Älterwerden stellt viele Menschen vor große Herausforderungen: Wenn man manche Dinge nicht mehr alleine schafft, muss man lernen, Hilfe anzunehmen. Ein ehrliches Gespräch mit den eigenen Kindern ist da sehr wichtig, findet Christine Brendebach, Gerontologin und Psychologin für Pflege- und Sozialberufe an der Evangelischen Hochschule Nürnberg. Aber auch unter Nachbarn sieht sie eine große Hilfsbereitschaft.
Wenn ich älter werde, schaffe ich irgendwann manche Dinge nicht mehr alleine. Was kann dabei helfen, zu akzeptieren, dass ich im Alter Teile meiner Eigenständigkeit aufgeben muss? Als Kleinkind ist es ein ganz wichtiger Entwicklungsschritt, Dinge endlich allein tun zu dürfen.
Christine Brendebach: An diesem Beispiel aus der Kindheit sieht man, was für eine Errungenschaft des Lebens es ist, Dinge selbstständig tun zu können, in eigener Verantwortung, in eigener Entscheidungskompetenz. Autonomie ist der Leitstern des Lebens. Und wenn die irgendwann erzwungenermaßen eingeschränkt wird, ist das tatsächlich die größte Herausforderung.
Was helfen kann, ist, einen Blick zurückzuwerfen und zu schauen, was man alles gehabt hat, was man auf den Weg gebracht hat. Und anzuerkennen, dass es unser aller Schicksal ist, irgendwann zu gehen und Dinge auch loszulassen. Wir können nicht immer jung und schön bleiben. Das ist der Vertrag, den wir von Anfang an unterschreiben. Im Sinne der menschlichen Entwicklung ist es eine Rundung eines Kreislaufs.
"Gerade die christliche Botschaft enthält sehr viel Trost"
Das klingt einleuchtend. Trotzdem fällt es schwer, den Verlust von Autonomie zu akzeptieren.
Natürlich ist es an dieser Stelle auch hilfreich, eine ethische Verortung oder eine religiöse Orientierung zu haben. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass jemand, der eine Orientierung hat auf eine Sinnhaftigkeit, die über das eigene Menschsein hinausgeht, jemand, der einen Gott kennt, auf jeden Fall besser mit diesen Herausforderungen am Lebensende zurechtkommt. Gerade die christliche Botschaft enthält da sehr viel Trost.
Wie kann man sich – zumindest ein bisschen – auf die Herausforderungen des Alterns vorbereiten?
Ganz wichtig ist das soziale Netzwerk. Habe ich Familie oder Freunde, dann bin ich auch in einer existenziellen Lebenssituation nicht alleine. Das ist eine wertvolle Ressource und sehr stabilisierend. Das muss ich mir aber natürlich über die Jahre aufbauen und pflegen – etwa, indem ich in einem Chor singe oder mich in der Kirchengemeinde engagiere.
Der zweite große Bereich ist es, zu schauen, welche äußeren Hilfestellungen es gibt, um Einschränkungen erstmal zu überbrücken. Da gibt es mittlerweile sehr viele Möglichkeiten, etwa durch Künstliche Intelligenz oder Robotik. Ein wichtiger Meilenstein liegt für mich in den Errungenschaften der Palliativmedizin. Viele Studien zeigen, dass die größte Einschränkung von Lebensqualität große Schmerzen sind. Da ist es wirklich ein Segen, eine entsprechende Schmerzmedikation nutzen zu können, um die Lebensqualität noch aufrechtzuerhalten.
Und der dritte Bereich ist, was ich als Person mitbringe. Wie resilient bin ich, wie geschmeidig kann ich mit Herausforderungen im Leben umgehen? Jeder kommt als eigener Typ auf die Welt, die Persönlichkeit entwickelt sich dann natürlich im Laufe der Biografie. Das beste Trainingslager ist unser Leben.
Aus der Perspektive der Kinder gefragt: Wann ist der richtige Zeitpunkt, mit den Eltern darüber zu sprechen, wie sie ihr Leben im Alter gestalten wollen?
Je früher, desto besser – wenn es noch locker geht, ohne einen Handlungsdruck. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich die meisten da noch nicht mit dem Thema Pflege beschäftigen wollen. Die Szenarien können ja auch so unterschiedlich sein: Der Alterungsprozess lässt sich nicht planen und auch nicht, in was für einer Situation ich als Kind dann bin, wo ich wohne, wie meine Familiensituation sein wird.
Was man die Eltern aber grundsätzlich schon früh fragen sollte, ist: Was wünscht ihr euch? Manchmal hilft es, gemeinsam eine Patientenverfügung aufzusetzen und in dem Rahmen viele Fragen zu klären.
Und manchmal ergeben sich solche Gesprächsthemen auch ganz nebenbei, etwa beim Lesen von Todesanzeigen oder wenn die Nachbarin ins Krankenhaus kommt. Dann muss man den Mut haben, sie aufzugreifen. Es kann auch erleichternd sein, Dinge endlich mal anzusprechen.
"Wenn ich eine Pflegebeziehung beginne, weiß ich nicht, wie lange sie dauern wird"
Wenn die Eltern pflegebedürftig werden, drehen sich die Rollen in der Familie um. Was kann beiden Seiten helfen, diesen Rollentausch anzunehmen?
Die Beziehung fängt ja nicht erst im Alter an, sondern ist über Jahrzehnte gewachsen. Ich finde es sehr wichtig, in so einer schwierigen Situation ehrlich mit sich zu sein. Beide Seiten müssen sich fragen: Was haben wir für einen Kontakt? Bist du überhaupt der Sohn oder die Tochter, die ich in dieser Lebensphase gut an mich ranlassen kann? Und habe ich als Kind so einen nahen Bezug zu meinen Eltern, dass es mir leicht fällt, sie zu unterstützen oder ist die Beziehung zu konfliktbelastet? Das ist ein wichtiger Schritt, um dann auch zu sagen: Das kann ich und das kann ich nicht. Wenn ich eine Pflegebeziehung beginne, weiß ich nicht, wie lange sie dauern wird. Das können ein oder zwei Jahre sein, aber auch zehn oder länger.
Was können Kinder tun, wenn die Eltern mehr von ihnen verlangen, als sie leisten können oder wollen?
Es ist sehr wichtig, das anzusprechen, die eigenen Grenzen im Blick zu haben und dann innerhalb dieses Rahmens eine möglichst gute Gestaltung zu finden. Man könnte zum Beispiel sagen: Ich kann alle zwei Wochen vorbeikommen, aber mehr schaffe ich nicht. Und dann fragen: Wie können wir eine Alternative finden? Da gibt es ja zum Glück mittlerweile auch viele Unterstützungsmöglichkeiten im teilstationären oder ambulanten Bereich. Die Wohlfahrtsverbände und die Kirchen sind da vorbildlich. Auch im ehrenamtlichen Bereich gibt es sehr viele Angebote, die die Lebensqualität erhöhen können.
Und nicht zu vergessen der soziale Nahraum: Die Nachbarschaft ist besser als ihr Ruf! Das ist eine große Ressource. Natürlich wird die Nachbarin nicht die Körperpflege machen, aber sie kann vielleicht mal ein Rezept von der Apotheke abholen oder am Nachmittag auf einen Kaffee vorbeikommen. Das entlastet und macht die Welt bunter.
"Das Gute ist das Geben. Aber das Gute ist auch das Nehmen, sonst kann der Kreislauf gar nicht stattfinden"
Sind die Menschen denn bereit, ihren Nachbarn zu helfen – und solche Hilfe auch anzunehmen?
Bei einer Erhebung, die ich mal in einer Gemeinde in Mittelfranken zum Thema Ehrenamt gemacht habe, hat die Mehrheit gesagt, sie würde sich ehrenamtlich engagieren – zum Beispiel, um ihre Nachbarn zu unterstützen. Im gleichen Fragebogen haben wir gefragt: Würden Sie denn selbst auch solche ehrenamtlichen Angebote annehmen? Und da hat nur ein ganz kleiner Anteil mit Ja geantwortet. Da ist mir zum ersten Mal aufgefallen, dass es uns tendenziell leichter fällt, zu geben, als zu nehmen.
Man wird ja darauf getrimmt: Das Gute ist das Geben. Aber das Gute ist auch das Nehmen, sonst kann der Kreislauf ja gar nicht stattfinden. Ich glaube, man kann üben, die Haltung anzunehmen: Ich darf auch um Hilfe bitten und mein Wert ist nicht davon abhängig, wie viel Hilfe ich brauche.
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