Elf gotische Kirchen findet man im Altstadtgebiet von Mühlhausen. Nur fünf werden noch für geistliche Zwecke genutzt. Andere beispielsweise als Museum: So ist die Kornmarktkirche, deren Ursprünge auf ein ehemaliges Franziskanerkloster zurückgehen, schon seit Jahrhunderten ein zentral gelegener Ort, der als Wohnung oder Kornkammer gedient hat und mittlerweile in seinem Inneren über die Bauernkriege informiert.
Die Ausstellung "Luthers ungeliebte Brüder", die unter anderem Thomas Müntzer und dessen Rivalität zum Reformator thematisiert, ist wegen Umbauarbeiten im Kirchenraum wohl erst wieder zum Start der Thüringer Landesausstellung "freiheyt 1525" zum Thema "500 Jahre Bauernkrieg" geöffnet, die bis zum 19. Oktober in die Stadt einladen will.
"Wir sprechen von einem Gedenkjahr, nicht von einem Jubiläum", betont Susanne Kimmig-Völkner, Direktorin der Mühlhäuser Museen, wenn sie an die Unruhen in der Bauernschaft vor 500 Jahren denkt, die als erste freiheitliche Bewegung der deutschen Geschichte gilt. Vom Südwesten bis zur Mitte Deutschlands gerieten zahlreiche Aufstände im jungen 16. Jahrhundert bis 1525 zu einem regelrechten Flächenbrand, der letztlich über 100 000 Menschen das Leben kostete, die sich gegen die Obrigkeit auflehnten und deren Märsche blutig niedergeschlagen wurden. "Die Gegner waren Lehensherren, Fürsten, aber auch kirchliche Machtträger", sagt Historikerin Nora Hilgert, Redakteurin für Wissenschaftskommunikation für die Landesausstellung.
12 Artikel als Manifest
Zentrales Dokument, das die Forderungen der Bauern in sich vereinte, waren die in Memmingen von drei "Bauernhaufen" – paramilitärischen Vereinigungen – verfassten "12 Artikel". Diese gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa und beinhalten unter anderem die freie Wahl des Pfarrers, die Abschaffung der "Leibeigenheit" oder Jagdrecht.
"Bauernkrieg kann nicht ohne Reformation erklärt werden", ist Hilgert überzeugt.
In Mühlhausen war es der Theologe Thomas Müntzer, zuerst glühender Anhänger Martin Luthers, später dessen scharfer Gegner, der sich als Führer der Bauernschaft verstand und mit dem ehemaligen Zisterziensermönch Heinrich Pfeiffer die Menschen zum Widerstand gegen ihre Herren animierte. Die Marienkirche, in der heute noch regelmäßig Gottesdienst gefeiert wird, war seine erste Wirkungsstätte – heute zentraler Gedenkort für Müntzer, der vor allem während der Jahre der DDR vom Regime als Vorreiter der bürgerlichen Gegenbewegung gegen Establishment und Ausbeutung interpretiert wurde.
Müntzer als Werbe-Ikone
Müntzer zierte nicht nur den 5-Mark-Schein, sondern war auch mit seinem Konterfei auf Liköretiketten, Büsten sowie Ehrenplaketten vertreten und darüber hinaus als Namensgeber des motorisierten Schützen- regiments der Nationalen Volksarmee in Mühlhausen omnipräsent. "Während die Nazis sich mehr für den fränkischen Bauernführer Florian Geyer interessierten, hat sich Müntzer als Galionsfigur der Bodenreform in der DDR bis 1989 durchgezogen", sagt Kimmig-Völkner. Nicht zuletzt hieß Mühlhausen während der Jahre der DDR "Thomas-Müntzer-Stadt". Dort fand 1975 bereits ein Gedenkjahr für den Pfarrer und Reformator mit zahlreichen Mitmachaktionen für die Bevölkerung statt, an das sich die Älteren heute noch mit Stolz erinnern und das ein Stück weit Vorbild für 2025 sein soll.
Ausstellungen und Schlachtengetümmel
600 Exponate sollen an der Müntzer- Gedenkstätte St. Marien, im Kulturhistorischen Museum, in der Kornmarkt- sowie der Allerheiligenkirche und im Panoramamuseum Bad Frankenhausen zu sehen sein. Vom 10. Mai bis 17. August 2025 finden hier neben einer Sonderausstellung zahlreiche Lesungen, Führungen, Konzerte sowie Festspiele mit Reenactment-Gruppen statt, die in historischen Kostümen und Requisiten die Schlacht nachstellen.
In Bad Frankenhausen kann man seit 1989 das monumentale Panoramabild über den Bauernkrieg "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland" des Leipziger Malers und Kunstprofessors Werner Tübke sehen. Das mit 14 auf 123 Metern (Öl auf Leinwand) größte Monumental-Rundgemälde Deutschlands ist in zwölf Jahren entstanden und zeigt ein beeindruckendes Welttheater menschlicher Leidenschaften und Abarten mit über 3000 Einzelfiguren – darunter neben Martin Luther auch historische Figuren der Jahre um 1525 wie Albrecht Dürer oder Erasmus von Rotterdam.
Mit Regenbogenfahne unterwegs
Und eben auch Thomas Müntzer. "Sein Reformationshumanismus endete in einem Desaster mit Zigtausenden Toten", meint Museumsdirektor Gerd Lindner. Fünf Tagesmärsche hatten Müntzer und seine Anhänger gebraucht, um in die rund 60 Kilometer entfernte heutige Kurstadt zu gelangen, wo sich am 15. Mai 1525 eine der blutigsten Schlachten des Deutschen Bauernkrieges gegen die Landsknechtsheere der Fürsten abspielte.
"Die Bauern hatten auf jede Fahne einen Regenbogen gemalt. Müntzer habe gesagt, dies wäre das Zeichen für den Bund Gottes. Und nachdem Müntzer drei Tage nacheinander vor den Bauern gepredigt hatte, sahen sie am Himmel um die Sonne herum einen Regenbogen. Sie sollten nur kämpfen und tapfer sein", wird Augenzeuge Hans Hut über die Predigt zitiert, die Müntzer vor Beginn des Gemetzels vor den Bauern gehalten hatte.
Nach der Schlacht wurde Müntzer gefangen genommen und kam zurück vor das Gericht in Mühlhausen. Ihm wurde das Todesurteil ausgesprochen, er wurde ebenso wie sein Kompagnon Pfeiffer geköpft. Die beiden Schädel wurden aufgespießt und am Straßenrand ausgestellt. "Zur Mahnung an alle Aufständischen, die sich gegen die weltliche Ordnung wehren. Oder vielleicht ist es ja auch eine göttliche Ordnung? Man weiß es als einfacher Bürger ja nicht", ergänzt Kimmig-Völkner. Als Thomas Müntzers Frau Ottilie ist Sylvia Niedzielski regelmäßig bei ihren Stadtführungen in Mühlhausen "gewandet" unterwegs. Ottilie soll ihren Mann sogar beim Verfassen seiner Predigten geholfen haben.
Ottilie Müntzers Schicksal
Ihr Schicksal war aber auch ein trauriges. "Wie so oft zu dieser Zeit hat sich die Geschichtsschreibung nicht sonderlich für das Schicksal der Frauen interessiert, so auch nicht für das Ottilies", sagt Niedzielski. Man wisse, dass sie bereits einen kleinen Sohn mit Thomas hatte und wieder schwanger war, als sie nach dem Tod Müntzers von einem Landsknecht vergewaltigt wurde. "Über ihr weiteres Leben und das ihrer Kinder ist nichts bekannt", erklärt sie.
Müntzer sei es aber zu verdanken, dass der Protestantismus in Mühlhausen heute noch Gewicht hat. Das macht sich vor allem in der Kirchenmusik bemerkbar – nicht zuletzt weil der junge Johann Sebastian Bach 1707/08 ein Jahr lang an der Divi-Blasii-Kirche als Organist wirkte. "Da er aber mittlerweile geheiratet hatte und Nachwuchs unterwegs war, sah sich Bach nach einer besser dotierten Anstellung um und wechselte nach Köthen", weiß die Stadtführerin. Eine Statue des jungen Bach steht heute vor der Kirche. Die Orgel ist zwar nicht mehr die originale, das Instrument soll aber auf der von Bach gewünschten Disposition beruhen.
1525! Aufstand für Gerechtigkeyt
Bereits Ende Mai wurde die Mitmachausstellung »1525! Aufstand für Gerechtigkeyt« in Martin Luthers Geburts- und Sterbestadt Eisleben in Sachsen-Anhalt als Teil der Landesausstellung Sachsen-Anhalt »Gerechtigkeyt 1525« eröffnet.
Auf einem großen, begehbaren Spielbrett mit digitalen sowie analogen Spielelemente kann man bis zum 6. Januar 2026 in die Rollen von Bewohnerinnen und Bewohnern einer typischen mitteldeutschen Stadt um das Jahr 1525 schlüpfen und die Zeit unmittelbar vor dem Aufstand aus verschiedenen Perspektiven erleben.
»Auch wenn die Mitmachausstellung vor allem Kinder und Jugendliche begeistern soll, ist deren Grundidee für Gäste aller Altersgruppen ein inspirierendes Erlebnis«, sagt Nina Mütze, Sprecherin der Luthermuseen der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt. Man taucht hier in die Welt des Bauernkriegs von 1524/25 ein, wird über die gesamte Spielzeit begleitet von einer Person der damaligen Zeit und lernt dessen Sicht der Dinge kennen. Spielerisch geht es zum Markt, in die Kirche, zur Druckerei, und vor der Stadt warten an unterschiedlichen Stationen spannende Aufgaben.
Und zum Schluss die wichtige Frage: Waren meine Entscheidungen gerecht? Am Ende der Ausstellung erfahren die mitspielenden Gäste, wie die historische Begleitperson tatsächlich gehandelt hat.
In Luthers Elternhaus
Der zweite Teil der Mitmachausstellung in Luthers Elternhaus in Mansfeld führt mit modernen künstlerischen Elementen zurück ins 16. Jahrhundert. Beeindruckend überdimensionale Comics und animierend interaktive Mitmachstationen zeigen den Alltag der Menschen in der Bauernkriegszeit.
Spielerisch versetzen sich so jüngere Besucherinnen und Besucher 500 Jahre zurück und lernen vielleicht zu verstehen, was die Menschen damals auf die Barrikaden brachte. Im Hof des Elternhauses erfährt man als Armbrustschütze viel über das damalige Jagdrecht und was es mit den von den Bauern gestellten Forderungen zu tun hatte.
Ein besonderes Highlight der Ausstellung ist die Darstellung der Vereinnahmung des Bauernkriegs in den letzten 100 Jahren, ergänzt durch eine sieben Meter lange Pop-up-Graphic-Novel des Berliner Künstlers Sebastian Köpcke über das Leben von Thomas Müntzer. Ein eigens für die Ausstellung geschaffenes Zinnfiguren-Diorama des Designprofessors Doug Miller visualisiert erstmals einen nur aus Quellen überlieferten Überfall des Grafen Albrecht von Mansfeld und seiner Männer auf eine Gruppe von Aufständischen, auf die er Anfang Mai 1525 bei Osterhausen nahe Eisleben auf deren Weg zur Entscheidungsschlacht nach Frankenhausen traf.
Weitere Informationen und Veranstaltungsdetails zu den Angeboten in Sachsen-Anhalt gibt es unter der Internet-Adresse www.gerechtigkeyt1525.de
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