An den Mord an Tausenden Jesid*innen im Norden des Iraks erinnern Kirchen und die Stadt Nürnberg am Mittwoch (3. August 2022) bei einer Gedenkstunde. In der Kirche St. Anton in Nürnberg-Gostenhof, stünden das Gedenken, Zeitzeugenberichte, das Jesidentum und eine kleine Bilderausstellung im Mittelpunkt der Feier, teilte die katholische Stadtkirche mit.

Hauptredner der Gedenkveranstaltung ist der Nürnberger Oberbürgermeister Marcus König. Es sprechen auch der evangelische Stadtdekan Jürgen Körnlein als Vorsitzender des Rats der Religionen, Pfarrer Andreas Müller, katholischer Seelsorger für Flüchtlinge und Migranten im Großraum Nürnberg und Vertreterinnen und Vertreter von Migrationsverbänden.

Frauen und Mädchen systematisch vergewaltigt

Am 3. August 2014 hatten IS-Kämpfer die jesidischen Dörfer in der Sindschar-Region (kurdisch: Shingal) überfallen, Tausende Männer getötet und Frauen und Kinder verschleppt, unter anderem nach Syrien. Frauen und Mädchen wurden systematisch vergewaltigt.

Bis zu dem Massenmord lebten etwa 500.000 Mitglieder der ethnisch-religiösen Minderheit im Irak, heißt es in der Mitteilung. Die größte jesidische Auslandsgemeinde lebt heute mit über 200.000 Menschen in Deutschland. Die jesidische Gemeinde Nürnberg habe etwa 500 Angehörige, heißt es in der Mitteilung.

Jesidische Organisationen wollen Syrien, Irak und Türkei vor Gericht bringen

Jesidische Organisationen arbeiten derzeit daran, ein Verfahren wegen Genozids an der religiösen Minderheit gegen Syrien, Irak und die Türkei vor den Internationalen Gerichtshof zu bringen. Dafür müsste ein anderer Staat diesen Vorwurf gegen die drei Länder erheben und eine Klage bei dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen einreichen, das in Den Haag seinen Sitz hat. Grundlage ist die UN-Völkermordkonvention, nach der alle Staaten die Pflicht haben, Genozide zu verhindern.

Der Türkei wird in einem aktuellen Bericht eines Bündnisses von Menschenrechtsorganisationen ("Yazidi Justice Committee") unter anderem zur Last gelegt, die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) durch Nichtstun unterstützt zu haben, da Kämpfer die Grenze in das Land überqueren, Erdöl schmuggeln und auf türkischem Territorium Gräueltaten an Jesiden verüben konnten. Ferner heißt es, die Türkei verschlimmere das Leid der Minderheit durch die andauernden Luftschläge auf Regionen in Irak und Syrien, wo sich derzeit zahlreiche Jesiden befänden, und verhindere, dass sich die Gemeinschaft erhole und wachse.

Syrien und Irak haben es laut Bericht wiederum versäumt, den Genozid auf ihrem Territorium zu verhindern. Die rechtliche Aufarbeitung wird in allen drei Ländern beanstandet. Die Forderung von jesidischen Überlebenden, dass IS-Täter*innen entweder vor den Internationalen Strafgerichtshof oder vor ein Sondertribunal gestellt werden, lief bislang ebenfalls ins Leere.

Die jesidische Journalistin Düzen Tekkal zur Verurteilung einer IS-Täterin

Mehrere IS-Kämpfer in Deutschland wegen Völkermord angeklagt

In Deutschland stehen inzwischen mehrere IS-Mitglieder vor Gericht. Das geltende Völkerstrafgesetzbuch enthält den Völkermord als Straftat gegen das Völkerrecht. Durch das Weltrechtsprinzip ist es möglich, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden selbst dann aktiv werden, wenn weder Täter noch Opfer deutsche Staatsbürger sind und die Tat im Ausland verübt wurde. In Frankfurt am Main wurde bereits ein IS-Kämpfer wegen Völkermordes an den Jesiden zu lebenslanger Haft verurteilt - das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Wer sind die Jesid*innen?

Jesiden zählen sich mehrheitlich zur Volksgruppe der Kurden. Sie bilden eine eigene Religionsgemeinschaft: Weltweit bekennen sich mindestens 800.000 Menschen zum jesidischen Glauben. Die Heimat der meisten Jesiden ist der Nordirak. Ihr Stammland ist die Sindschar-Region am gleichnamigen Gebirge. Schätzungen zufolge leben mehr als 200.000 Jesid*innen in Deutschland - es ist die größte Gemeinde außerhalb des Iraks.

Das Jesidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln bis 2.000 Jahre vor Christus zurückreichen. Sie nahm Glaubenselemente, Riten und Gebräuche westiranischer und altmesopotamischer Religionen sowie von Juden, Christen und Muslimen auf. Jesiden glauben an Seelenwanderung und Wiedergeburt. Besonders verehrt wird der "Engel Pfau" (Tausi Melek). Jeside wird man ausschließlich durch Geburt, beide Eltern müssen der Religionsgemeinschaft angehören.