASD mit Anfang 20 eine Erleichterung. "Endlich hatte ich eine Erklärung für alles, was schiefgegangen ist. Warum ich mich anstrengen kann, wie ich will, und trotzdem nicht zurechtkomme", sagt die Nürnbergerin.
Die Bezeichnung FASD (Fetale Alkoholspektrumstörung) wird als Oberbegriff für die Schädigung eines Menschen verwendet, die pränatal durch den Alkoholkonsum der Mutter entsteht. Laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen trinkt jede fünfte schwangere Frau Alkohol.
Störung zeigt sich bei allen Betroffenen anders
Bei Hess äußerte sich die Schädigung schon ihr ganzes Leben lang. "Ich bin nie richtig vorwärtsgekommen. In der Schule habe ich keinen Anschluss gefunden, weil ich gemerkt habe, dass bei mir irgendetwas anders ist. Ich habe immer wieder Ausbildungen abgebrochen, hatte Depressionen und habe meinen Alltag nicht hinbekommen." Auf den Rat ihrer Pflegemutter hin fährt Hess zu einem Spezialisten für FASD-Diagnostik
"und da war es relativ schnell ziemlich klar. Ich weiß noch, dass der Arzt zu mir gesagt hat: Jetzt wissen Sie, dass Sie nicht daran schuld sind".
Die Störung zeigt sich bei allen Betroffenen anders, weiß Gisela Bolbecher, Vorsitzende des Vereins FASD Netzwerk Nordbayern. "Kinder mit FASD sind aber immer auffällig. Oft sind sie reizbar und impulsiv, können sich schlecht konzentrieren und vergessen viel. Sie zeigen Bindungsstörungen und Intelligenzminderungen. Das führt für sie und ihre Familien zu großen Herausforderungen im Alltag."
Kein Alkohol in der Schwangerschaft
Dabei ließe sich die Schädigung einfach verhindern: Durch 100-prozentigen Alkoholverzicht in der Schwangerschaft.
"Aber es wissen viele nicht. Lange Zeit haben Frauenärzte immer wieder gesagt, dass ein Gläschen nicht schaden würde."
Mittlerweile sei aber bekannt, dass selbst kleine Mengen Alkohol die Entwicklung der Organe und des Nervensystems des ungeborenen Kindes schädigen können - auch in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Bolbecher rät daher auch Frauen mit Kinderwunsch, keinen Alkohol zu trinken.
Verein will aufklären
Das Ziel des Vereins ist es, möglichst viel Aufklärung zu betreiben. Er bietet Informations- sowie Lehrmaterial für den Unterricht an und hat mit der Wanderausstellung "Zero!" ein Konzept entwickelt, das Jugendlichen anschaulich zeigt, wie sich ein Baby in der Schwangerschaft entwickelt und welche Auswirkungen Alkoholkonsum haben kann.
Für Menschen mit FASD bietet das Netzwerk eine Beratung und Gesprächskreise an, in denen Betroffene Unterstützung bei den Themen Wohnen, Arbeit, Alltag und Freizeit bekommen. Der Verein vernetzt bei einem Runden Tisch regelmäßig Expertinnen und Experten von Forschung bis Therapie.
Auch mit den Jugendämtern arbeitet das FASD-Netzwerk eng zusammen, sagt die Leiterin der Beratungsstelle des FASD Netzwerks Evelina Eckfeld-Wein.
"Wir stehen in Kontakt mit Kranken- und Pflegekassen, wenn es darum geht, ob eine Pflegestufe für die Betroffenen notwendig wird, und bieten weitere sozialrechtliche Hilfen an."
Betroffene oder Menschen, die den Verdacht abklären wollen, können sich zunächst unkompliziert über eine Hotline oder die Webseite melden und werden dann weitervermittelt. An Schulen und pädagogischen Förderstellen berät und schult der Verein die Mitarbeitenden.
ADHS weist ähnliche Symptome auf
Auch wenn es Leitlinien zur FASD-Diagnostik gibt, sei diese schwierig, sagt Bolbecher. Oft gehe man fälschlicherweise von ADHS aus, da sich einige Symptome ähneln. Dazu komme das Thema Schuld, das bei einer Diagnose schwer auf der Mutter lasten kann. Bolbecher ist es wichtig, Mütter, die während der Schwangerschaft Alkohol getrunken haben, nicht zu verurteilen, sondern sie zu begleiten. Sie würde sich wünschen, dass sie frühzeitig die Unterstützung des Netzwerks in Anspruch nehmen, um von Fördermöglichkeiten für ihr Kind zu erfahren.
Zu ihrer leiblichen Mutter, die neben einer schweren psychischen Erkrankung auch eine Suchterkrankung hatte, hat Lena Hess schon lange keinen Kontakt mehr. Seit der Diagnose hat sich jedoch ihr Blick auf ihre Erzeugerin verändert, sagt sie: "Es ist immer noch ambivalent, aber ich kann besser damit umgehen. Als Jugendliche hat es mich immer fertig gemacht, wo ich herkomme, das Warum und Weshalb. Als Erwachsene kann ich fast so etwas wie Mitgefühl für sie aufbringen."
Hess großer Wunsch ist, dass Mädchen schon früh lernen, was Alkohol in der Schwangerschaft anrichten kann,
"denn FASD ist so leicht vermeidbar".